Nachruf

Zum Tod von LGBTI*-Aktivist Christian Pulz: „Zeichen der Menschlichkeit“

19. Apr. 2021 Wolfgang Beyer
Bild: Wolfgang Beyer
Christian Pulz

Christian Pulz war Aktivist der Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR und geriet deshalb in den Fokus der Staatssicherheit. Zeit seines Lebens blieb er engagiert. So war er Mitbegründer der GayChurch Berlin und gab die Inspiration für die Berliner Pride-Sterndemo und den East Pride Berlin am 26. Juni 2021. Am 15. April verstarb er im Alter von 76 Jahren. Wolfgang Beyer, Aktivist und Sprecher der GayChurch und Co-Organisator des East Pride Berlin, hat Pulz einen Nachruf gewidmet

Am frühen Morgen des 15.April 2021 hat ein Mensch diese Welt verlassen, der viele Menschen bewegt hat, der die Kraft hatte, uns vorzuleben, welch gewaltige Macht im Schwachsein verborgen ist. Christian Pulz war sein Name.

Christian war ein schwuler Mann und Christ. 1944 geboren in Plauen, begann er seinen ersten Widerstand in einem atheistischen Staat, indem er sich entschied, evangelische Theologie an einem damals halblegalen kirchlichen Seminar in Leipzig zu studieren. In der DDR bedeutete diese Entscheidung in den 1960er Jahren, dass man keine andere berufliche Perspektive haben würde als in der Kirche. Es war die Zeit, als auch noch in der DDR der §175 galt. Durch einen Mitstudenten wurde Christian Pulz beim Rektor des kirchlichen Seminars denunziert mit der Behauptung, er habe ihm homosexuell näher kommen wollen. Dies hatte zur Folge, dass Christian nahegelegt wurde, seine Homosexualität nicht öffentlich zu machen.

Christian konnte diesem Druck nicht standhalten. Er wurde – wie er es später selber immer wieder erzählte – aus dem Paradies vertrieben, aus der kirchlichen Heimat, die er in diesem Seminar gefunden hatte, hinausgeworfen. Das war im Jahr 1967.

„Die Tür zu echter Menschlichkeit immer wieder zu öffnen, nicht nur im eigenen Herzen, sondern auch in dem vieler anderer Menschen, das war das Leben von Christian“

Erst über zehn Jahre später, im Jahr 1981, begann Christian, schwule Männer, die sich regelmäßig am Leipziger Rathaus an einer Klappe trafen, zu versammeln. Dort lernte er den jungen Eduard Stapel kennen. Der studierte damals auch Theologie. Gemeinsam mit anderen bildeten sie nach dem Vorbild des Buches „Coming-out“ von Martin Siems aus dem Rowohlt Verlag über ein Jahr lang eine Selbsterfahrungsgruppe. Dabei ging es darum, sich über die eigenen Gefühle und ihre Ursachen klarer zu werden. Im Zentrum stand ein neuer Umgang mit verinnerlichtem Selbsthass. Statt der Frage, welche Ursache Homosexualität habe, wurde nun Antihomosexualität und die tiefsitzenden Vorurteile gegenüber einem offenen Umgang mit homosexuellen Gefühlen thematisiert. Es war ein Bekenntnis zur eigenen Schwäche, dass die Tür zu einem Wachstum hin zu echter Menschlichkeit aufstieß. Diese Tür immer wieder zu öffnen, nicht nur im eigenen Herzen, sondern auch in dem vieler anderer Menschen, das war das Leben von Christian.

In Folge dieser Selbsterfahrung entstand dann im April 1982 bei der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig die erste kirchliche, von Homosexuellen selbstbestimmte Gruppe. Zu der ersten Veranstaltung im April kamen hunderte von Menschen, die endlich frei sprechen wollten über Fragen der Homosexualität, in einer Weise, die bis dahin unmöglich war in der DDR. Im selben Jahr zog Christian Pulz nach Ost-Berlin. Er hatte das Ziel, auch dort eine homosexuelle Gruppe zu gründen.

Im Frühjahr 1983 ging Christian Pulz zusammen mit Bettina Dziggel, Marina Krug, Ulrich Zieger und anderen zu dem bekannten Pfarrer Eppelmann. Die Samaritergemeinde in Friedrichshain war über die Grenzen hinweg bekannt für ihren Friedenskreis und die Blues-Messen, bei denen hunderte junger Menschen zusammenkamen und ihrer Sehnsucht nach einer freien und offenen Gesellschaft Ausdruck verliehen. Genau an diesem Ort wollte Christian eine selbstbestimmte homosexuelle Gruppe aufbauen. Leider scheiterte dieses Vorhaben, obwohl Pfarrer Eppelmann nach den Aussagen von Christian Pulz ein Verfechter der Idee war. Die Ursachen für das Scheitern liegen bis heute im Dunkeln. Sie gehören noch immer ins Licht gebracht.

Erster Protest von Lesben und Schwulen in der DDR

Jedoch gelang es Christian, in der Samaritergemeinde zu einem Besuch der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen aufzurufen. Dort mussten im Nationalsozialismus Homosexuelle Zwangsarbeit leisten, an deren Folgen etliche starben. Eine kleine Schar von 13 Personen fand sich im Mai 1983 zusammen, um den verfolgten und ermordeten Homosexuellen Ehre zu erweisen. Dieses Ereignis war der Beginn einer umfangreichen Überwachung von Christian Pulz durch die Staatssicherheit der DDR. Sie zielte darauf, nicht nur Christian, sondern die gesamte emanzipatorische Bewegung von Homosexuellen zu zersetzen und die Bewegung zu spalten.

Durch einen Auftritt der Mitstreiter*innen um Christian im selben Jahr bei der kirchlichen Friedenswerkstatt konnten Lesben und Schwule in der kirchlichen Öffentlichkeit – darüber hinaus aber auch gegenüber westlichen Journalist*innen – ihre Interessen formulieren. Das geschah in Form das Grundsatzpapiers „Zur schwulen Realität in der DDR“, das Ulrich Zieger verfasste, und dem im selben Jahr etwas später verfassten „Arbeitspapier“ der „Lesben in der Kirche“ zur Situation von Lesben in der DDR. Der Text von Zieger wurde dann über einen kanadischen Journalisten im Westen unter dem Titel „Coming-out im Vakuum“ veröffentlicht.

Die Gruppen Lesben und Schwule in der Kirche

Während der Friedenswerkstatt 1983 bot der damalige Gemeindepfarrer Walter Hykel seine kleine Philippus-Kapelle in Berlin-Hohenschönhausen als Treffpunkt für Lesben und Schwule an. Dort, am Rande Ost-Berlins in einer kleinen Kirche, entstanden die „Lesben in der Kirche“ und die „Schwulen in der Kirche“. Der Rosa Winkel war das Zeichen auf der ersten Einladung für den 17.Juli 1983. Von dieser Veranstaltung, zu der ebenfalls viele erschienen, ging ein Impuls aus – auf Menschen wie z. B. Ursula Sillge – um auch außerhalb der Kirche für lesbische oder schwule Gruppen zu kämpfen.

Als „Lesben in der Kirche“ und „Schwule in der Kirche“ haben sich Lesben und Schwule in Ost-Berlin ganz bewusst für eigenständige Wege entschieden. Es war Christian ein großes Anliegen, dass Lesben ihre eigenen Interessen als Lesben formulieren. In Ost-Berlin wurden sie an der Gethsemanekirche bald zu einer ebenso gefürchteten wie bewunderten Gruppe von selbstbewussten Kämpferinnen für lesbische Sichtbarkeit. Die Gruppe um Christian fand ihren Ort an der Treptower Bekenntniskirche. Der Gemeindepfarrer Werner Hilse war ein großherziger Unterstützer und hat die Arbeit der „Schwulen in der Kirche“ voll mitgetragen.

„Seinen Drang, Menschen zum freien und offenen Umgang mit der eigenen Sexualität zu bewegen, konnte aber niemand unterbinden“

Christian Pulz hatte in der DDR nicht die Möglichkeit, das Thema seines Lebens auch zu seinem Beruf zu machen. Das haben sowohl kirchliche wie auch staatliche Kräfte mit aller Gewalt verhindert. Seinen Drang, Menschen zum freien und offenen Umgang mit der eigenen Sexualität zu bewegen, konnte aber niemand unterbinden. Trotz der großen Widerstände und Angriffe, denen er Zeit seines Lebens ausgesetzt war, hat er ein bleibendes Zeichen der Menschlichkeit inmitten eines autoritären Staates gesetzt. Er fungierte nach dem Ende der Diktatur in Ostdeutschland für Bündnis 90 /Die Grüne (AL) im Berliner Abgeordnetenhaus unter anderem als schwulenpolitischer Sprecher.

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