Kommentar zum Pride

Flagge zeigen! Aber welche? – Der Streit um die Regenbogenfahne

18. Juli 2017

Um die Gefahr von Schnappatmung sofort zu reduzieren, gleich vorweg: Niemand hat die Absicht, die Regenbogenflagge grundsätzlich zu verändern. Das geht auch gar nicht, da es kein Komitee gibt, das dies verfügen könnte. Es handelt sich ja nicht um eine Staatsflagge, sondern ein weltweit eingeführtes Symbol. Verändert hat sich jedoch, dass die gemeinsame Blickrichtung auf eine universale Utopie ersetzt wurde durch individuelle Sichtbarkeitspolitik unter dem Symbol des Regenbogens.

Dass dieser stillschweigend geschehene Wandel nicht schon früher diskutiert wurde, ist ein politisches Versäumnis. Aber angesichts des Umstandes, dass Regenbogenflaggen auch verboten werden oder gar verbrannt, hatte dies keine wirkliche Priorität. Dass sich die nötige Auseinandersetzung nun ausgerechnet an einem Davidstern, wie beim Dyke March in Chicago, und zwei addierten Streifen in schwarz und braun, wie bei dem Import der „Philly-Flag“ zum Berliner CSD, entzünden musste und nicht an den zahlreichen Firmenlogos auf den Regenbogenflaggen, ist sicherlich kein Zufall. Dennoch werden nicht nur Konflikte sichtbar, sondern sie werden auch produziert.

Erfunden wurde die Regenbogenflagge von dem im März leider verstorbenen Künstler Gilbert Baker, der seine Idee übrigens auch nie schützen ließ, damit der weiteren Ausgestaltung keine Grenzen durch Markenrechte oder Puristenspießigkeit gesetzt sein würden. Baker wollte keinen Stammtischwimpel, er wollte eine andere Welt. Dass nun „seine“ Fahne als Symbol für eine weiße, (cis-)schwule Vorherrschaft gedeutet wird oder ein hinzugefügter Davidstern antisemitisches „Unwohlsein“ auslösen würde, ist absurd und stellenweise schon böswillig.

Die tatsächliche Menschenrechtslage für LSBTTIQ weltweit verbessert sich nicht ohne die zum Teil todesmutige Eigenleistung der Menschen in diesen Ländern, die für ihre Freiheiten kämpfen, und Inhaftierung, Folter oder auch Todesstrafe riskieren. Auch diesen Menschen gibt die in Farben formulierte Utopie des Regenbogens Sichtbarkeit, Zugehörigkeit und Hoffnung zugleich.

Und das gilt nicht nur in Ländern wie Tschetschenien, sondern auch in Deutschland: Am vergangenen Wochenende tobten 6.000 Rechtsradikale und FaschistInnen auf einem Festival im Thüringer Themar. Einige hundert Menschen trauten sich eine Gegendemonstration angesichts dieser Übermacht. Unter ihnen wehte eine Regenbogenflagge selbstbewusst und trotzig. Ein starkes Zeichen an alle, die sie gesehen haben: von den FaschistInnen bis hin zu den LSBTTIQ-Personen in der Ortschaft, die an diesem Wochenende vor Angst ihre Wohnung nicht verlassen konnten und die sich in ihrem Alltag mehrmals überlegen, ob sie sich einen Regenbogensticker ans Auto kleben und es höchstwahrscheinlich lieber lassen, weil sie vielleicht Kinder und ihre GegnerInnen keine Skrupel haben. Und wer sagt auch, dass diese in ihren ländlichen Gemeinden bedrohten LSBTTIQ-Personen überhaupt alle weiß sind?

In einem Interview mit dem Museum of Modern Art in New York erklärte Gilbert Baker 2015: „Der Regenbogen ist so perfekt, weil er so gut zu unserer Vielfalt in Bezug auf Rasse, Geschlecht, Alter und so weiter passt". So stehen die Farben auch nicht für Personen und Eigenschaften, sondern symbolisieren menschliche, verbindende Grundbedürfnisse. In der aktuellen Fassung: Rot = Leben, Orange = Gesundheit, Gelb = Sonnenlicht, Grün = Natur, Königsblau = Harmonie, Violett = Geist. Baker sah in seiner universellen Utopie noch die Farben Pink = Sexualität und Türkis = Kunst vor. Diese beiden Farben fielen den damaligen Produktionsmöglichkeiten zum Opfer. Angesichts einer strategisch unklugen und in vorauseilendem Gehorsam geschehenen Entsexualisierung, der die Hoffnung auf verbesserte Chancen bei der Privilegienverteilung zugrundlag, sowie der elitären Kunstpolitiken sollte die Reintegration dieser beider Farben dringend wieder auf die Agenda einer Community, die sich und ihre Geschichte ernst nimmt.

Das Visionäre und Fortschrittliche an Bakers Flaggenentwurf ist nicht nur, dass diese Utopie jeden Menschen sehen will, sondern dass er auch herzensbegabt ohne additive Farben und Symbole auskommt und dennoch diese zulässt. Gruppen können sich entscheiden, sich innerhalb des Regenbogens darzustellen. Denn Sichtbarkeit selbst ist ein starkes menschliches Bedürfnis.

So kann es auch eine „Philly-Flag“, die Regenbogenflagge um einen braunen und einen schwarzen Streifen erweitert, geben, die die Solidarität mit POC (People of color) und ihren Kämpfen um Sichtbarkeit und Anerkennung demonstriert und POC eine Möglichkeit gibt, selbstbestimmt als solche an der Utopie teilzunehmen. Genauso haben eine Doppelaxt, ein Davidstern oder sogar das Logo der Deutschen Bank auf der Flagge ihre Daseinsberechtigung. Ebenso eigenständige und durchdachtere Farbkreationen wie die Trans-, Bisexuellen, Poly-, Asexuellen-Flagge und andere.

Was aber nicht sein darf ist eine Konkurrenz auf dem Niveau von „Meine Flagge ist besser als deine!“ und „Wenn du nicht unter meiner Flagge marschierst, dann bist du gegen mich!“ Da braucht es keinen Holzhammer, um dieses kleingeistige Laubenpieperdenken zu entlarven. Innerhalb der Community einen „Flaggenstreit“ vom Gartenzaun zu brechen und zu reden, wessen CSD der „gerechtere“ ist, ist das Gegenteil von Gemeinschaft, es zerstört das wenige, was wir bisher erreicht haben.

Stephanie Kuhnen


Stephanie Kuhnen (c) Martin Pelzer


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