SIEGESSÄULE präsentiert

Besinnung auf die eigenen Wurzeln: Die Previews von „Roots“ am Chamäleon laufen

6. März 2016

06.03. – Auf seiner unermüdlichen Suche nach den spannendsten Entwicklungen des „Neuen Zirkus“ hat es das Chamäleon diesmal nach Prag verschlagen. Seit 2009 mischt dort der Cirk La Putyka die etablierte Zirkus- und Theaterszene auf. Für das Chamäleon hat der Gründer und Regisseur Rostislav (Rosta) Novák eine eigene Show namens „Roots – family stories“ kreiert, in deren sinnenfrohes Spektakel man nun eintauchen kann. Wir haben vorab mit ihm gesprochen

Der „Neue Zirkus“ versucht neben zeitgenössischer Artistik und frischen Showeinlagen immer auch eine Geschichte zu erzählen. Was ist der rote Faden für Roots? Roots ist inspiriert von meiner Familiengeschichte. Seit bereits acht Generationen pflegt die Familie meiner Mutter das Puppenspiel. Damals zog meine Familie mit ihrem Wagen von Stadt zu Stadt. Das nomadische Leben ist hart, kann aber auch sehr poetisch sein: Man ist immer unterwegs, immer in der Natur. Meine Großmutter ist sogar im Puppenspieler-Wagen geboren worden. „Roots“ ist von dem romantischen Leben des fahrenden Volkes inspiriert. Und von altmodischen Zirkusnummern, wie den Freakshows oder dem „stärksten Mann der Welt“, der bis zu sieben andere Menschen in die Höhe stemmen kann. Dabei überschreiten wir auch immer wieder die starre Grenze zwischen Bühne und Publikum. Früher waren die Artisten auch immer viel näher an den Zuschauerinnen und Zuschauern dran, von Auge zu Auge nur zehn Zentimeter!

Die Idee eine eigene Show für Berlin zu produzieren kam vom Chamäleon selbst. Aber es gibt auch einen persönlichen Anlass für Roots.  Richtig: Letztes Jahr im Januar ist meine Wohnung komplett abgebrannt. Innerhalb von wenigen Minuten habe ich alles verloren, meine ganze Vergangenheit. Dann habe ich beschlossen, mich in dem neuen Stück mit meinen Wurzeln zu befassen. Der zweite Teil spielt dann aber ganz im Hier und Jetzt, in Berlin, im Chamäleon. Mit dem Sound des 21 Jahrhunderts, modernen Kostümen, zeitgenössischer Choreografie und wilden Lichtinstallationen. Dabei geht es dann um die echten Lebensgeschichten der acht Akteure. Es ist eine international gemischte Truppe. Fünf sind von Anfang an beim Cirk la Putyka mit dabei, zwei Schauspieler und drei Akrobatinnen und Akrobaten. Hinzugekommen ist ein US-amerikanischer Zirkuskünstler. Und drei Schwedinnen. Das ganze wird also eine bunte, surreale Collage.

Wie suchst du deinen Cast zusammen? Ich mag keine Artisten, die nur eine einzige Fähigkeit haben. Bei mir muss jede und jeder immer auch etwas Neues dazulernen. Deshalb arbeite ich gerne mit Multi-Talenten zusammen. Jeder muss auch singen und tanzen. Zur Unterstützung arbeite ich mit einer Choreografin und einem russischen Schauspiellehrer zusammen. Insgesamt arbeiten wir seit fast einem Jahr an der Show mit einer intensiven Probezeit von sechs Wochen.

Neben Trampolin, Trapez und Barren kommt aber noch einiges anderes zum Einsatz. Worauf kann sich das Publikum freuen? Wir zeigen Animationen, die wir vorher kreiert haben. Und die Puppen meiner Familie kommen zum Einsatz, die teilweise 140 Jahre alt sind.

Es geht in der Show viel um Wurzeln und Traditionen. Hattest du auch mal eine Phase im Leben als du gegen als das rebelliert hast? Oh ja! Bis zu meinem 18. Lebensjahr lebte ich in ständiger Opposition zu meiner Familie.  Ich war ein schwieriges Kind, kaum zu bändigen, hyperaktiv. zAls Teenager wollte ich dann unbedingt Profisportler zu werden. Ich schwamm viel und wurde Zehnkämpfer. Meine Großmutter war trotzdem sicher, dass ich Puppenspieler werden würde, genau wie sie. Aber das war damals undenkbar für mich. Dann aber verletzte ich mich so schwer, dass ich die Sportkarriere aufgeben musste. So wurde ich dann zunächst Schauspieler. Dass ich schließlich dann doch zum „Neuen Zirkus“ fand, hat meine Großmutter leider nicht mehr erlebt.

Wie es es dazu gekommen? Zunächst war ich beim zeitgenössischen Theater und Tanz. Drei Jahre habe ich am Nationaltheater gespielt. All das gibt mir Inspiration für meine Regiearbeit. Deswegen benutze ich auch all diese verschiedenen Techniken in meinen Inszenierungen. Es gut zu wissen, wie sich eine Rolle in einem klassischen Stück anfühlt. Um gut vor und hinter der Kamera zu sein. Allein letztes Jahr habe ich auch in drei Filmen mitgespielt. Mein Leben ist also irgendwie eine Art Zehnkampf geblieben. Meine erste Regiearbeit im Sinne des „Neuen Zirkus“ habe ich 2009 gemacht: „La Putyka“, die „kleine Kneipe“, nach der wir uns dann auch benannt haben. Damals war es gleich ein Überraschungerfolg. Alles hat irgendwie zusammengepasst.

In Deutschland kann Zirkusarbeit nicht auf staatliche Unterstützung zählen. In Prag scheint das anders zu sein. Wir zahlen für die alten Schlachthallen im Nordosten von Prag, die „Janka 78“, keine Miete an die Stadt. Und auch das Kulturministerium unterstützt uns. Trotzdem: Obwohl immer alle Vorstellung ausverkauft sind, bliebt unterm Strich nicht übrig. Alles wird sofort wieder reinvestiert.

Interview: Carsten Bauhaus

SIEGESSÄULE präsentiert: Roots – family stories, mit der tschechischen Kompanie Cirk La Putyka, 27.02.–16.03. (Previews), 17.03. (Premiere), ab 18.03. Di–So, Chamäleon

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