SPD am Scheideweg: Juso-Chef Kevin Kühnert im Interview
Die GroKo hat er nicht verhindern können, aber der SPD-Jugend eine lautstarke Stimme verliehen! Wir trafen den schwulen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert zum Gespräch
Er war der Mann der Stunde: Durch seine flammende Rede beim SPD-Parteitag, in der er sich gegen eine neue große Koalition wandte, wurde Kevin Kühnert über Nacht berühmt. Er ist schwul, studentischer Mitarbeiter der queerpolitischen Sprecherin der SPD in Berlin und seit November 2017 Vorsitzender der Jusos. Während der Koalitionsverhandlungen galt er wegen seiner #NoGroKo-Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine weitere Koalition zwischen CDU und SPD zu verhindern, als „Schulz’ gefährlichster Gegner“ (Berliner Morgenpost). Auch wenn Kühnert ein Nein zur GroKo nicht erreichen konnte, so hat er doch den Jusos, der Jugendorganisation der SPD, eine laute und kräftige Stimme verliehen. Wir trafen ihn, bevor die SPD-Basis sich für eine Große Koalition ausgesprochen hatte, zum Gespräch
Kevin, wie hat sich dein Leben seit November 2017 verändert? Vom studentischen Mitarbeiter bis hin zum Bundesvorsitzenden der Jusos und größten innerparteilichen Gegner von Martin Schulz? Das ist nicht nur für mich neu, sondern auch für mein Umfeld. Ich habe die Arbeitszeit im Büro reduziert, denn meine Tage sind jetzt krass durchgetaktet. Es passiert alles so vor sich hin. Ich habe gar nicht wirklich Zeit, das alles zu reflektieren. Aber es hilft natürlich, dass wir die klare Mission haben, eine weitere große Koalition zu verhindern.
Du bist derzeit überall: bei Maybrit Illner, Markus Lanz und Jan Böhmermann. Bekommst du bei so vielen Terminen noch was von der #NoGroKo-Debatte mit? Natürlich verfolge ich die Debatte. Zum politischen Alltag gehört es, Pressespiegel zu lesen, Tickermeldungen zu verfolgen und soziale Medien im Blick zu behalten. Allerdings kann ich nicht mehr alles lesen, was auf meinen Kanälen so abgeht. Feedback und Kritik interessieren mich aber sehr. Bei Dingen, die ins Unsachliche gehen, scrolle ich einfach weiter.
Fehlt der SPD die sichere Hand, die Mut macht und in eine gute Richtung weist? Das glaube ich nicht. Die SPD hat eher seit vielen Jahren einen krassen Identitätskonflikt mit sich selbst. Sie hat fast 20 Jahre Regierungsbeteiligung zu verantworten. Sie ist tief zwiegespalten, wie diese Regierungszeit zu bewerten ist. Was uns heute im Wege steht, wieder mutigere Forderungen zu stellen, ist die Angst vor dem Widerspruch zu dem, was die SPD all die Jahre mitgetragen hat. Das lähmt und hat leider dazu geführt, dass wir als einzige Partei kein wirkliches Alleinstellungsmerkmal mehr haben. Das ist auf Dauer tödlich in der Politik.
Was ist deine Idee einer besseren SPD? Wer kritisiert, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, muss Instrumente benennen, mit denen man das ändern kann. Das heißt, dass wir eine Vermögensbesteuerung in Deutschland brauchen. Es gibt sehr viele Optionen. Das Problem ist, dass die SPD sich bei der Auswahl dieser Optionen immer für gar keine entscheidet. Es herrscht eine komplette Mutlosigkeit beim Thema Umverteilung. Ich verstehe diese Angst überhaupt nicht. Denn Menschen mit Millionen und Milliarden auf dem Konto sind wahrscheinlich weder SPD-WählerInnen noch die gesellschaftliche Mehrheit.
Alexander Dobrindt von der CSU sprach spöttisch vom „Zwergenaufstand“ der Jusos – das spielt auch auf deine 1,70 m Körpergröße an. Hast du bisher Diskriminierung erfahren müssen? Sowohl wegen deiner Größe als auch wegen deiner sexuellen Identität? Nein, nicht wirklich. Ich habe auch diese Zwergen-Nummer aufgegriffen, weil man mich an der Stelle überhaupt nicht packen kann. Ich bin ein Mensch mit einer guten Portion Humor und Selbstironie. Ich fühle mich da persönlich nicht angegriffen. So etwas Flaches fällt direkt auf die Person selbst und nicht auf mich zurück.
Möchtest du politisch vom Zwerg zum Riesen werden? Sehr schöne Frage. (lacht) Politik ist mein Hobby. Das mache ich seit vielen Jahren und es nimmt meinen kompletten Alltag ein. Und so wie andere Leute auch könnte ich mir vorstellen, mein Hobby zum Beruf zu machen, denn nichts mache ich lieber. Das müssen aber nicht irgendwelche Mandate oder Ministerposten sein. Und im Moment sind wir in der SPD eher am Kämpfen, dass unsere Partei in Zukunft überhaupt noch geile Jobs zu vergeben hat. Wir stehen an einem Scheideweg. Wer da nur auf Karriere aus ist, könnte sich ganz schnell in einer toten Partei wiederfinden, wo garantiert niemand mehr Karriere machen wird.
Wie stehst du zur AfD? Wenn es zur Großen Koalition kommt, wird sie Oppositionsführerin. Sollte dann auch mit ihr verhandelt werden? Die AfD ist keine Partei wie jede andere. Wer dort Mitglied ist, muss sich unter dem Vorbehalt betrachten lassen, einer strukturell rassistischen Partei beigetreten zu sein. Wer sich von ihnen schon mal öffentlich menschenfeindlich geäußert hat, ist für mich kein Gesprächspartner. Denn es ist nicht zu erwarten, dass auf irgendeiner Ebene da noch eine sachliche Auseinandersetzung erfolgen kann. Es sind jedoch auch Einzelne dabei, die einfach mal ganz übel falsch abgebogen sind und da aus meiner Sicht nicht hingehören. Daher bin ich sehr gespannt, wie sich das in dieser Partei intern entwickeln wird. Mich interessiert auch nicht, wie ich PolitikerInnen aus AfD-Fraktionen wieder zurück in demokratische Parteien holen kann. Mich interessiert viel mehr, was wir den WählerInnen der AfD bieten können, damit sie diese Partei nicht mehr wählen wollen. Und zu reflektieren beginnen, dass diese Partei nicht die Lösung ihrer Probleme ist.
Haben Politiker wie Wowereit und Westerwelle deiner Meinung nach den Weg für offen homosexuelle PolitikerInnen geebnet? Auf jeden Fall hat das eine große Rolle gespielt. Ich sehe das ja an mir selbst. Klaus Wowereit ist in dieser Hinsicht ein ganz wichtiger Fixpunkt. Er hat etwas gemacht, was ich vorbildhaft finde: in die Offensive gehen. Wenn man mit sich selbst klar ist, fällt es auch viel leichter, Angriffe abzuwehren. Insofern war Wowereits Aussage „Ich bin schwul und das ist gut so“ ein Meilenstein für mich. Obwohl das für mich persönlich ja ein paar Jahre zu früh kam. Ich war elf, als er das gesagt hat. Aber es hat definitiv einen großen Platz im kollektiven Gedächtnis.
Interview: Christian Arnold
Eine längere Version des Interviews findet ihr in der aktuellen Märzausgabe der SIEGESSÄULE! Online könnt ihr sie hier lesen
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