Kommentar

Sexkaufverbot stoppen!

8. Nov. 2019
Kristina Marlen © Ivo Hofste

Auf Regierungsebene wird diskutiert, ob es in Deutschland verboten werden sollte, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Sexarbeiterin Kristina Marlen kommentiert

Es ist gerade mal zwei Jahre her, dass das sogenannte Prostituierten„schutz“gesetz eingeführt wurde. Die Hurenbewegung berappelt sich gerade noch von den Auswirkungen, die dieses Gesetz für unser aller Arbeitsleben hat. Unter anderem zwingt eine Registrierungspflicht uns nun zu dem Mitführen eines „Hurenpasses“ mit Foto – was gefährdet, stigmatisiert und gegen unsere informationellen Selbstbestimmungsrechte verstößt.

Aber: Schlimmer geht ja bekanntlich immer. Mitte Oktober rief die Abgeordnete Leni Breymaier (SPD) die erste Sitzung eines fraktionübergreifenden Arbeitskreises zu Prostitution im Bundestag ein. Teilnehmende Politiker*innen der CDU und SPD machten schon im Vorfeld klar, wohin es gehen soll: In Deutschland soll das „Nordische Modell“ eingeführt werden, das in Schweden seit 1999 gilt. Das bestraft die Kunden sexueller Dienstleistungen. „Nicht die Prostituierte wird bestraft, sondern der Freier“, posaunen Befürworter*innen dieser Maßnahme heraus – die aber de facto Tausenden von Sexdienstleister*innen die Existenzgrundlage raubt und sie in die Illegalität treibt.

Ein Verbot bedeutet nicht mehr, sondern weniger Schutz

Käme dieses Modell und ich würde weiter arbeiten, müsste ich es heimlich tun. Ich hätte keine Möglichkeit mehr, Werbung zu betreiben. Keine Website mehr, die neben meinen Angeboten auch meine Person vorstellt, ausdrücklich meine NoGos und Grenzen kommuniziert.

Meine Kund*innen begingen eine Straftat, wenn sie meine Dienstleistung in Anspruch nähmen. Es wäre somit fast egal, ob sie mich tätlich angreifen würden oder wir einvernehmlichen Paysex hätten. Würde ich Opfer von sexualisierter Gewalt, hätte ich keine realistische Möglichkeit, diese zur Anzeige zu bringen, denn mein Tun fände in einem rechtsfreien Raum statt. Ich wäre ständig in Sorge, dass mein Tun auffliegt, und würde allein deshalb schon keinen polizeilichen Beistand suchen.

Da Bordelle verboten wären, könnte ich mich nicht mit anderen Sexarbeitenden zusammentun, um kollegialen Zusammenhalt für unsere psychische und körperliche Sicherheit zu nutzen. Ich wäre beim Arbeiten isoliert und würde es im Hotel, im Auto, im Wald tun, und mich damit gefährden.

Eine Wohnung zu bekommen, wäre für geoutete Sexarbeiter*innen beinahe aussichtslos. Mein*e Vermieter*in könnte beschuldigt werden, „der Prostitution Vorschub zu leisten“, oder sogar der Zuhälterei bezichtigt werden. Meine Kinder, wenn sie erwachsen wären und trotzdem finanziell von mir unterstützt würden, gälten ebenfalls als Zuhälter – immerhin hätten sie „ja von Sexarbeit profitiert“. In Schweden sind die ersten Angehörigen von Sexarbeiter*innen bereits vor Gericht.

Menschenrechtsorganisationen warnen davor, Sexarbeit zu kriminalisieren

Das Sexkaufverbot ist Teil des rechtskonservativen und sexualrepressiven Backlash zur Zeit: wir würden wieder in einer Ära der Verdächtigung und Denunziation landen, die nicht nur Sexarbeiter*innen selbst trifft. Das Stigma der „Hure“ oder „Schlampe“ traf schon immer sexuell promiskuitive Frauen*. In Ländern, in denen Prostitution kriminalisiert ist wie z. B. auch in den USA, gilt bereits das Mitführen von Kondomen als „Indiz“, aus der Branche zu sein. Potentiell „verdächtig“ sind People of Colour, Frauen oder trans* Personen mit Migrationshintergrund.

Das Gesetz ist eine verlogene, unsoziale, sexual- und frauenfeindliche Strategie im Gewande der „Rettung“. Eine populistische Kampagne, die nachweislich vor allem denen schadet, zu deren Schutz sie angeblich gedacht ist – vor allem migrantischen Sexarbeiter*innen. Denn auch für diese gilt: Illegalisierung bedeutet nicht mehr, sondern weniger Schutz vor Ausbeutung, Zwang und Gewalt. Weltweit warnen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, die WHO, Organisationen gegen Menschenhandel, Frauenrechtler*innen, Jurist*innen, Forscher*innen und Sexworker-Vereinigungen deshalb ausdrücklich vor Kriminalisierung von Sexarbeit – und kämpfen darum, stattdessen die Rechte von Menschen in der Sexarbeit zu stärken.

Wir brauchen jetzt möglichst viele Verbündete von „außerhalb“ - aus allen politischen Lagern und Berufssparten. Die Kämpfe der Huren waren schon immer eng verknüpft mit denen der LGBTQI* Bewegung. Immer geht es um die Frage, welche Sexualitäten legitim sind und wer das entscheidet.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Solidarität mit Sexarbeiter*innen zu zeigen – Wir wollen Rechte und Respekt!

Kristina Marlen

Kristina Marlen ist Sexarbeiterin in Berlin und bietet Sessions, Workshops und Coachings zu sexueller Körperarbeit, BDSM und Bondage für alle Geschlechter an. marlen.me

berufsverband-sexarbeit.de

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