Politik

„Tunten haben einen politischen Gestaltungswillen“ – immer noch: Bericht von der SchwuZ-Veranstaltung „Überbau im Unterrock”

6. Sept. 2013
© sallyB

„Tunten haben einen politischen Gestaltungswillen“, so sah das jedenfalls die Berliner Tuntenlegende Ovo Maltine, die 1998 sogar für die Bundestagswahl kandidierte. Doch welche gesellschaftliche Relevanz hat der Mann im Kleid heute noch? Versteht er sich nach wie vor als politischer Aktivist oder eher als hübsche Partyattraktion mit DJ-Köfferchen und Cocktail in der Hand? Um sich über diese und andere Fragen rund um die Tunte zu streiten, hatten SchwuZ und Siegessäule eingeladen. Unter dem Titel „Überbau im Unterrock. Der Mann im Kleid. Ist die Tunte eine aussterbende Erscheinung?“ läutete die Podiumsdiskussion den mit zahlreichen Highlights aufwartenden Tuntenmonat September ein.

Polit- und Trümmertunten, Dragkings und -queens, Transen und Trans*frauen


An die hundert Interessierte waren erschienen, um neun schillernde Gäste auf der Bühne zu begrüßen, darunter Polit- und Trümmertunten, Dragkings und -queens, Transen und Trans*frauen. Mit dabei Gloria Viagra, Kaey, Jurassica Parka, Toni Transit und Moritz von den Kingz of Berlin, Barbie Breakout, Margot Schlönzke, Patsy l’Amour laLove und Vera Titanic. Deren ungestümer Mitteilungsdrang wurde kompetent gebändigt und in strukturierte Bahnen geleitet von zwei glänzend aufgelegten Moderateusen: Siegessäule-Chefredakteur Jan Noll im strahlend weißen Rolf-Eden-Anzug und Gisela Sommer, die ihren Fummel zugunsten eines Dirk-Bogarde-in-den-70ern-Look zu Hause gelassen hatte.

Anfänglich musste natürlich eine Definition des Begriffs Tunte gefunden werden. Einige filmische Einspieler, in denen zumeist junge schwule Männer auf ihr Verständnis des Wortes befragt wurden, machten deutlich, dass die alte Polittunte tatsächlich in Vergessenheit geraten ist. Im alltäglichen Sprachgebrauch meint Tunte doch mehrheitlich ein affektiertes, schwules Verhalten bzw. einen effiminierten Mann, der nur bedingt als politisches Wesen wahrgenommen wird. Da Ichgola Androgyn aus persönlichen Gründen leider absagen musste, kam Gloria Viagra die Rolle der Altvorderin zu. Sie mahnte die jungen Hühner zu einem größeren geschichtlichen Bewusstsein. Siegessäule-Redakteurin Kaey grätschte dazwischen. Beschweren helfe da alleine nicht, auch die ältere Generation müsse sich aktiv an der Erinnerungsarbeit beteiligen. Von ihr kam auch der konstruktive Vorschlag, sich stärker zusammenzuschließen und gemeinsam in der Öffentlichkeit aufzutreten, z. B. beim Shoppen oder beim Ladendiebstahl bei Karstadt. Ja, auch der gute alte Tuntenhumor glänzte an diesem Abend nicht durch Abwesenheit. Den emotional bewegendsten Moment hatte Barbie Breakout, die mit Würde und Anmut ihre Tonnen von Make-up über die Bühne schleppte. Sie erzählte, dass die irritierten, aber auch abschätzigen Blicke der anderen in ihr immer noch so etwas wie Selbstscham erzeugen. Nicht nur deswegen sei jeder Wimpernschlag einer Drag Queen auch ein politisches Symbol. Eine der interessanten Thesen des Abends stellte Moritz auf. Hinter der Aggression gegen den Mann im Kleid werde vor allem eins sichtbar: Frauenfeindlichkeit! Leider fehlte der These so ein bisschen die argumentative Unterfütterung, die daraus mehr gemacht hätte als ein etwas sperrig im Raum stehendes Statement. Denn bei neun geladenen Gästen wurde es nicht nur kuschelig auf der Bühne, auch mancher wichtiger Aspekt konnte nur am Rande gestreift werden.

Dennoch ist ein ganz wunderbarer Abend in Erinnerung geblieben, der dringend nach einer Wiederholung schreit, gern in ähnlicher Besetzung. Es wurde gejubelt, gebuht, gestritten, jede Menge Geschenke ins Publikum verteilt und bei allem auch gewichtigen Disput vor allem eins: die Tunte in all ihren Farben und Schattierungen gefeiert!
Andreas Scholz

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