Kommentar

„Halb so wild“: Bundestag findet, Marokko, Tunesien, Algerien sind sichere Herkunftsstaaten

13. Mai 2016

Silvester kam es auf dem Domplatz in Köln zu massenhaft sexuellen Übergriffen, die eher diffus einer neu geschöpften Angriffsrasse „nordafrikanischer Männer“ zugeordnet wurden, welche seither von der Panikjournaille um Alice Schwarzer und Wutbürgern aus allen Lagern als „Flüchtlinge“ bezeichnet werden, was so nicht ganz korrekt ist (es handelt sich größtenteils um „Illegale“, aber Begriffe sind inzwischen auch schon wurscht), aber zumindest zu einer längst überfälligen „Nein heißt Nein“-Debatte im Sexualstrafrecht führte. Doch der Volkszorn wäre kein Volkszorn, würde er nicht breitgefächert gewittern, und so beschränkte sich die Debatte nicht auf Gewalt gegen Frauen und unterbesetzte Behörden, sondern kochte das beliebte Thema der Asylkritik wieder hoch; schließlich sind „wir“ es ja, die sich diese fiebrigen Sexmonster ins Land holen.

Heute beschloss der Bundestag als Reaktion auf den öffentlichen Diskurs und wohl auch den Rechtsruck der Gesellschaft, die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsländer einzustufen. Dieses Vorgehen als blinden Aktionismus zu werten, ist reichlich untertrieben. In allen drei Staaten wird die Folter als gängige Verhörmethode praktiziert, dazu zählen das Ziehen von Fußnägeln und Rasur per Zange. Meinungs- und Demonstrationsfreiheit existieren, wenn überhaupt, nur auf dem Papier. Das Praktizieren von Homosexualität wird mit hohen Haftstrafen geahndet. Im Falle von Algerien ist das allerdings „halb so wild“, denn, so in einer Erklärung der Bundesregierung: „Eine systematische Verfolgung homosexueller Personen (verdeckte Ermittlungen etc.) findet nicht statt. Homosexualität wird für die Behörden dann strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird.“ Gut zu wissen. Das zeigt deutlich die auch hierzulande noch gängige Geisteshaltung, dass mich nicht heiß macht, was ich nicht weiß.

Dementsprechend auch die mediale Diskussion des fragwürdigen Beschlusses: Die Verfolgung gleichgeschlechtlich Liebender findet kaum Erwähnung. Insgesamt erscheint die Berichterstattung ohnedies reichlich zahnlos, so als bringe sich jeder, der die Einstufung kritisch betrachtet, in den Verdacht, Frauenhasser und/oder linksversifftes Lügenpresseorgan zu sein. Um eines klarzustellen: Die Übergriffe von Köln sind zu verurteilen und strafrechtlich zu ahnden. Da es sich um einen so noch nicht dagewesenen, organisierten Missbrauch handelte, gilt es, Vorbeugungen zu treffen, die eine Wiederholung erschweren. Der heutige Beschluss trägt mit nichts dazu bei. Nun kommt es auf die Haltung der roten und grünen Ministerpräsidenten an, ob er auch die nötige Mehrheit im Bundesrat findet.

Daniel Call

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