Kinky Coming-out: der Weg zur selbstbewussten BDSM Sexualität
„In Berlin haben sie diese ,Ach, mach doch, was du willst, geh mir nicht auf den Senkel und dann passt das’-Haltung”, meint Henning. Er lebt in Hamburg, kommt aber regelmäßig in die Hauptstadt, u. a. auch zum Verein Quälgeist Berlin e. V., um dort seinen Fetisch mit anderen Menschen auszuleben. Henning macht Pet Play und hat einen festen „Doggy“, beteiligt sich aber auch an anderen SM-Praktiken. „Ich saß mal am Mehringdamm in einem Café, als eine Gruppe reinkam, darunter einer, der eine Gummizwangsjacke trug. Sie bestellten Kuchen, aßen den und gingen wieder. Kein Mensch hat irgendwas gesagt. Ich kann mir hier in Hamburg nicht vorstellen, dass sich jemand in einer Zwangsjacke in ein Café setzt, ohne dass dies seltsame Reaktionen hervorruft.“
In Berlin ist es sicher einfacher, trotzdem kann man nicht von einer kompletten Akzeptanz von Kinks reden. Das Wort „Kink“ stammt aus dem Englischen und bedeutet ursprünglich „Knick“ oder „Macke“. Damit werden unkonventionelle sexuelle Praktiken jenseits des „Vanilla-Sex” beschrieben. In der Stadt gibt es jede Menge Räume rund um die Themen Fetisch, BDSM und Kink. Und nicht minder viele (Sub)szenen, Communities und Events – vom eher hetero geprägten Spieltreff in Abendgarderobe über schwule Mottopartys wie Leder, Windel- oder Piss-Play bis hin zu queeren BDSM-Playpartys oder Partys nur für FLTI*.
Stigma, Unwissen und Vorurteile
Trotz der Offenheit Berlins haben viele Queers, die sich im weitesten Sinn zur BDSM-Community zählen, auch negative Erfahrungen gemacht. Einige haben den Moment, in dem sie begannen, in ihrem Umfeld zu ihren Vorlieben zu stehen oder sie aktiv auszuleben, durchaus als zweites Coming-out erlebt. So auch Hockney, die in Berlin die FLTI*- Spiel-und-Sexpartyreihe „Femme Fatalities“ organisiert. „Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an das erste Mal, dass ich eine Fetischparty besucht habe“, erzählt sie. „Ich hatte große Angst, obwohl ich einige Leute bereits kannte. Mein Kink war bis dahin immer eine private Angelegenheit. Es war ein Wendepunkt in meinem Leben.“ Bei ihren Eltern ist Hockney zwar als Lesbe, allerdings nicht mit ihrem Kink geoutet. „Das Gleiche gilt für mein berufliches Leben. In bestimmten Bereichen kann man seinen Job verlieren, wenn öffentlich bekannt wird, dass man kinky ist. Man wird erpressbar.”
Katherine Stokes ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und hat sich u. a. auch auf sexpositive Sexualerziehung und sexuelle Gesundheit spezialisiert. „Auch wenn wir heute offener sind, als wir es noch vor einigen Jahren waren, haben wir immer noch konkrete gesellschaftliche Vorstellungen von sexueller Normalität”, sagt sie zum Thema BDSM. „Uns werden von klein auf implizit und explizit gesellschaftliche Normen beigebracht. Ohne diese Normen würde der Begriff des Coming-outs auch keinen Sinn ergeben. Sowohl manche meiner queeren als auch einige meiner kinky KlientInnen durchlaufen einen Prozess innerhalb ihrer persönlichen Entwicklung, in dem sie realisieren, dass diese Normen und Ideen über Sexualität, die sie in der Gesellschaft um sich herum sehen, nicht wirklich zu ihrer eigenen Sexualität passen.”
BDSM ist nicht Gewalt oder Missbrauch
Mit welchen Stigmata oder Vorurteilen sich Menschen mit Kinks konfrontiert sehen, variiere dann auch sehr stark. „Zum Beispiel verwechseln Mainstreammedien oder Menschen außerhalb der kinky Szene manchmal einvernehmliche Macht- oder Schmerzspiele mit Missbrauch. Für Menschen, die solche Vorlieben nicht haben, kann es schwierig sein, dies zu verstehen.” Aber auch Menschen, die kinky Vorlieben haben, hätten manchmal das Gefühl, dass ihre Sehnsüchte ein Grund zur Sorge seien. „Etwa kann sich die Lust einer Frau, unterwürfig zu sein, Schmerz zu empfinden oder dominiert zu werden, mit dem Gefühl verbinden, dass es problematisch sei, solche Lüste zu haben. Manche fragen sich dann, ob ihre Lüste die Manifestierung einer Verinnerlichung bestimmter Formen von Gewalt gegen Frauen sind.” Tatsächlich ist dem nicht so, denn bei BDSM handelt es sich um eine Praxis, die auf Einvernehmlichkeit und Konsens beruht – und eben gerade nicht um ein Gewaltverhältnis.
Henning geht relativ offen mit seinen Vorlieben um, trifft aber trotzdem auf schwierige Situationen. „Bei meinem schwulen Coming-out waren meine Eltern relativ positiv und verständnisvoll. Meine Mutter lebt heute nicht mehr, bei meinem Vater habe ich mal versucht bezüglich meiner kinky Sexualität Dinge zumindest anzudeuten. Mein ,Doggy’ wohnte damals in Mannheim. Der hat seinerseits auch noch einen festen Freund, mit dem er auch eine Kink-Beziehung hat. Entsprechend häufig habe ich von ,meinen Mannheimern’ erzählt. Und da kam irgendwann die Frage, in welcher Beziehung ich denn zu denen stehen würde. Ich dachte: ,O. k., Papa hat was gemerkt, offensichtlich will er es gerade wissen. Fragen wir dennoch mal lieber.’ Ich habe dann gesagt: ,Wie genau möchtest du es denn wissen?’” Die Reaktion des Vaters auf diese Frage machte Hennig schnell deutlich, dass der es lieber doch nicht so genau wissen wollte. „Er sagte: ,Mehr so allgemein.’ – ,Ok, es sind Spielfreunde.’ Und damit war das Thema durch, was ich eigentlich schade fand.”
„Das hat hier nichts verloren“ – Ablehnung auch in queeren Räumen
Normen, die uns suggerieren, wie Sexualität beziehungsweise sexuelle Identität zu sein hat, zwingen sowohl queere als auch kinky Menschen oft in eine Situation, in der sie vor die Entscheidung eines möglichen Coming-outs gestellt werden. Diese Gemeinsamkeit bedeutet jedoch nicht immer, dass die queere Szene für ihre kinky Mitglieder Verständnis aufbringt. Hockney hat in queeren Räumen einige Male Ablehnung gegenüber dem Thema erfahren, weswegen sie sich wohler mit Menschen fühlt, die sich explizit auch zur BDSM-Community zählen: „Wenn ich in meinem kinky Umfeld bin, fühlt sich das wie zu Hause an. Als Femme habe ich mich im lesbischen Mainstream nie wirklich willkommen gefühlt. Aber auch schwule Männer schließen Frauen und trans* Menschen oft aus. Auf Events wie Folsom fühlen wir uns nicht wirklich wohl. Doch in meiner kinky Community fühlte ich mich plötzlich gesehen, wertgeschätzt und begehrt.”
Henning hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Ich war öfters mit meinem Doggy auf CSDs, wir beide im Outfit, mit Maske und Leine. Da kommen dann Sprüche wie: ,Das hat doch auf dem CSD überhaupt nichts verloren.’ Wo, wenn nicht auf dem CSD, hätte es denn überhaupt etwas verloren?” Auch in Berlin hätten Leute aus der LGBTI-Community schon negativ reagiert – und auf die mühsam erkämpfte Akzep- tanz queerer Lebensweisen durch die Mainstreamgesellschaft verwiesen, die man nicht „in Gefahr bringen“ wolle. Der schroffe Tenor: „Was macht das denn für einen Eindruck von uns in der Öffentlichkeit? In meiner Community möchte ich das nicht haben!”
Pride heißt: Wider die Normalität
Dabei ist es wichtig, dass gerade auch auf den CSDs die BDSM-Szene sichtbar gemacht wird, denn die Geschichte der Pride Parades ist eine der Verunsicherung von Normalitäten. Es waren eben nicht die an Heteronormativität und hegemoniale Sexualität Angepassten, die 1969 in der New Yorker Christopher Street den Kampf gegen polizeiliche und staatliche Unterdrückung der queeren Community begonnen haben. Es waren vor allem jene, die „queer” im wahrsten Sinne des Wortes waren – am wenigsten gesellschaftlich angepasst und am stärksten marginalisiert: Dragqueens, trans* Personen, Queers of Color, „feminine” Schwule, „maskuline” Lesben und Sexarbeitende. Alles Menschen, die aus dem, was man als Norm bezeichnen würde, herausfallen. Warum also jetzt diese Rückkehr zur Norm? Nicht zuletzt ist der CSD ein Kampf um die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten. Und bei sexuellen Minderheiten geht es nun mal (auch) um Sex – so sehr wir das vielleicht manchmal unbewusst mit dem Wunsch nach einer heteronormativen Darstellung unserer Bewegung (Stichwort: Ehe für alle) verschleiern möchten.
© Ivan Kuleshov
Die eigene Sexualität feiern
In Bezug auf gesellschaftliche Normen betont Therapeutin Katherine Stokes dann auch: „Wenn die komplette Vielfalt menschlicher Sexualität anerkannt und akzeptiert werden würde, gäbe es kein Bedürfnis nach einem Coming-out.” Gerade in der queeren Community würde man sich eine Akzeptanz der Vielfalt menschlicher Sexualität wünschen. Denn ein Pride-Gefühl ist nicht nur für alle Buchstaben des LGBTI-Alphabets essenziell. „Ich glaube, es ist wichtig, dort, wo es möglich ist, ein Gefühl von Akzeptanz und Freude gegenüber seiner Sexualität zu entwickeln“, erklärt Stokes weiter. „Die eigene Sexualität zu zelebrieren kann ein sehr gesunder und stärkender Teil des Lebens sein. Ob das jetzt eher privat oder öffentlich erfolgt, hängt stark von den Bedürfnissen des jeweiligen Menschen ab.”
Neben der notwendigen Sichtbarkeit sind auch unterschiedliche Play Spaces wichtig für das Überleben der Kink-Szene. Sie spielen eine zentrale Rolle für Coming-out-Prozesse sowie das Ausleben von und Experimentieren mit der eigenen Sexualität. „Ich glaube, Kink ist in Berlin sichtbarer als anderswo”, meint dazu Hockney. „Aber auch hier fängt die Szene an, im Zuge der Gentrifizierung um ihr Überleben zu kämpfen.” Und nicht nur deswegen wäre eine stärkere Solidarisierung von queerer und kinky Szene nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig.