Mischa Badasyan über seine neue Performance: „Cruising wird missverstanden und abgewertet“
Zum Welt-Aids-Tag umarmen sich 100 Menschen in roten Unterhosen. Wir befragten Künstler Mischa Badasyan zu seiner Performance „Cruising“
Am 02.12. inszeniert der Künstler Mischa Badasyan mit Unterstützung von Quarteera e. V., der Organisation russischsprachiger LGBTI in Deutschland, sowie anderer AktivistInnen und KünstlerInnen die Performance „Cruising“ im Rathaus Charlottenburg (20:00–23:00). Damit soll u. a. auf die Situation von LGBTI in Osteuropa aufmerksam gemacht werden. Das Thema ist Cruising zwischen Begehren und mit Sex verknüpften Ängsten vor Krankheiten oder Gewalt. VertreterInnen der Deutschen Aids-Hilfe, von Quarteera u. a. werden diskutieren, die am Abend gesammelten Spenden gehen an E. V. A., eine Organisation aus St. Petersburg, die sich für HIV-positive Frauen und Kinder einsetzt. Wir baten Mischa Badasyan, uns einige Fragen zur Performance zu beantworten
Mischa, worum geht es bei deiner Performance „Cruising“? Durch das Positionieren von ca. 100 TeilnehmerInnen soll der Akt des Cruising in einem Park inszeniert werden. Menschen finden sich in einem Raum wieder und müssen sich einen Partner, eine Partnerin zum Umarmen aussuchen. Alle TeilnehmerInnen werden nur mit einer roten Unterhose als Zeichen für Liebe, Solidarität, Sexualität und HIV/ AIDS bekleidet sein. Die Aktion dauert maximal eine Stunde. Wir verstehen Cruising als Suche nach Intimität: ein Ventil für Einsamkeit in Großstädten. Entstanden zur Zeit der Industrialisierung und Urbanisierung, entwickelte sich diese Subkultur als Produkt politischer Repressionen in einschlägigen Lokalen, Parks und Toiletten. Heute wird Cruising missverstanden und abgewertet als ,triebhafte‘ Promiskuität, die mit Risikoverhalten einhergeht. Die Performance soll ein größeres Bewusstsein für das unserer Meinung nach eigentliche Ziel hinter Crusing schaffen: Intimität. Unser Projekt versteht sich als Zeichen gegen Homo- und Transphobie, als Zeichen für sexuelle Vielfalt und als Support für HIV-positive Menschen.
Wie hast du so viele PerformerInnen für dein Projekt gewinnen können? Internet bzw. Social Media ist schon eine tolle Quelle für die Suche nach TeilnehmerInnen. Durch meine jahrelange Arbeit an verschiedenen Projekten entstand auch ein kleines Netzwerk von Menschen, die mich immer wieder gerne unterstützen. Zudem bin ich gerne noch old school und frage ständig Menschen auf der Straße, ob sie bei meinen Performances und Projekten mitmachen möchten. Das kommt super an und ich finde in der Tat viele Menschen einfach so auf der Straße vor einem Pizza-Stand, in einem Park oder in einer Kneipe.
Mit der Performance soll auch auf die Situation von LGBTI in Osteuropa aufmerksam gemacht werden. In Russland und Osteuropa gibt es einen dramatischen Anstieg der HIV-Infektionen. Was sind aus deiner Sicht die Ursachen dafür? Leider stimmt das total. Die Verbreitung von HIV- und AIDS steigt jährlich an. Es ist u. a. auf die Staatspolitik zurückzuführen, dass das Thema HIV tabuisiert wird und HIV-positive Menschen stigmatisiert werden. Es gibt keine Aufklärungsprojekte in den Schulen oder an den Unis. Präventions-Projekte werden nicht mehr finanziert. Ein Freund von mir aus Moskau konnte jahrelang zu keinem Zahnarzt gehen, da sie ihn schlicht wegschickten, wenn er ihnen über seinen Status erzählt hatte. Jetzt hat er ein Asyl in Holland erhalten und ihm geht es sehr gut. Als ich 17 oder 18 Jahre alt war, habe ich mich für einen Verein in meiner Heimatstadt Rostow am Don engagiert, wo wir DrogenkonsumentInnen mit HIV unterstützt haben. In Russland ist die Anzahl von HIV-positiven Menschen, die durch den Drogenkonsum infiziert worden, sehr groß.
In der Performance werden auch Ängste thematisiert, die mit Sex beim Cruising verbunden sind. Wie gehst du selbst mit diesen Ängsten um? Durch das Cruisen im Tiergarten kam ich zum ersten Mal im Leben mit HIV-positiven Menschen in Berührung, mit denen ich BEWUSST Sex hatte. Seit dem ich meine Ängste abgebaut und sehr viel dazu gelernt habe, widme ich jedes Jahr meine Kunstprojekte dem Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember. Meine Performance „Cruising“ bietet eine wunderschöne Möglichkeit, sich selbst und den eigenen Körper zu befreien. Ich werde mein Bestes geben, um einen Safe Space zu schaffen, wo die Teilnehmer sich auf komplett wildfremde Menschen, die sie noch nie im Leben gesehen haben einlassen können und sich dabei beim Berühren und Umarmen wohlfühlen werden. Die Ängste kann ich sehr schnell abbauen, wenn ich eine Person anhand einer Berührung kennenlerne. Normalerweise kommuniziert man nicht beim Cruisen, aber ich habe immer einen Weg gefunden, Vertrauen aufzubauen.
Performance-Künstler Mischa Badasyan
„Cruising“, Performance zum Welt-Aids-Tag von Mischa Badasyan, 02.12., 20:00, Rathaus Charlottenburg-Wilmersdorf
Folge uns auf Instagram