Nachruf

Zum Tod von Egmont Fassbinder: Warmherziges Unikat

17. Mai 2023 Jim Baker
Bild: Jim Baker
Egmont Fassbinder, 1990

Als Verleger und Aktivist war Egmont Fassbinder einer der wichtigsten Figuren der deutschen Schwulenbewegung. Am 15. Mai starb er im Alter von 77 Jahren. Ein Nachruf von Jim Baker vom Querverlag, der seine Lehrjahre als Buchhändler in Fassbinders Verlag rosa Winkel verbrachte

Der Kaffee wurde selbstredend im feinsten Meißner Zwiebelmusterporzellan serviert. Dazu reichte mir Egmont Fassbinder Leckeres aus der 5. Etage des KaDeWe und fragte mich zu meinen Kenntnissen der Schwulenbewegung fast zwei Stunden lang aus. Was mir 1990 als stil- und anspruchsvoller Einstieg in meine Lehrjahre beim legendären Verlag rosa Winkel in Erinnerung bleibt, stand jedoch in einem starken Kontrast zu dem überbordenden Chaos, das sonst in den Verlagsräumen der Wilmersdorfer Kufsteiner Straße, die Egmont zugleich als Privatwohnung dienten, stets herrschte.

Möchte man die Geschichte der Westberliner Schwulenbewegung erzählen, kommt man ohne Egmont Fassbinder kaum aus: Als einer der Gründerväter der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), des Schwulen Museums, des Waldschlösschens und des Bundesverband Homosexualität galten für Egmont der Kampf um homosexuelle Emanzipation sowie die Dokumentation schwuler Geschichte, Literatur und Kultur als Leitstern und oberstes politisches Ziel – im privaten wie im beruflichen Leben.

Seine Sammelleidenschaft – manche würden es eher als Manie beschreiben – sorgte dabei für vollgestopfte Bücherregale, Schubladen, die vor Flugblättern, Plakaten, ungeöffneten Mahnbescheiden und Kondomen sich kaum noch schließen ließen, sowie Stapel um Stapel an Zeitschriften und Zeitungen, die den täglichen Gang von der Wohnungstür bis zu meinem Schreibtisch zu einem schier unberechenbaren und durchaus gefährlichen Slalom machte.

Bücher und gutes Essen

Bei Egmont lernte ich die großen Namen im schwulen Literaturkanon kennen: Magnus Hirschfeld, Ralf König, Felix Rexhausen, Elvira Klöppelschuh, Guy Hocquenghem, Friedrich Kröhnke, Michael Sollorz, um nur einige wenige stellvertretend zu nennen. Darüber hinaus brachte mir Egmont während meiner Ausbildung zum Verlagsbuchhändler das Handwerk bei – zwar nicht immer pädagogisch prüfungsgerecht, dennoch um so lehrreicher und nach eigenen, sehr individuellen Maßstäben und Schwerpunkten. Ein Glück, dass seine Küche nur wenige Meter entfernt war, denn auf feinste Zutaten und liebevolle Zubereitung legte Egmont immer viel Wert. Seitdem gehört gutes Essen für mich zum Büchermachen.

Viele seiner unverwechselbaren Eigenschaften fallen mir ein, wenn ich heute – über dreißig Jahre später – über meine Jahre als Egmonts Verlagsmitarbeiter nachdenke: seine verblüffende Knauserigkeit, wenn es sich um Geschäftsdinge handelte, im starken Kontrast zu seiner unglaublichen Großzügigkeit, wenn es darum ging, das Leben in vollen Zügen zu genießen; seine Devise: Betriebsausflüge in die Sauna werden selbstverständlich vom Verlag übernommen – Verlag rosa Winkel verstand sich schließlich als Organ der Schwulen Bewegung.

Der Alptraum eines jeden Steuerberaters

Seine Fähigkeit, seitenlange Gedichte – auch auf Alt-Griechisch – zum besten zu geben, dabei die Arme stets musterschülerhaft vor dem Bauch verschränkt, den Kopf Putten ähnlich leicht nach links geneigt. Dabei überschattete sein Idealismus immer den Pragmatismus, was allerdings einem kaufmännischen Unternehmen nicht selten zum Nachteil geriet, denn Egmont war der Alptraum eines jeden Steuerberaters, der versuchen musste, Ordnung – irgendeine Ordnung! – in die Buchhaltung zu bringen, während Autor*innen mich verzweifelt anriefen, ich möge Egmont einen Zettel aufs Kopfkissen legen, damit er ihnen vielleicht mal ein bisschen Geld überweist.

In den Jahren seit der Stilllegung des Verlags rosa Winkel ist es leider immer leiser um Egmont geworden. Er widmete sich mit Hingabe der Dokumentation und Aufarbeitung der Geschichte der HAW, sammelte weiter fleißig Kochrezepte und Zwiebelmusterporzellan, kämpfte wie viele andere auch gegen das Alter und das Älterwerden an. Doch für mich, der das Glück hatte, auch nur ein kurzes Stück gemeinsamen Lebenswegs mit ihm zu gehen, wird Egmont Fassbinder als kauziger Mentor, geschichtsbewusster Chronist, großzügiger Gründervater und vor allem als warmherziges Unikat in Erinnerung bleiben.

Am 15. Mai um 14 Uhr ist Egmont Fassinder im Beisein seines großen Bruders im St.-Hedwig-Krankenhaus verstorben. Er wurde 77 Jahre alt.

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