„Noch ist die gesetzliche Lage unzumutbar": Verein TrIQ über die trans*- Freundlichkeit der Parteien
Die LGBTI-Freundlichkeit (oder -Feindlichkeit) der Parteien stand im Vorfeld der Wahlen bereits im Fokus. Meist konzentrierte sich die Berichterstattung jedoch auf die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensentwürfe. Wie steht es mit den Belangen von trans* Menschen? Inwiefern werden diese von den Parteien berücksichtigt?
Der Verein TrIQ – TransInterQueer e.V. hat, anlässlich der Bundestagswahlen, Prüfsteine zusammengestellt, die die Parteien auf trans* relevante Themen testen. Wir haben mit Leo Yannick Wild von TrIQ über die Wahlprüfsteine und die politische Lage hierzulande gesprochen
Leo, ihr von TrIQ habt Wahlprüfsteine erstellt, die den Parteien in Sachen Rechte für trans* Personen auf den Zahn fühlen sollen. Was sind die für euch wichtigsten Punkte aus den Prüfsteinen? Mindestens eine Reform des Transsexuellengesetzes, bestenfalls seine Abschaffung zu Gunsten eines neuen Gesetzes. Noch ist die gesetzliche Lage unzumutbar: Bevormundend, intransparent, zeit- und kostenintensiv und an einen medizinisch diagnostizierbaren „Krankheitswert“ geknüpft, der längst überholt ist. Schlimmstes Übel: der Begutachtungszwang, der vorgibt, „Transsexualität“ könne diagnostiziert werden. Ebenso ist der Support für trans* Geflüchtete zentral. Trans* Geflüchtete haben außer den Problemen, mit denen auch andere Geflüchtete konfrontiert sind, weitere Nöte: zum Beispiel eine unzureichende trans*-spezifische Gesundheitsversorgung während des Asylverfahrens. Auch sind sie nur im Land Berlin als besonders schutzbedürftig anerkannt.
Ihr habt die Parteien SPD, Linke, Grüne, CDU/CSU und FDP unter die Lupe genommen. Wer hat am besten abgeschnitten? Interessant ist, dass in den Antworten auf die Wahlprüfsteine alle der befragten Parteien sich hinsichtlich einer Reform des Transsexuellengesetzes (TSG) positiv äußern – je nach Partei dabei mehr oder weniger weitgehend. Das ist insgesamt erfreulich. Getrübt wird es durch einen Blick in das Wahlprogramm der CDU/CDU, wo weder TSG noch Antidiskriminierungsschutz auftauchen. Bei der Frage nach Support für trans* Geflüchtete lehnen Grüne und Linke das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ ab, in die auch von Gewalt bedrohte trans* Menschen abgeschoben werden können – was in der Praxis auch passiert. Beide Parteien sprechen sich außerdem sehr deutlich gegen weitere Psychopathologisierung aus.
Wie steht es mit der AfD und anderen, kleineren Parteien? Wir haben uns bewusst an CDU, SPD, Linke, Grüne und FDP gerichtet, die wir als wichtige Player für eine TSG-Novelle wahrnehmen. Von BVV-Abgeordneten der AfD haben wir hingegen schon absurd-feindselige Mails erhalten, und wir verstehen TrIQ außerdem auch als einen Ort, an dem Rassismus und rechtspopulistische Weltanschauungen keinen Platz haben. Im Wahlprogramm der AfD ist anstelle des Themas „Geschlechtervielfalt“ die Rede von „staatlichen Umerziehungsmaßnahmen“ und „sexuellen Vorlieben lauter Minderheiten“ – nichts von TSG, Antidiskriminierung und Menschenrechten. Das ist ablehnend und ignorant genug.
Wie beurteilt ihr, ganz allgemein, die Berücksichtigung der Belange von trans* Menschen auf der politischen Bühne? Mit der interministeriellen Arbeitsgruppe, die von 2014 bis 2017 tätig war, haben Trans*-Themen bundespolitisch deutlich Gewicht bekommen: zwei Gutachten in deren Auftrag, eines vom Deutschen Institut für Menschenrechte und eines der HU, machen unmissverständlich klar: das TSG hat restlos ausgedient. Auch die Vernetzung von Trans*-Projekten hat großen Aufwind bekommen, mit jährlichen Treffen im Waldschlösschen seit 2013, die 2015 zur Gründung einer Bundesvereinigung (der Bundesvereinigung Trans*, Anm. der Red.) geführt haben. Das EU-Recht stellt den Aspekt der Menschenrechte viel stärker ins Zentrum, das schafft uns eine wesentlich sicherere Verhandlungsbasis mit der deutschen Politik.
Wie schneidet Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ab? Von über 40 Kriterien für ein menschenrechtskonformes Verfahren erfüllt Deutschland keine 20. Das hat eine Checkliste von Transgender Europe, dem europäischen Dachverband von Trans*-Organisationen, ergeben, das ist ein „Mangelhaft“. Das Gesetz in Malta gilt als vorbildhaft, denn es sieht maximal 30 Tage für das ganze Prozedere der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts vor, ohne jede Begutachtung, und einfach auf Grundlage einer Selbstauskunft. Auch etwa in Dänemark und Norwegen wird inzwischen auf „Begutachtungen“ komplett verzichtet. Drunter ist zu wenig.
Was braucht es, damit die relevanten Themen weiter nach oben auf die politische Agenda kommen? Ohne politischen Willen ist kein TSG zu reformieren, das heißt, es gilt weiterhin, was TrIQ und andere Akteur*innen im Feld unablässlich tun: Wissen mit Politiker*innen teilen, an Fachtagen Position beziehen, europäische Meilensteine auf den deutschen Kontext übertragen, aus menschenrechtlicher Perspektive argumentieren und Widerstände knacken. Kurze Drähte zu Fachpolitiker*innen entwickeln und pflegen. Vor der Wahl Kandidat*innen und andere Parteivertreter*innen im Gespräch halten – auch am Parteistand am Hermannplatz oder Ostkreuz. Was im nächsten Koalitionsvertrag stehen wird, entscheidet darüber, ob und wie menschenrechtskonforme Gesetzgebung für trans* Menschen in Deutschland konkret umgesetzt wird. Jetzt liegt alles vor, das es braucht, um gesetzgeberisch zu handeln. Keine Ausreden mehr.
Die Reform des „Transsexuellengesetzes" wird vermutlich in der nächsten Legislaturperiode kommen. Was wird sich dadurch ändern? Das hängt davon ab, wie weit die Koalitionsparteien des nächsten Bundestags den politischen Forderungen von Trans*-Communities und den Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte oder der Humboldt-Universität folgen. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es noch, man wolle die Bedarfe von trans* Menschen „in den Fokus nehmen“, was übersetzt werden kann mit: „anschauen“. Was getan werden muss und dringend ansteht, ist dagegen sehr konkret: Schluss mit Begutachtungszwang, weg mit dem gerichtlichen Verfahren. Stattdessen: Selbstbestimmung und ein Antragsverfahren, das schnell und transparent beim Standesamt durchgeführt wird statt vor Gericht. Das Minimum, das kommen muss, ist der Verzicht auf Begutachtungen, und Verstöße gegen das Offenbarungsverbot müssen als Ordnungswidrigkeit finanziell sanktioniert werden. Auch rechtliche Lösungen für nicht-binäre Menschen sind nötig, werden aber gern mal als „zu radikal“ und gegenwärtig nicht erreichbar abgetan.
Zum Schluß noch eine Frage in eigener Sache: TrIQ musste ja im Juni aus den alten Büroräumen in der Glogauerstraße ausziehen. Habt ihr inzwischen neue Räume gefunden? Gentrifizierung sucks. Wir suchen und suchen, zusammen mit dem Verein Trialog e.V. aus unserer alten Kreuzberger „WG“. Parallel läuft die Arbeit natürlich weiter: viele Beratungen von und für trans* und inter* Menschen, der Treff für trans* Sexarbeiter*innen, Veranstaltungen und Gruppen bei befreundeten Projekten, z.B. heute Abend, bei unserem Talk zu den Wahlprüfsteinen, zu Gast im Aquarium, oder bei ABqueer. Doch es muss wieder ein zentrales Trans*-Inter*-Zentrum her. Sachdienliche Hinweise für Räume ab 200 qm sind sehr gern gesehen.
Interview: Franziska Schulteß
http://www.transinterqueer.org/
TrIQ-Talk zur Wahl: Heute 19 Uhr, im Aquarium, Skalitzer Str. 6, freier Eintritt
Mit: Carsten Sura (CDU, stellvertretender Bundesvorsitzender der LSU), Lea Lölhöffel (SPD, SPDqueer Berlin), Bodo Niendel (Die Linke, Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion), Anja Kofbinger (Bündnis 90/Grüne, MdA, Sprecherin für Frauen-, Gleichstellungs- und Queerpolitik) und Sebastian Ahlefeld (FDP, Sprecher der FDP Schöneberg für Bürger- und Menschenrechte und LGBTI), sowie Faustin Vierrath und Leo Yannick Wild von TrIQ e.V.
TrIQ-Video zu den Wahlprüfsteinen: https://www.facebook.com/triqberlin/videos/1392974100810211/