Transsexuellengesetz

Entsetzen über Reform des „Transsexuellengesetzes“

9. Mai 2019 fs
© Bundesverband Trans*

Die Regierung hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der das „Transsexuellengesetz“ ablösen soll. Scharfe Kritik kommt von Verbänden und Opposition: der Entwurf schreibe Fremdbestimmung fort

Die Bundesregierung hat erneut eine überraschende Maßnahme zum Thema Personenstandsrecht gesetzt und Trans- und Interverbände damit vor den Kopf gestoßen. Das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium legten am Mittwoch einen Gesetzesentwurf vor, der das geltende „Transsexuellengesetz“ (TSG) überflüssig machen soll. Buzzfeed News veröffentlichten den Entwurf am Mittwochabend.

Nur 48 Stunden, bis zum 10. Mai, haben Fachverbände Zeit, Stellungnahmen dazu einzureichen. Für die Kürze der Frist bitte man laut einem Schreiben der Ministerien an die Verbände „um Verständnis“.

Laut Gesetzesentwurf soll die Änderung des Personenstandes in Zukunft über das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) erfolgen. Dies solle für trans* und für inter* Personen gleichermaßen gelten. Die Verfahren zur Personenstandsänderung wolle man damit „angleichen“, heißt es in den Erläuterungen zum Entwurf. Da das „Sondergesetz“ TSG von trans Personen als diskriminierend empfunden wurde, sollen die Regelungen nun sowohl für trans* als auch für inter* Personen in das Personenrecht des BGB überführt werden.

Die Wege, über die Geschlechtseintrag und Namen jeweils geändert werden können, bleiben jedoch ungleich: Während inter* Personen die Regelung zur so genannten „Dritten Option“ im Personenstandsgesetz (§ 45b PStG) nutzen können, die mit Jahresbeginn eingeführt wurde, sollen die Verfahren für trans* Personen weiterhin gerichtlich ablaufen. Das heißt, bei inter* Personen reicht eine ärztliche Bescheinigung, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt und ein Gang zum Standesamt, um den Personenstand zu wechseln. Trans* Personen müssen dafür, wie schon bisher nach dem TSG, zum Gericht gehen.

In manchen Details erscheint das Verfahren zwar einfacher: so müssen Antragsteller*innen nach dem TSG noch zwei psychologische Gutachten einholen. Diese entfallen im neuen Gesetz. Stattdessen ist allerdings eine „qualifizierte Beratung“ verpflichtend, über die man eine Bescheinigung vorlegen muss. Dazu sieht der Gesetzesentwurf auch Verschärfungen vor: so müssen zukünftig auch Ehepartner*innen vor Gericht angehört werden, wenn verheiratete trans* Personen ihr Geschlecht ändern lassen wollen. Wer einmal einen Antrag auf Personenstandsänderung gestellt hat, muss außerdem drei Jahre warten, bis ein weiterer Antrag eingebracht werden kann. Bis Ende April 2020 solle die Reform in Kraft treten.

Verbände: Gesetz ist „Augenwischerei“

Betroffenenverbände reagierten am Mittwoch entsetzt auf die Nachricht. „Das neue Gesetz ist Augenwischerei,“ urteilt Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität dgti e. V. im Telefongespräch mit SIEGESSÄULE. „Es gibt zum Teil sogar Verschlechterungen. Das hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun.“ Bis Freitag wollen Verbände, darunter die dgti, die Bundesvereinigung Trans* e. V. (BVT*) und andere, eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten.

Kritik am Entwurf kommt auch aus der Opposition. So beklagte Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik der Grünen Bundestagsfraktion via Twitter, dass „die Bevormundung von Trans- und Intersexuellen“ fortgeschrieben werde. Jens Brandenburg, LGBTI-Sprecher der FDP im Bundestag nannte die knappe Rückmeldefrist von zwei Tagen für das über 30 Seiten umfassende Gesetzesdokument „eine Unverschämtheit“. Justizministerin Katarina Barley (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) seien „an einer ehrlichen Debatte“ offenbar nicht interessiert. „Eine Gängelung trans- und intergeschlechtlicher Menschen mit umfangreichen Screenings und belastenden Gerichtsverfahren“ sei entschieden abzulehnen. 

Eine Abschaffung oder zumindest eine Reform des als völlig veraltet geltenden „Transsexuellengesetzes“ fordern Betroffene und Expert*innen seit Langem. Das nun übereilte Vorgehen der Regierung scheint eine Reaktion auf den Wirbel zu sein, den es seit Januar rund um das erneuerte Personenstandsrecht gibt. Entgegen dem Willen des Gesetzgebers, der die neue Option zur Personenstandsänderung und den neuen Geschlechtseintrag „divers“ nur inter* Personen mit einer bestimmten medizinischen Diagnose offen stellen wollte, konnten in der Praxis auch trans* Personen das Gesetz nutzen (Siegessäule berichtete).

Es entstand eine rechtlich nicht haltbare Situation, in der Standesämter – je nach Bundesland und Standort – Antragsteller*innen ungleich behandelten. Anträge wurden zum Teil genehmigt, zum Teil abgelehnt, wobei einige Fälle nach Recherchen von SIEGESSÄULE bereits vor Amtsgerichten gelandet sind. Zuletzt hatte das Bundesinnenministerium, unter anderem über ein Schreiben an Standesämter und Drohungen gegenüber Ärzt*innen versucht, die Nutzung des neuen Personenstandsgesetzes zu beschränken.

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Update 10. Mai 2019

Stellungnahme der BVT*
„Der Entwurf verstößt gegen das grundgesetzlich garantierte Persönlichkeitsrecht,“ urteilt die Bundesvereinigung Trans* e. V. (BVT*) in einer Presseerklärung vom Freitag. Unter Mitarbeit der BVT* sei in einer interministeriellen Arbeitsgruppe bereits 2017 ein Gesetzesvorschlag zum „Transsexuellengesetz“ erarbeitet worden. Davon sei der jetzige Entwurf der Regierung „Lichtjahre entfernt“. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (dgti) weist in ihrer Stellungnahme unter anderem darauf hin, dass mit der derzeitigen Fassung des §45b Personenstandsgesetz (neue Regelung zur „Dritten Option“) „eine auch für transidente/transsexuelle Menschen tragbare“ Regelung bestehe.

Stellungnahme der SPDqueer
Neben Fachverbänden hat auch der Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft der SPD für Akzeptanz und Gleichstellung (SPDqueer) den Entwurf als „missraten“ bezeichnet und abgelehnt. Positiv sei einzig die „Reduzierung der zwei kostspieligen Gutachten auf eine kostenfreie 'begutachtende Beratung'“, so die SPDqueer in einer in der Nacht zu Freitag veröffentlichten Pressemitteilung. Darüber hinaus biete der Gesetzesentwurf jedoch „durchgehend Verschlechterungen oder ein Festschreiben des Status quo“.

Online-Petitionen gegen den Gesetzesentwurf
Zwei Online-Petitionen gegen den Gesetzesentwurf, eine auf openPetition und eine auf change, wurden bereits gestartet.

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