Eine Ikone kehrt zurück
04.04. – Man darf sie mit Fug und Recht als Urmutter der glorreichen Westberliner Tuntenszene bezeichnen. Lange Jahre ward Melitta Poppe auf keiner Bühne dieser Stadt mehr gesehen. Nun prangt ihr Konterfei (mit exzentrischer Haartolle) auf dem Plakat für die Tuntenwochen im SchwuZ. Die bieten ein pralles Programm mit einer Ausstellung, extravaganten Partys, einer neuen Ausgabe der „Polymorphia“-Show und jeder Menge Damenwäscheträgerinnen. Mitten drin: die Grand Dame der Berliner Tuntenszene.
Melitta, was hast du eigentlich all die Jahre getrieben, anstatt weiterhin die Berliner Tuntenwelt mit deinen Auftritten zu beglücken? Ich hatte mich der Malerei zugewandt, die aber eine solch einsame Kunst ist, dass ich mittlerweile keine Lust mehr dazu habe. Außerdem stapelt sich zuhause das Zeug. Als ich dann in der AHA eine schöne kleine trashige Show sah, ich glaube, das war mit Gaby Tupper, habe ich ganz zaghaft gefragt, ob ich vielleicht mal mitmachen könnte.
Und so bist du wieder rückfällig geworden. Warum hast du gerade dort den Wiedereinstieg bzw. Aufstieg auf die Bühnenbretter gefunden? Weil sich das so schön unproblematisch und einfach gestaltet. Ich muss einfach nur hinkommen und kann all meine alten Nummer noch einmal zeigen. Denn die jungen Menschen kennen das ja noch nicht.
Eine Initialzündung war außerdem ein „Polymorphia“-Abend mit Patsy L'Amour laLove im SchwuZ, damals noch am Mehringdamm. Ich saß im Publikum und traute meinen Augen nicht, überreichte Patsy dort doch den Melitta-Poppe-Award an Luxuria Rosenburg. Ich hatte vor zwölf Jahren so eine hässliche Blumenvase golden angestrichen und diese an Die Aldis für ihre Verdienste überreicht. Das war damals ein Jux! Aber diese Trophäe ging ernsthaft Jahr für Jahr durch aufstrebende Künstlerhände.
Das hattest du nie mitbekommen? Nö, das wurde nie so richtig öffentlich gemacht. Ich war an diesem Abend aber so gerührt, dass ich dann doch auf die Bühne musste, um ein paar Worte zu sagen. Und dann bekam ich völlig unfassbare Reaktionen: „Melitta, wir stehen alle auf deinen Schultern“. Ich dachte nur: „Was ist denn mit denen los? Meinen die das wirklich ernst?“. Bis dahin war mir gar nicht so bewusst, dass ich einen solchen Ruf habe.
„Bislang hatte ich übrigens noch keine SIEGESSÄULE-Titelgeschichte ...“
Dass du von deinem Nachruhm überrascht bist, verwundert, denn schließlich hat du die Tunten-Underground-Kultur über eine sehr lange Zeit maßgeblich mitgeprägt, als Teil des legendären Ensembles Ladies Neid, wie auch in anderen Konstellationen. Zum einen habe ich diese vielen Auftritte und Aktionen für mich selbst nie in einen solch großen Zusammenhang gebracht. Zum anderen habe ich ganz viel davon einfach vergessen. Bislang hatte ich übrigens noch keine SIEGESSÄULE-Titelgeschichte; damit fiele es mir sicherlich leichter, an meine Meriten zu glauben.
Dein erster Auftrittsort war die Hinterbühne des schwulen Café Graefe am Kreuzberg. Dort liegt letztlich auch der Geburtsort der schwulen Tuntenkultur. Das hat ja niemand von uns gewollt. Wir sind damals ganz unschuldig in die Sache reingerutscht. Ich hatte mir damals eine One-Woman-Show mit Ingrid-Caven-Chansons ausgedacht, mir Mut angetrunken und das dann durchgezogen. Der Zufall wollte es, dass einige Zeit später im Café dieser junge dürre Mann namens Thomas Gerards als Tresenkraft anfing ...
... und den die Welt bis heute als Melitta Sundström kennt. Wir waren einfach zur rechten Zeit am gleichen Ort, das war die Keimzelle für alles, was danach folgen sollte. Ich habe erst vor kurzem Videoaufzeichnungen von alten Shows aus den 80er Jahren entdecken können und bin gerade dabei, sie zu digitalisieren. Mir kommen dabei richtig die Tränen, wie toll das damals war, hochwertig auch in künstlerischer Hinsicht.
Hast du nach deinem Abschied von der Bühne das Wirken und Treiben der Nachwuchskräfte intensiv weiterverfolgt? Nein, das meiste hat mich einfach nicht interessiert. Entweder es waren diese Glamour-Partytransen, das wollte ich nicht sehen und das war uns auch schon damals zu dumm. Und den richtig guten Nachwuchs habe ich nicht kennengelernt. Dafür war ich wohl auch zu wenig unterwegs. Ich war ja nicht nur bühnen-, sondern 13 Jahre lang auch alkoholabstinent. Da geht man einfach nicht mehr so oft auf eine Fassbrause in die Szene.
„Unsere Stöckel sind die Rache an unseren Müttern“
Das Erstaunliche ist ja, es wachsen immer neue schwule Männer nach, die es auf die Bühne treibt. Das ist tatsächlich das Schöne daran. Es liegt offensichtlich in unseren Genen. Und es ist ja auch ganz einfach: Man muss sich nur betrinken und den Mund zu Playback aufmachen. Bei den meisten bleibt es auch dabei. Dann aber gibt es auch immer wieder begnadete Talente darunter.
Was treibt diese Menschen an? Darüber wollte ich mir im Alter mal Gedanken machen. Meine Lieblingserklärung ist eine tiefenpsychologische und stammt von Pepsi Boston: Unsere Stöckel sind die Rache an unseren Müttern.
Was unterscheidet die Tunten deiner Generation von denen, die sich heute in Fummel werfen? Wer sich heute Tunte nennt, und eben nicht Dragqueen, tut dies meiner Ansicht nach politisch wesentlich bewusster als wir seinerzeit. Die jungen Dinger von heute wollen genau wie wir damals das Korsett der kleinbürgerlichen Enge absprengen, aus der sie nach Berlin geflohen sind. Neu ist aber die Fraktion, die zudem Gender-Studien betreibt. So was gab’s früher ja noch nicht. Die fundieren das, was sie auf der Bühne machen, alles auch gleich theoretisch und das klingt dann entsprechend klug. Das ist allerdings auch oft so politisch korrekt und spaßbremsig, dass ich davon stumpfe Zähne kriege und erst recht „Zigeunerjunge“ singen möchte.
Interview: Axel Schock
04.–30.04. „Schrill! Die PolymorphiaTuntenausstellung“. Fotografien von Dragan Simicevic. Vernissage am Samstag, 04.04., 21:30 mit Patsy L'Amour laLove und Melitta Poppe.
Sonntag, 05.04., „Schlimm! Der große Tuntenball“. Frivoles Tanzvergnügen zum Themenmonat. Ab 22:00 Auffummeln bis Mitternacht. (Im Fummel, High-Drag oder Ballbekleidung Eintritt frei!)
Samstag, 25.04., 19:00 „Polymorphia – die TerrorTuntenNacht“ u.a. mit Patsy L'Amour laLove, Leo Fischer (ex-TITANIC-Redakteur), Gesine Mehl, Tima die Göttliche, Melitta Poppe, Jurassica Parka, Margot Schlönzke, Dragzhaufen, Krista Beinstein, Hedi Mohr.
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