Zum Tod einer queeren Punk-Ikone: Tabea Blumenschein
Ende letzter Woche starb die Berliner Künstlerin und Schauspielerin Tabea Blumenschein im Alter von 67 Jahren. Durch ihre künstlerische Arbeit in der Performancegruppe „Die Tödliche Doris“ und ihre Rollen in bedeutenden queeren Filmen wie „Madame X – Eine absolute Herrscherin“ (1978) und „Bildnis einer Trinkerin“ (1979) wurde sie zu einer zentralen Figur der Kunstszene in den späten 70er- und 80er-Jahren. Philipp Meinert, Autor des Buchs „Homopunk History“, würdigt ihre Arbeit
Wenn Punk seine Vorläufer*innen in Persönlichkeiten wie Iggy Pop, Lou Reed oder Patti Smith hat, hatte die feministische Punkrevolution Riot Grrrl eine Vorläuferin in Tabea Blumenschein. Sie war sexpositiv und queer, als es die Begriffe noch gar nicht gab. Vergangene Woche starb Tabea Blumenschein im Alter von 67 Jahren friedlich in ihrer Wohnung.
Berühmt geworden mit der Hauptrolle in Ulrike Ottingers Film „Bildnis einer Trinkerin“, fand die Blumenschein ihr Publikum bei Partys im Risiko, dem Dschungel oder dem SO36 im wilden Berlin der Achtziger. Sie mischte mit in der Avantgarde-Punkszene der Genialen Dilletanten von Wolfgang Müller und war Mitglied der wohl wichtigsten Gruppe dieser Szene, der Tödlichen Doris. Sie drehte den ZDF-Film „Zagarbata“ und entwarf für Andy Warhol und Claudia Skoda Kleider. In einer Zeit, als es noch keine Hella von Sinnen, Anne Will oder Dunja Hayali in den Medien gab, sprach sie mit dem „Stern“ angekleidet oder in dem Erotikheftchen „High Society“ entkleidet über ihr lesbisches Leben. Obwohl Tabea Blumenschein sich wohl nicht als Feministin gesehen hat, nahm sie vieles aus der dritten Welle des Feminismus vorweg.
Sie hätte auch jeden Abend in einer anderen Galerie stehen, Sekt trinken und mit Menschen, die sich für wichtig halten, quatschen können. Aber eine Nummer im Kulturbetrieb zu sein war nicht ihr Ziel.
Ihr zweites Leben, die letzten 30 Jahre, verbrachte Tabea Blumenschein im Osten der Stadt – erst Adlershof, dann Marzahn. Einige deuteten das, wie ihre Zeit in einem Obdachlosenheim, als einen Abstieg, aber für sie selbst war es das keineswegs. Tabea Blumenschein hat sich nie um Konventionen geschert, erst recht nicht darum, was Statussymbole für andere waren. Ob sechs Zimmer im Altbau in Schöneberg oder ein Zimmer in der Marzahner Platte war ihr egal. Ihre Kunst berührte das sowieso nicht.
Sie hätte auch jeden Abend in einer anderen Galerie stehen, Sekt trinken und mit Menschen, die sich für wichtig halten, quatschen können. Aber eine Nummer im Kulturbetrieb zu sein war nicht ihr Ziel. Außerdem lebte Tabea Blumenschein lieber in der Gegenwart. Wo andere sich in Talkshows und auf Theaterbühnen rumtreiben und seit Jahrzehnten von ihrer wilden Zeit in den Achtzigern zehren, suchte sich Tabea Blumenschein in den Neunzigern lieber eine Arbeit in der Amerika-Gedenkbibliothek. Bücher sortieren anstatt die sentimentale Rebellin zu geben. Für Tabea Blumenschein war die Form von Selbstvermarktung, die heute in der Kunstwelt ungeheuer essentiell ist, vollkommen wesensfremd. Sie sehnte sich auch nicht wehmütig zurück in die Achtziger. Tabea Blumenschein lebte mit einen unerschütterlichen Pragmatismus.
Angebote hier und dort hinzureisen oder (gegen gutes Geld) auch mal wieder etwas zu gestalten, hat es immer wieder gegeben. Doch fast alle schlug sie aus. Trotzdem war Tabea Blumenschein bis zum Schluss künstlerisch aktiv, gerade auch im Umfeld der Tödlichen Doris mit Wolfgang Müller. Erst im letzten Jahr steuerte sie 31 Dildozeichnungen für „Reenactment (I)“, das aktuelle Album der Tödlichen Doris, bei. Das Werk, und damit auch Tabea Blumenschein, bekam noch einmal viel Presse, und erstmalig bekam die Tödliche Doris eine Rezension im Spiegel.
Tabeas große Bedeutung als queere Punk-Ikone wurde bis heute allerdings nicht ausreichend gewürdigt. Ihr Tod ist ein trauriger Anlass, diese Lücke in den Kulturwissenschaften doch endlich einmal zu schließen.
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