Diskussionsabend

„Verschwörung der Opernschwulen“: Über Homophobie im Klassikbetrieb

26. Mai 2017
„Edward II“ an der Deutschen Oper © Monika Rittershaus

Bei der FAZ witterte Eleonore Büning im September 2016 eine schwule Opernverschwörung: Ein „queeres Justemilieu“ hätten die schwulen Opernmenschen geschaffen, von einer homosexuellen Vetternwirtschaft war die Rede. Unter anderem dieser publizistische Vorfall bot den Anlass zur gut besuchten Diskussionsrunde „Die Verschwörung der Opernschwulen“, an der Welt-Opernkritiker Manuel Brug, „Nollendorfblogger“ Johannes Kram und ZEIT-Opernkritikern Christine Lemke-Matwey im Schwulen Museum* teilnahmen, moderiert von Kevin Clarke.

Lemke-Matwey bot den zweiten Anlass zur Diskussion: In einer Glosse für die ZEIT verriss sie – wie viele andere – die schwule Oper „Edward II.“ („sprachlich jämmerlich, dramatisch jämmerlich, musikalisch jämmerlich“), outete nebenbei gleich noch das gesamte Produktionsteam und sparte nicht mit Häme. In „Edward II.“ gehe es – anders als bei den heterosexuellen Opernklassikern – nur um Sex und sie frage sich, „wie die geballte schwule Bühnenkreativwirtschaft ein derart jämmerliches Stück hervorbringen kann.“ Doch ist das schon homophob?

Natürlich könne man Schwule dafür kritisieren, wenn sie ein schwules Stück vergeigen, meinte Kram, solange ihr Unvermögen nicht aufs Schwulsein zurückgeführt wird. Der Text wäre zwar deftig gewesen, aber eben nicht homophob wie es Ulrich Khuon, der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, behauptet hatte.* Und die Kritikerin selbst? Fühlte sich missverstanden und flüchtete sich in Rechtfertigungen. Sie sei enttäuscht und wütend gewesen, dass mit „Edward II.“ die Chance vertan wurde, ein gutes schwules Stück auf die Bühne zu bringen. Sie wünsche sich „homosexuelle Souveränität“ im Umgang mit ihrem Text und vermisse den Sinn für Humor. Die Deutsche Oper habe „Edward II.“ offensiv schwul vermarktet, dann könne man auch offensiv kritisieren. Auf die Frage des Moderators, ob sie auch über schwarze oder jüdische OpernmacherInnen so geschrieben hätte, hatte die lesbische Kritikerin keine Antwort.

Aus dem Publikum wurden vereinzelt Rufe nach dem Abschaffen der „politischen Korrektheit“ laut. „Sie hat sich halt mal eine homophobe Meinung geleistet“, kommentierte ein anwesender schwuler Kulturjournalist. Er wäre beim Lesen wütend gewesen, fände den Artikel jedoch erfrischend im Einerlei der bedächtigen Formulierungen. Mit der gleichen Argumentation kann man auch einen rassistischen Witz verteidigen.

Nun ist die Seite 2 der ZEIT keine Kommentarspalte bei Facebook und auch Lemke-Matwey gab zu, dass Wut ein schlechter Ratgeber beim Schreiben sei. Homophob seien ihre Äußerungen dennoch nicht. Auf die teils sehr emotionalen Vorwürfe aus dem Publikum reagierte sie kühl: „Wer darf denn überhaupt noch über wen reden?“, fragte sie rhetorisch in die Runde. Man hätte sich gewünscht, die Diskussion wäre produktiver verlaufen. Man hätte den Text Lemke-Matweys genau analysieren können. Man hätte mehr Fragen verhandeln können, etwa warum das Opernmilieu trotz hohen Bildungsgrades so reaktionär ist oder ob ein Outing im Opernbetrieb heute immer noch ein Hindernis darstellt. Die rege Teilnahme am gestrigen Abend im Schwulen Museum* zeigte: Redebedarf gibt es genug.

Ronny Matthes

* In der usprünglichen Fassung des Textes stand, dass Johannes Kram gesagt habe, der Text von Lemke-Matwey sei homophob. Gegenüber unserem Autor betonte Kram, dass er sich an diesem Abend möglicherweise missverständlich ausgedrückt habe, er aber nicht dieser Meinung sei. Die Textpassage wurde daraufhin geändert.

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