Start des Digitalen Frauenarchivs und der Feministischen Sommeruni in Berlin
Hier werden feministische Geschichte und Zukunft gleichzeitig geschrieben: mit dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv (DDF) soll zum ersten Mal das geballte Wissen der historischen Frauenbewegungen in Deutschland online zur Verfügung stehen. Lesbische Zeitschriften aus den 20er-Jahren, Protokolle von Frauengruppen aus den 80ern, private Tagebücher oder wissenschaftliche Literatur sollen dann nur noch einen Mausklick entfernt sein. „Auch Material, das jetzt noch in einem Archiv im Karton liegt, wird erfasst. Das wird was zum Schmökern“, schwärmt Susanne Diehr von der Geschäftsstelle des DDF.
Frei zugänglich für alle
In Auftrag gegeben wurde das Mammutprojekt vom Dachverband deutschsprachiger Lesben- und Frauenarchive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen (i.d.a.). Seit 1993 vernetzt der Verband Einrichtungen der Lesben- und Frauengeschichte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Italien. Schon seit 2015 haben die deutschsprachigen Institutionen einen gemeinsamen Bibliothekskatalog im Internet. Doch die Bibliotheken verleihen kein Archivmaterial und auch eine Fernleihe ist nicht immer möglich. Die sensationelle Neuerung des DDF ist also, dass ein Großteil der Bestände nun direkt im Netz anzuschauen und zu lesen sein wird.
Gestöbert werden kann nicht nur in jeder Menge digitaler Bücher und Zeitschriften, man kann sich auch durch Fotos, Abbildungen historischer Buttons, Plakate und Flyer klicken. Überblickstexte auf der Homepage sollen den Einstieg ins Material erleichtern: von Porträts zentraler Akteurinnen bis zu Essays über lokale Ereignisse, Phasen der Bewegung oder wichtige Themen wie Frauenarbeit. Seit zwei Jahren wählen die beteiligten Gruppen Material zum Digitalisieren aus und erfassen es nach allen Regeln der archivarischen Kunst.
Aus dem Archiv ins Netz
Margarethe Kees ist Vorstandsmitglied im i.d.a.- Dachverband und in der FrauenGenderBibliothek Saar in Saarbrücken für die Bibliothek und das Archiv zuständig. Besonders herausfordernd sei es, die Rechte an den Fotos zu klären, die sie hochladen wollen, erzählt sie. „Das ist eine detektivische Arbeit: herauszufinden, wer da auf den Fotos gezeigt wird und wer sie gemacht hat. Wir haben viele Bilder geschenkt bekommen, von denen die Zeitzeuginnen selbst nicht mehr wussten, wer sie erstellt hatte.“ Die FotografInnen oder Fotografierten jedoch, die sie ausfindig machen konnten, hätten sich immer sehr über die Anfrage gefreut, zum DDF beizutragen. Mit ihren Bildern im digitalen Archiv werden sie schließlich ein Teil der feministischen und lesbischen Geschichtsschreibung in Deutschland.
Gefördert wird das DDF bis Ende 2019 vom Bundesfrauenministerium. Damit wird offiziell honoriert, was die Institutionen vorher zu einem großen Teil ehrenamtlich und auf kleinen Stellen geleistet haben. Für die Digitalisierung der kompletten Bestände der i.d.a.- Einrichtungen reichen die vom Bund genehmigten Mittel nicht aus. Aber es gibt auch andere Wege: In Saarbrücken etwa wurde die DDF-Stelle bereits aus Landesmitteln um ein Jahr weiterfinanziert. „Das sind Signale“, freut sich Kees.
Feministische Tradition: die Sommeruni
Zum Start des DDF am 13. September organisieren die i.d.a.-Frauen eine Feministische Sommeruni unter dem Motto „Frauen machen Geschichte“, die zwei Tage später, am 15. September, in der Humboldt-Universität zu Berlin stattfinden wird. Eine alte feministische Westberliner Tradition wird damit aufgegriffen: Von 1976 bis 1983 gab es jährlich die Frauensommeruniversität an FU und TU. Der Grundstein für die Frauenforschung wurde hier gelegt, aus der sich später die Gender Studies entwickelten. Die Sommerunis diskutierten stets auch, wie Frauen den akademischen Raum erobern können – wie ihre Themen in die Forschung und wie sie selbst an bezahlte Stellen und Positionen im Wissenschaftsbetrieb kommen.
Exklusiv akademisch waren die Sommerunis aber nie, und auch die in diesem Jahr wird es nicht sein. Statt nur ein universitäres Ferienprogramm soll sie vor allem eine feministische Zusammenkunft werden. „Wir laden explizit die Bewegung an so einen akademischen Ort ein“, sagt Diehr von der DDF-Geschäftsstelle. „Denn wir sind davon überzeugt, dass sich die Wissenschaft und unser Wissen auch dank der Frauen- und Lesbenbewegung verändern.“ Feministische Geschichte zu schreiben sei nicht unbedingt „eine professorale Sache“, sei nicht nur abstrakt und theoretisch. Sondern dazu brauche es immer die Bewegung und ihren Austausch.
Mut zum Streiten
Entsprechend wollen – und können – die Veranstalterinnen der diesjährigen Sommeruni gar nicht vorgeben, was Feminismus bedeutet. Eingeladen wurden Feministinnen aus allen Generationen und mit teilweise entgegengesetzten Meinungen. Auf dem Plan stehen über 60 Workshops und Podiumsdiskussionen zu so unterschiedlichen Themen wie #MeToo, Antifeminismus und neue Rechte, 100 Jahre Frauenwahlrecht oder Feminismus und Sprache (als Talk mit Rapperin Sookee und Luise Pusch!). Unser Schwestermagazin L-MAG organisiert eine Diskussion zu feministischen Medien, moderiert von L-MAG- und SIEGESSÄULE-Verlegerin Manuela Kay. Als Rahmenprogramm gibt es Ausstellungen rund um die Frauenbewegung, kreative Gesprächsformate wie die „Fish Bowl“ oder eine Demo in Form eines „Feministischen Abendspaziergangs“.
Wie mit dem digitalen Archiv DDF geht es dem i.d.a.-Dachverband auch auf der Sommeruni darum, eine Plattform anzubieten, auf der verschiedene Positionen miteinander ins Gespräch kommen können. Zum Thema Sexarbeit bzw. Prostitution etwa referieren sogar Aktivistinnen und Initiativen mit entgegengesetzten Zielen. Um 11 Uhr treten Frauen in einer Podiumsdiskussion auf, die die Rechtslage von Sexarbeiterinnen verbessern wollen. Drei Stunden später stellt sich eine Initiative aus Baden-Württemberg vor, die Prostitution in Deutschland gänzlich abschaffen will. „Es wird sicher spannende Diskussionen geben“, lacht Lena Kühn vorausahnend. Sie arbeitet beim FFBIZ, dem Frauenforschungs-, Frauenbildungs- und Fraueninformationszentrum in Berlin.
Das FFBIZ ist am digitalen Archiv beteiligt und organisiert gleich vier Veranstaltungen auf der Sommeruni. Eine davon ist ein Workshop zu Trans*feminismus. „Ziel im Workshop ist, Handlungsstrategien gegen die Diskriminierung von Trans*menschen in feministischen Räumen zu entwerfen“, fasst Kühn zusammen. Die ganze Bandbreite und Vielfalt des Feminismus sollen sich in der Zusammenarbeit und der Vernetzung der verschiedenen Gruppen widerspiegeln – egal ob analog, in den Räumen der Humboldt-Uni, oder digital, mittels der neuen Homepage des DDF.
Von Hildes Kaktus bis zum goldenen Mösenhut
Dass es dabei nicht nur um ernste Debatten gehen muss, demonstriert uns Lena Kühn. Denn das FFBIZ hat einen ehrgeizigen Plan verwirklicht: Für jedes Jahr seines Bestehens – die Einrichtung ist bereits stolze 40 – hat es ein Objekt aus seinem Archiv abgebildet und ins Internet gestellt. Darunter ist etwa der „Bürokaktus“. Die erst mal unscheinbar wirkende Pflanze ist ein Ableger eines Kaktus, der seinerzeit Hilde Radusch gehörte. Radusch war die Grande Dame der Lesbenbewegung in den 70er-Jahren mit einem stets großen „Fanclub“ und schon seit den 20er-Jahren politisch aktiv. Als sie älter und kränklich wurde, halfen ihr MitstreiterInnen und Fans – und pflegten, unter anderem, auch den Kaktus und seinen Nachfolger. Oder der „Mösenhut“: „ein großer goldener Hut mit einer Möse drauf“, wie Kühn erklärt. Beim CSD 1998 wurde er durch die Straßen Berlins getragen.
Mal golden, mal stachlig, aber definitiv in guter Gesellschaft erwartet uns im September die lange Geschichte der Frauen- und Lesbenbewegung – auf dass wir sie weiterschreiben!
Clara Woopen
digitales-deutsches-frauenarchiv.de
Feministische Sommeruni, 15.09., 10:00–21:30, Humboldt-Universität Berlin, feministische-sommeruni.de
Wo Frau draufsteht, ist feministisch drin? Feministische Medien auf dem Prüfstand. L-MAG-Talk bei der Sommeruni, ab 18:00
FFBIZ: das-feministische-archiv.de