Performance

Drag mit Down-Syndrom: „Nun bin ich die Diva“

20. Sept. 2019
Drag Syndrome

„Drag Syndrome“ – so nennt sich die weltweit erste Gruppe von Drag-Künstler*innen mit Down-Syndrom. Seit ihrer Gründung im März 2018 in London hatten sie schon Dutzende Musik- und Tanzauftritte auf internationalen Bühnen.

Miss Gaia Callas, eine 44-jährige Queen aus Oxford, ist die Dienstälteste. Gaia trat schon vor 15 Jahren als Performerin auf. Als Teil einer Theatergruppe in Deptford interessierte sie sich zunehmend für Drag, und ließ sich sogar als Solokünstlerin engagieren. „Ich sprengte die Ketten, nach und nach“, sagt sie und wirft den Kopf stolz in den Nacken, während sie im Backstage-Bereich des SO36 auf ihren Auftritt wartet. „Es war befreiend. Ein Traum. Nun bin ich die Diva. Die Diva und der Darling zugleich. Die Leute lieben mich.“

Beim sogenannten Down-Syndrom handelt es sich um eine Veranlagung, bei der das Chromosom 21 dreifach statt doppelt vorhanden ist, und die unterschiedlich ausgeprägte körperliche oder geistige Einschränkungen zur Folge haben kann. Wie die Künstler*innen von Drag Syndrome deutlich klarstellen, leiden sie nicht unter ihrem „Syndrom“, sondern sie leben leidenschaftlich mit ihm.

Neben Gaia hat Otto Baxter aka Horrora Shebang Platz genommen, Gewinnerin der Auszeichnung Alternative Miss Wilderness 2018. „Ich bin ein männermordender Vamp“, warnt Horrora mit einem Augenzwinkern, und ihre verlängerten Wimpern kommen dabei zur Geltung. Horrora liebt das Kino. Die Artistin, vor 32 Jahren geboren, erlangte durch den Kurzfilm „Ups and Downs“ internationale Aufmerksamkeit und wurde für ihre Rolle in der Kategorie „Bester Schauspieler“ beim Cannes Disability Film Festival 2015 ausgezeichnet.

Gegenüber sitzt der erst 20 Jahre alte, tanzbegeisterte Drag-King Justin Bond, der sich nach seinen Vorbildern Justin Timberlake und James Bond benannt hat. „Aber mein Lieblingssong ist ,Let me Love You`von Mario“, verrät er. Der selbstbezeichnete „Bitchy Butch“ hat schon seinen eigenen Youtube-Kanal, in seinen Videos gibt er Schminktipps.

Obwohl die drei – ebenso wie die anderen Mitglieder ihrer Truppe – es lieben, in Drag auf der Bühne zu performen und dies auch immer wieder explizit äußern, standen die Auftritte von Drag Syndrome in der Vergangenheit schon im Zentrum moralpolitischer Debatten. Als die Artist*innen sich auf die Uraufführung ihrer Performance in den USA vorbereiteten, hieß es seitens aufgebrachter Kritiker*innen unter anderem: „So eine Perversion sollte verboten werden! Die reine Freak-Show. Sie werden missbraucht!“ Und ein Anfang September diesen Jahres geplanter Auftritt im Rahmen eines Kunstfestivals in Grand Rapids (Michigan), der binnen weniger Stunden ausverkauft war, musste wieder abgesagt werden. Denn: der Besitzer der Location, der für den US-Kongress kandidierende Republikaner Peter Meijer, lehnte die Show als „menschenunwürdig“ ab.

Für solche Positionen, die Menschen mit Down-Syndrom ihre künstlerischen Fähigkeiten absprechen, hat Daniel Vais, künstlerischer Leiter des Programms, kein Verständnis. „Gerade die ,besorgten Bürger', die meinen, Menschen mit Down-Syndrom vor sich selbst schützen zu müssen, sind diejenigen, die sie wie willenlose Objekte behandeln“, sagt er. „Täglich lerne ich so viel von diesen wunderbaren Künstlern, was Offenheit und Lebenslust betrifft.“

„Es ist unsere Entscheidung – das wollen sowohl wir als auch unsere Fans“, betont Horrora, die sich über die zahlreichen Solidaritätsbekundungen freut, die Drag Syndrome mittlerweile bekommt. Und Justin fügt hinzu: „Wir verwirklichen uns und wir machen vielen Menschen Mut.“

Michaela Dudley

Fotogalerie vom Auftritt von Drag Syndrome im SO36 (13.09.)

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