Roma und schwul: Interview mit Gianni Jovanovic
Der Kölner Gianni Jovanovic ist 39, Rom, schwul und bereits zweifacher Vater und Großvater. Mit vierzehn Jahren wurde er mit einer Frau verheiratet, mit achtzehn merkte er, dass er Männer liebte. Heute steht er als Comedian und Performer auf der Bühne und engagiert sich für die Rechte von Rom*nija und LGBTI*
Gianni, erstmal vielen Dank für deine Zeit. Du bist ja viel beschäftigt. Das stimmt. Ich bin Unternehmer und studiere an der Fachhochschule hier in Köln Dentalhygieniker. Und ich bin Comedian. Erst kürzlich war mit einem Solo-Programm bei einem Festival in Dortmund, das hieß „Rotationseuropäer – intersektional und trotzdem sexy“. Sagt dir der Begriff intersektional was?
Ja. Du meinst Mehrfachdiskriminierung? Genau. Ich bin Roma, das ist ja eine Minderheit in diesem Land, entsprechend hat man da leider sehr viele Erfahrungen von Ausgrenzung und Rassismus machen müssen. Daraus ist bei mir auch der politische Aktivismus entstanden. 2015 habe ich einen Roma-und-Sinti-Wagen in Köln auf dem Christopher Street Day organisiert. Das war das erste Mal in Deutschland, dass Roma und Sinti in dieser Form auf einer Pride präsent waren. Später habe ich die Initiative Queer Roma gegründet und mache ganz viel Bildungsarbeit, Vorträge und Workshops. Daneben trete ich wie gesagt als Comedian auf, und spiele dann auch mit den Stereotypen.
„Welche Optionen habe ich denn? Entweder ich liege depressiv in der Ecke, oder ich stelle mich dem Ganzen und lebe mich aus. Das kann ich aber nur, wenn ich darüber spreche.“
Das heißt, du machst dich auf der Bühne über Klischees lustig? Wie kann ich mir das vorstellen? In der Selbstdefinition ist ja alles erlaubt, solange ich dabei nicht generalisiere. Ich frage das Publikum zum Beispiel, was haben ein schwuler Sonderschüler, ein 39-jähriger Opa und ein „Zigeuner“ gemeinsam? Meine Antwort ist dann, sie heißen alle Gianni Jovanovic. Das glaubt erstmal niemand, dass jemand wie ich bereits zweifacher Großvater ist, dass ich seit 13 Jahren mit einem Mann verheiratet und Roma bin, eine Minderheit in der Minderheit! Aber egal – ich bin hübsch!
Humor hilft also? Klar, man muss versuchen, dieses große Drama irgendwie aufzubrechen. Welche Optionen habe ich denn? Entweder ich liege depressiv in der Ecke, oder ich stelle mich dem Ganzen und lebe mich aus. Das kann ich aber nur, wenn ich darüber spreche.
Hättest du gedacht, dass du mal so viele ZuhörerInnen haben würdest? Anfangs nicht, aber als ich den Wagen in Köln gemacht habe, wurde es mir wichtig, auch Öffentlichkeit zu bekommen. Da habe ich alle Kanäle genutzt, habe PolitikerInnen und Medien eingebunden.
Du warst ja in Deutschland der erste schwule Rom, der sich öffentlich geoutet hat ... Ja, es gab bis 2015 in Deutschland keinen Aktivisten oder eine Aktivistin aus unserer Community, die queer waren und damit in die Öffentlichkeit gegangen sind.
„Einerseits muss man sich hinstellen und sagen, Mama, Papa, ich bin schwul, lesbisch, trans ..., und auf der anderen Seite muss man sich öffentlich dazu bekennen, dass man Roma ist. Gegenüber dieser Gruppe herrschen viel Unwissen und Vorurteile.“
Woran liegt das? Das ist ein doppeltes Outing. Viele fürchten, auf Verachtung in der eigenen Community, besonders in der eigenen Familie zu stoßen – und dazu dann noch die Verachtung durch die Mehrheitsgesellschaft. Einerseits muss man sich hinstellen und sagen, Mama, Papa, ich bin schwul, lesbisch, trans ..., und auf der anderen Seite muss man sich öffentlich dazu bekennen, dass man Roma ist. Gegenüber dieser Gruppe herrschen viel Unwissen und Vorurteile. Man sieht in den Medien etwa sehr wenig Reportagen, die Menschen aus unserer Community selbst sprechen lassen und die nicht nur auf Klischees wie dem der „Wirtschaftsflüchtlinge aus Osteuropa“ herumreiten, sondern die zeigen, dass es auch einen Gianni Jovanovic gibt.
Wie würde ein respektvoller Umgang aussehen? Es geht um eine Anerkennung auf Augenhöhe. Viele fragen mich zum Beispiel gleich zu Anfang eines Gesprächs, woher ich komme – ich antworte, naja, aus Köln. Und ich frage mich, wieso willst du das jetzt wissen? Wieso denkst du, dass du als weißer, privilegierter Mitteleuropäer mich jederzeit mit den Bildern, die du über mich hast, konfrontieren darfst?
Wie ist das in queeren Räumen in Berlin? Wie gehst du damit um, wenn dir dort diese Bilder begegnen? Ich trete innerlich ein Stück zurück, höre aufmerksam zu und begegne meinem Gegenüber erstmal mit viel Toleranz und Respekt. Es kann ja sein, dass er es gar nicht so böse meint, wenn er mir irgendwelche Fragen stellt, die etwa meine Herkunft betreffen. Aber wenn mir jemand blöd kommt und eine Grenze überschreitet, habe ich auch das Recht, das diesem Menschen klar zu machen. Ich habe viel Stärke entwickelt.
„Ich finde, die Berliner Community hat in den letzten Jahren an Federn verloren. Ich wünsche mir, dass wir wieder viel mehr auf die Straßen gehen und zeigen, wer wir sind.“
Was hat dir geholfen, so weit zu kommen? Mir ist einiges passiert, das schwer zu verarbeiten ist, wie ein Anschlag mit Molotowcocktails in Darmstadt auf die Unterkunft, in der ich damals mit meiner Familie gewohnt habe. Es war nötig, sich diesen Sachen zu stellen. Ich bin auch auf meine Eltern zugegangen, um mit ihnen darüber zu sprechen, warum sie mich mit 14 Jahren verheiratet haben. Mit 16 wurde ich Vater, ich hatte die ganze Verantwortung – und mit 18 habe ich dann gemerkt, ach du Scheiße, Gianni, du bist schwul. Ich habe aber beschlossen, erst wenn meine Kinder erwachsen sind, oute ich mich. Das hab ich durchgezogen, ich musste ein richtiges Doppelleben führen. Mit 24 habe ich meinen jetzigen Mann Paul kennengelernt. Er ist mit mir diesen Weg gegangen. Unsere starke Liebe, sein Vertrauen, Therapie und mein Wille, „ich sein zu wollen“ und nicht mehr fremdbestimmt zu sein, hat mir geholfen.
Hast du das Gefühl, dass sich, unter anderem durch dein Engagement, etwas zum Positiven verändert hat? Ich bin Gott sei Dank nicht der einzige, der an diesen Fronten kämpft. Es gibt einen jährlichen Kongress von queeren Sinti und Roma, zuletzt in Prag und Straßburg. Wir versuchen gerade, das auch nach Berlin zu bringen, das wäre natürlich wünschenswert. Ich finde, die Berliner Community hat in den letzten Jahren an Federn verloren. Man kann Spaß haben und feiern, alles gut. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir für dieses Level an Offenheit, das wir heute haben, hart kämpfen mussten. Ich wünsche mir, dass wir wieder viel mehr auf die Straßen gehen und zeigen, wer wir sind.
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