Bühne

Die 20er als dekadente Halluzination: „Kabarett der Namenlosen“

13. Nov. 2019
Le Pustra © Tina Dubrovsky

Im Januar startet die dritte Straffel von „Babylon Berlin“. In einer Gastrolle: der queere Künstler Le Pustra, der mit seinem Kabarett im Ballhaus Berlin in die „Goldenen Zwanziger“ eintaucht

Mysteriös, boshaft, manipulativ: Le Pustra zieht kunstvoll die Fäden in der nachtaktiven Gegenwelt, die sich um ihn im Ballhaus Berlin versammelt hat. Vor vier Jahren hat er das „Kabarett der Namenlosen“ ins Leben gerufen. „Es ist der 20er-Jahre-Club, den ich selbst gerne besuchen würde“, erzählt er SIEGESSÄULE. „Eine dekadente Halluzination, eine surreale Fantasie aus meinem Kopf, wie ein David-Lynch-Film.“

In seinem Club treten elf Performer*innen auf, die allesamt schillernde archetypische Charaktere darstellen: den heimatlosen Matrosen, die freche Garçonne, den mittellosen Bohemien – allesamt Existenzen am Rande der Gesellschaft. Mit dabei etwa Bridge Markland, zu sehen als Inkarnation der Nackttänzerin Anita Berber oder Lars Schwuchow als verwegener Gigolo. Texte von Friedrich Hollaender, Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky illustrieren, am Piano begleitet, die Laster und Nöte der Zeit.

„Ich habe alles kombiniert, was ich aus Büchern und Filmen über die 20er wusste“, erklärt Le Pustra. „Dabei kreiere ich aus dem Visuellen heraus, gerne in Pastellfarben – und mit einem queeren Subtext.“ Der gebürtige Südafrikaner lebte lange in England, wo er nach seinem Kunst- und Schauspielstudium in die Burlesque-Szene eintauchte. 2016 zog er nach Berlin. „Früher bin ich mit meinen Darstellungen viel um die Welt getourt. In Berlin beschloss ich, eine ganz persönliche Vision einer eigenen Show umzusetzen.“

Mit seinem biografischen Wandel änderte sich auch die Kunstfigur Le Pustra: „Es war ein natürlicher Prozess. Zum Anfang meiner Karriere bestand Le Pustra nur aus oberflächlichem Make-up, orientiert an Klaus Nomi oder Marlene Dietrich, eine Maske hinter der ich mich versteckte.“ In seinen Jahren in Berlin lernte er sich dann selbst immer besser kennen: „Die Stadt ist wie ein Fluss, der einen mitnimmt. Das ist ihre Magie. Man kann sich hier sehr frei fühlen, was sehr inspirierend ist. Man kann aber auch auf den falschen Weg geraten und verloren gehen.“

Je wohler sich der Künstler in seiner Haut fühlte, umso mehr begann er von sich preiszugeben: „Heute ist Le Pustra ganz ich selbst, nur eben geschminkt.“ Diese schillernde Authentizität brachte ihm inzwischen auch eine Gastrolle in der dritten Staffel von „Babylon Berlin“ ein.

Für das „Kabarett der Namenlosen“ versammelt Le Pustra seine Entourage im Ballhaus Berlin um sich, wo er inzwischen auch als Event-Programmierer arbeitet. „Show und Location ergänzen sich hier perfekt.“ Der Raum bietet die nötige Intimität, um die Show um die Zuschauer*innen herum zu inszenieren. Im Publikum sitzen viele Touristen, für die das Berlin der 20er schon immer einen besonderen Fetisch darstellte.

„Die 20er werden ja stark romantisiert – wahrscheinlich gerade auch, weil die Periode so kurz war und so tragisch endete“, sinniert Le Pustra. „Aber sie hat uns so viel Inspiration gegeben. Auch die Show zeigt viele Höhen und Tiefen – und es endet ziemlich krass.“ So hält er dem Publikum auch einen Spiegel vor. „Wir haben heute ähnliche Spannungen wie damals, die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Und wir scheinen nichts gelernt zu haben. Das wird am Ende unser Untergang sein.“

Carsten Bauhaus


Le Pustra‘s Kabarett der Namenlosen,
15.–17.11., 20:00, Ballhaus Berlin
kabarettdernamenlosen.de

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