Bühne

Gegen den Berliner Mietenterror: Das Musical zur Gentrifizierung

25. Sept. 2019
Foto: Dorothea Tuch

In ihrem Lied „Eigentumswohnung“ singt Christiane Rösinger mit Ironie über die Gentrifizierer*innen in Berlin. Die Kreuzberger Sängerin bringt ihre Kunst und ihr politisches Engagement zusammen. Jetzt gibt sie ihr Regiedebüt im HAU mit „Stadt unter Einfluss – Das Musical zur Wohnungsfrage“. Dabei steht sie auch selbst auf der Bühne, umgeben von Musiker*innen und Mietaktivist*innen. SIEGESSÄULE traf sie zum Gespräch.

Christiane, du bist vor allem als Musikerin bekannt, aber auch für Deine Bücher und für die „Flittchenbar“, deinen damaligen Showabend im Südblock. Es ist nun das erste Mal, dass Du ein Stück inszenierst. War es für Dich eine große Herausforderung? Ja. Ich sage seitdem ich 18 bin, dass ich gerne ein Musical machen möchte. Es war schon immer in meinem Kopf. Ich arbeite aber bereits seit ein paar Jahren mit Theaterhäusern. Bei einem Fußballmusical im HAU oder beim Stück „Feminista, Baby!“ im Deutschen Theater habe ich zum Beispiel die Musik gemacht. Die Leute vom HAU haben mich gefragt, ob ich nicht ein Musical zum Thema Wohnen machen will. Sie kamen darauf wegen meines Liedes „Eigentumswohnung“.

Stehst du selbst auf der Bühne? Ja, ich mache alles. (lacht) Es hat sich so ergeben. Ich singe natürlich, aber ich bin auch eine wichtige Figur. Ich habe das Stück und die Musik geschrieben, die Leute ausgesucht und ich mache jetzt Regie, aber mit zwei Co-Regisseurinnen. Meine Solo-Band ist mit dabei. Wir haben keine Schauspieler*innen – alles Musiker*innen und Mietaktivist*innen. Und es spielen fast nur Frauen mit, das hat sich so ergeben. Die Idee war ja auch, dass man mit Mieter*innen und Aktivist*innen arbeitet. Ich habe die Initiative Bizim Kiez eingeladen und es sind auch Leute dabei, die sich gegen Eigenbedarfskündigungen engagieren.

Kannst du uns einen Einblick in die Geschichte des Stücks geben?
Die Geschichte ist ganz real, fast ein dokumentarisches Musical: Berlin, 2019. Sehr viele Leute haben Probleme mit dem Thema Wohnen: Modernisierung, die Miete wird erhöht, Terror seitens der Vermieter, Wasser wird abgestellt, Leute haben Angst, ihre Wohnung zu verlieren, weil sie in Eigentum umgewandelt wird... diese ganzen Leute sind erstmal sprachlos, wie gelähmt, und auch mutlos: „Man kann nichts machen, das ist der Kapitalismus, gegen diese Immobilienbranche kommen wir nicht an.“ Sie solidarisieren sich aber und finden zusammen. Denn: Wenn man nichts dagegen tut, werden alle aus der Stadt verdrängt. Wenn man sich nicht wehrt, ist man weg.

Du bist auch von Gentrifizierung persönlich getroffen ...
Meine Wohnung ist vor ein paar Jahren verkauft worden. Im Moment hoffe ich, dass mein Vermieter fair ist und mich nicht rausschmeißt. Wenn ich aus meiner Wohnung fliege, werde ich hier in Kreuzberg nie mehr etwas finden.

Liebst Du Kreuzberg immer noch – trotz aller Veränderungen? Es ist schrecklich geworden. Im meinem Haus bin ich eine der letzten Mieter*innen. Die anderen Leute, die hier leben, sind Wohnungseigentümer. In Kreuzberg erleben wir eine totale Touristifizierung und Hipsterisierung. In anderen Bezirken, Neukölln zum Beispiel, ist es sogar noch schlimmer. Die alten Bewohner*innen werden verdrängt. In Kreuzberg ist wenigstens noch ein bisschen der alte Spirit da.

Wir sitzen gerade auf der Terrasse des Südblocks am Kotti. Spürst du diesen alten Spirit hier noch? Ja, weil es ein offener Ort ist. Und hier sitzen auch einfach Leute aus der Nachbarschaft. Das ist etwas ganz anderes als zum Beispiel bei der Markthalle Neun, neben der ich ja wohne, in der man einfach sagt: „Wir machen jetzt unser Bioparadies – und wenn die Leute sich das nicht mehr leisten können, müssen sie draußen bleiben.“

Könntest Du dir vorstellen, in einer anderen Stadt als in Berlin zu leben?
Ich bin jetzt zu alt. (lacht). Ich habe keine Lust, in eine andere Stadt oder aufs Land zu ziehen. Wenn ich nachts in der Oranienstraße bin und überall ist es total chaotisch, dann denke ich, ach, hier ist es schon gut. Als ich vor 30 Jahren von meinem kleinen Dorf nach Berlin gekommen bin, hatte ich das Gefühl, hier kann man sein wie man will und im Schlafanzug zum Bäcker gehen. Und dieses Gefühl ist immer noch da.

Interview: Annabelle Georgen


„Stadt unter Einfluss – das Musical zur Wohnungsfrage“,
26., 27., 29., 30.09., 20:00, HAU1

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