Wolfgang Tillmans: „Singen ist eine der verletzlichsten Ausdrucksweisen überhaupt.“
Wolfgang Tillmans, bekannt für seine Fotos und politischen Aktionen, ist nicht nur ein renommierter Berliner Künstler, sondern auch Musiker. Morgen, am 26. April, veröffentlicht er sein zweites Album „Build From Here“. Am gleichen Abend eröffnet er eine Ausstellung in der Galerie Buchholz. SIEGESSÄULE traf ihn zum Interview
Wolfgang, am 26. April kommt dein zweites Album „Build From Here“ – was war der Anlass, nochmal ein Musikalbum zu machen? Es war vielleicht die Freude an „Moon in Earthlight“, dem ersten Album von 2021, daran, wie sehr ich mich darin repräsentiert gefühlt habe. Nach sechs Jahren Arbeit mit Musik und Klang und verschiedenen Produktionsweisen ist da etwas entstanden, das auch in der Mitte meiner gesamten Praxis stehen kann. Und wie es dann ja auch im mumok (Museum moderner Kunst) in Wien sowie im MoMa (Museum of Modern Art) in New York Teil der Ausstellungen mit meinen Werken war. Da gab es einen Filmraum, wo „Moon in Earthlight“ mit Videos gezeigt wurde. Dann sind im letzten Jahr – als ich das gar nicht so geplant hatte – neue Lieder entstanden wie „Where Does The Tune Hide“ und „Regratitude“, „We Are Not Going Back“ „ADA403“ und „French Lesson“, wo ich das Gefühl hatte, dass da ein neues vokales und musikalisches Selbstbewusstsein drin steckte – eine Fähigkeit sich auszudrücken. Wenn ich merke, da ist etwas klar geworden, dann bin ich relativ schnell dabei, das auch veröffentlichen zu wollen.
Was ist am neuen Album anders als beim Ersten? Im Gegensatz zu „Moon in Earthlight“, dass nicht komplett leicht anzuhören ist, geht es bei „Build From Here“ insgesamt um Popmusik. Wobei auch hier sicherlich experimentelle Seiten vorhanden sind, mit Field Recordings oder dass manche Stücke nur skizzenhaft sind. Es ist weniger ein Konzeptalbum, sondern wirklich ein Musikalbum.
Ist es auch ein Berliner Musikalbum? Meine Musik entsteht zwischen Berlin und New York, wo ich in den letzten acht Jahren oft die Sommer verbringe. Und weil dort, genauso wie in Berlin, die Musiker sind, mit denen ich arbeite.
Gibt’s für dich einen typischen Berlin-Sound, der sich im Album ausdrückt? Ich habe in Berlin im Trixx Studio in Kreuzberg aufgenommen, wo die beiden Musiker Tim Knapp und Bruno Breitzke arbeiten, mit denen zusammen ich meine Sachen schreibe. Das Studio hat eine lange Geschichte aus dem Umfeld von Ton Steine Scherben und blickt auf über 45 Jahre Kreuzberger Musikgeschichte zurück. Da tauchen schon mal alte Bänder von der Band Fehlfarben auf oder 40 Jahre alte Synthesizer oder Gitarren, Effektgeräte usw., mit denen einst queere Berliner Musik gemacht wurde. Das hätte ich mir mit meiner eigenen Techno-Vorgeschichte nie so gedacht, dass ich mal in solch einem „richtigen“ Musikerstudio und Umfeld arbeiten würde.
Würdest du deine Musik als queer bezeichnen? In New York ist mein Umfeld Fire Island, was schon recht queer ist. Ansonsten ist auf dem inneren Cover (der Vinyl- und CD-Ausgabe) ein nackter Mann mit Arsch in die Kamera gestreckt.
„Die Bereitschaft am Zweifeln, Dinge nicht nur einseitig zu sehen. Ich glaube, das ist, was queere Wahrnehmung immer ausgemacht hat.“
Gibt’s dazu ein akustisches Äquivalent? Im Stück „Grüne Linien“ geht’s um die Frage, wer deinen Körper kontrolliert und wie man sich in seinem Körper fühlt, es ist ein Hinterfragen vom Sein und Befinden im Körper und einer Verwundbarkeit (in der Textzeile „for when I’m weak I’m strong“). Das sehe ich durchaus als queer, auch wenn es heterosexuell liebende Menschen inkludiert. Die Bereitschaft am Zweifeln, Dinge nicht nur einseitig zu sehen. Ich glaube, das ist, was queere Wahrnehmung immer ausgemacht hat. Dass wir einerseits die normative Gesellschaftsperspektive seit unserer Kindheit mitlernen und dann nochmal unsere eigene Perspektive dazu bauen. Was viele als Bereicherung sehen: Dass wir die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln sehen können und für uns Sicherheiten von anderen Leuten gar nicht so „sicher“ sind. Das ist auch ein zentraler Aspekt meiner Musik.
In der Pressmeldung zum Album ist die Rede von „emotionaler Nacktheit“ – ist die mit Musik einfacher auszudrücken als mit Fotos? Singen ist per se eine der verletzlichsten Ausdrucksweisen überhaupt. Wenn es gelingt, mit Gesang etwas zu transportieren, dann transportiert sich das eben auch sehr eindringlich. Was dann auch das Besondere an Musik ist. Eine Künstlerkollegin und Freundin sagte mal: „Mit unserer bildenden Kunst ist halt doch blöd, dass man nur 20 Sekunden auf ein Bild guckt im Museum oder in der Galerie.“ Selbst wenn's 40 Sekunden sind ist das eine lange Zeit, um auf einen Ellsworth Kelly zu schauen. Aber 3’48 Minuten einen Song zu hören, da hat Musik die Möglichkeit, einen sinnlich auf eine Reise mitzunehmen, die auch Bilder im Kopf produziert. Was ich wahnsinnig interessant finde. Es ist etwas, was mich schon mein ganzes Leben lang begeistert.
Ist es schwer – oder mutig – solche Verletzlichkeit zuzulassen? Ja. Ich halte seit 25 Jahren weltweit Vorträge, die oft 80 Minuten dauern und wo ich keinen vorgeschriebenen Text habe. Anschließend haben mir viele gesagt, dass sie das ungewöhnlich fanden, einen Künstler zu hören, der so ohne Schutzwall spricht und Einblicke in sein Inneres gibt, auch über seine Zweifel und sein Nicht-so-sicher-sein über alles, wenn es um eine klare Auslegung der eigenen Karriere geht. Dieses Erzählen können und dass ein ganzer Saal mit 400+ Leuten über eine Stunde sitzen bleibt, zuhört und nicht mit den Schuhen klackert, diese Erfahrung in den frühen 2000er Jahren hat mir das Gefühl gegeben, dass da etwas los ist mit meiner Stimme. Das hat mir Vertrauen gegeben, offen zu sein.
In der Presseankündigung steht auch, dass es um „gebrochene Herzen“ auf dem neuen Album geht. Verarbeitest du darauf deine Beziehungen? Mein erfolgreichster Song aus dem letzten Album, „Insanely Alive“, ist ein Liebeslied. In neuen Liedern wie „Morning Light“ geht es schon um eine Zeit zusammen, die sich nicht um Clubleben dreht und eher Romantik ausdrückt (mit Zeilen wie „there’s more that connects us“). Aber auch „What kind of friendship is that?“ ist ein Text, der der Zeit entspricht, in der wir leben. Ich finde das ganze Album optimistisch – denn ich möchte meine Hoffnung bewahren. Und ich will an Beziehungen und Vernetzungen arbeiten.
„Ich finde das ganze Album optimistisch – denn ich möchte meine Hoffnung bewahren.“
Du reist viel durch die Welt. Von außen betrachtet: Welche Veränderungen siehst du in der queeren Szene von Berlin? Dass sie immer noch einen Riesenabstand hat zu vielen anderen Städten auf der Welt. Was es hier an Clubsterben gibt oder Läden, die zugemacht haben, gibt es anderswo in viel größerem Maß. In Hongkong ist von der LGBTIQ*-Szene nicht aus politischen, sondern aus ökonomischen Gründen nichts mehr übriggeblieben. Da gibt ein keinen einzigen richtigen schwulen Laden mehr. Auch in London ist es viel schwieriger geworden auszugehen, da sind vielleicht zwei oder drei alternative queere Läden übriggeblieben. Aber so was wie Möbel-Olfe oder Ficken 3000 ist nach wie vor weltweit einmalig. Ich hatte im Herbst im San Francisco eine große Ausstellung – dort existiert wirklich noch eine diverse Szene, mit mehr als einer Lederbar und mehr als einer Dragshow. Im Vergleich kann sich Berlin immer noch glücklich schätzen.
Beneiden dich Bekannte in Hongkong oder anderswo, dass du in Berlin leben kannst? Ja, auf alle Fälle. Diese Strahlwirkung von Berlin ist nach wie vor ungebrochen, sagen wir mal mit dem Whole Festival, was nicht in Berlin ist … aber nicht weit entfernt. Das hat eine magnetartige Wirkung auf Leute aus der ganzen Welt, was Freizügigkeit und Freigeistigkeit angeht. Ich weiß manchmal nicht, ob alle Leute hier das wirklich zu schätzen wissen. Wenn man Grauheit in der Welt und in der Politik beklagt, sollte man besonders in der queeren Szene extra nett und sanft miteinander umgehen. Beim Snax Club habe ich über Ostern Klagen gehört, dass sich niemand mehr aus dem Weg geht und man angerempelt wird. Deswegen sollten wir uns fragen, was wir gemeinsam für die Szene hier tun können.
„Wenn man Grauheit in der Welt und in der Politik beklagt, sollte man besonders in der queeren Szene extra nett und sanft miteinander umgehen.“
Vorschlag? Auf alle Fälle freundlich sein – und nicht immer nur fordernd. Ich sehe eine neue Generation, die eine Service-Erwartung hat, bedient werden will. Aber wir müssen alle zusehen, dass eine fürsorgliche und positive Stimmung in der Szene weiterlebt, denn das Gegenteil kann schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Die Stimmung in Deutschland wird insgesamt als ziemlich mies angesehen. Was in anderen europäischen Ländern, mit ähnlichen ökonomischen Perspektiven, ganz anders ist. Irgendwie liegen momentan Nerven blank in Deutschland. Das mag seine Berechtigung haben. Aber der Umgang damit, wie das zu immer aggressiveren Tönen führt, da müssen wir aufpassen, dass das nicht in die queere Szene übergreift und zu Entsolidarisierung führt.
Selbstzerfleischung ist anstrengend – aber ohne Streit kommt man nicht vorwärts. Da passt mein Song-Titel „There’s More That Connects Us (Than Divides Us)”. Was wir gemeinsam haben, ist schon ziemlich gut, daran lohnt es zu erinnern.
Wird es dieses Jahr einen Berliner CSD-Wagen mit Tillmans-Musik geben? Also, ich werde keinen organisieren. (lacht) Aber ich arbeite an einem Remix von „Regratitude“, das könnte gut zum CSD passen, auch wenn der Song ohne Beat ist. Auch der Pet-Shop-Boys-Remix von „Insanely Alive“ würde sich für einen CSD-Wagen eignen. Ein Freund aus Taiwan schrieb mir kürzlich, dass er auf einer queeren Party in Taipeh war und dort „Regratitude“ gespielt wurde. Natürlich hat mich das total gefreut. Noch vorm CSD habe ich in der Galerie Buchholz in der Fasanenstraße eine Ausstellung. Da wird zwar keine Musik gespielt, aber da kann man meine Bilder in Großformaten sehen, bis zu vier Metern hoch. Eines ist der Männerakt aus dem Album „Build from Here“.
Du verbringst viel Zeit auf Fire Island – ist das Treiben dort Inspiration für deine Arbeit? Die Vorstellung von Fire Island ist geprägt von der Annahme, dass es da nur um Party und Gay Sex geht. Die Realität dort ist für mich anders. Ich habe da ein kleines Strandhaus aus Holz, wo ich bis zu drei Monaten arbeite und lebe. Ich gehe dem Partytreiben so viel aus dem Weg wie ich will. Gerade in den Jahren 2016 bis 2019 ist da viel entstanden. Das Meeresrauschen stellt für mich ein „White Noise“ dar, das sehr gut als Bett funktioniert, in das Melodien fallen können.
„Ich kann auf der Tanzfläche sehr gut nachdenken.“
Gibt’s beim Snax Club auch „White Noise“? Vielleicht eher hinterher im Ohr. (lacht) Aber ehrlich gesagt: So sehr ich es liebe, aktiv an einer Nacht teilzunehmen, so sehr liebe ich es auch, an der Seite zu stehen, nach oben zu gucken und die Lichter anzuschauen. Dabei fallen mir oft Ideen für Songs ein. Ich gehe deshalb immer mit Zettel und Stift aus, nicht um Telefonnummern von Typen auszuschreiben, sondern um Worte und Textfragmente festzuhalten, die vorbeifliegen. Ich kann auf der Tanzfläche sehr gut nachdenken.
Wolfgang Tillmans: „Build From Here“,
ab dem 26.04. erhältlich
Vernissage in der Galerie Buchholz
im Rahmen des Gallery Weekend,
26.04. ab 18:00,
Fasanenstraße 30, 10719 Berlin
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