Community in der Krise

Wie geht es der lesbischen Initiative RuT?

9. Apr. 2020

RuT hat die Aktion „Zusammen schaffen wir das!“ ins Leben gerufen – eine Nachbarschaftshilfe für die L*-Community! Ob man einfach wen zum Reden braucht oder jemanden, der die Medikamente aus der Apotheke abholt oder Einkäufe vorbei bringt: hier lässt sich Hilfe finden. SIEGESSÄULE sprach mit den Projektleiterinnen Gabriele Michalak („Lesben mit Behinderung“) und Stephanie Kuhnen (Lesbisch*Sichtbar.Berlin) von RuT e.V.

Was ist die Idee dahinter, eine eigene Nachbarschaftshilfe zu organisieren? Es gibt ja schon einige Initiativen in der Stadt, u. a. auch queere wie die vom Karada House (SIEGESSÄULE berichtete). Habt ihr eine eigene Zielgruppe? RuT ist seit über 30 Jahren ein soziales, inklusives Projekt, gegründet aus der autonomen Lesbenbewegung, das für Teilhabegerechtigkeiten kämpft, das die L*-Community in verschiedenen Bedarfen unterstützt und generell mitdenkt, dass nicht alle Lesben* dieselben Teilnahmemöglichkeiten an sozialem Leben haben. In den Räumen des RuT treffen sich normalerweise viele Gruppen, es gibt Beratungen, Veranstaltungen, Freizeitangebote. Die haben wir jetzt natürlich erstmal einstellen müssen. Eine Nachbarschaftshilfe zu organisieren, ist daher nicht nur nahe liegend, sondern eine Verpflichtung, die in unserem Selbstverständnis liegt. Unsere primäre Zielgruppe sind natürlich diejenigen, die das RuT ohnehin kennen und nutzen. Aber auch diejenigen Lesben*, für deren Bedarfe wir entsprechend sensibilisiert sind ,ältere und alte Lesben, Lesben mit chronischen Erkrankungen und körperlichen sowie psychischen Einschränkungen Viele von ihnen leben allein und/oder sind finanziell nicht gut ausgestattet. Nachbarschaftshilfe ist also ein etwas ungenauer Begriff, da es nicht nur um Lesben in unmittelbarer Nähe zum Projektort Schillerkiez in Neukölln geht. Wir laden ausdrücklich alle, die sich selbst der L-Community zugehörig fühlen, dazu ein, uns anzurufen oder zu schreiben. Mit anderen Nachbarschaftshilfen stehen wir in solidarischem Kontakt und schauen, wie wir Ressourcen teilen können und wie sich einzelne Netzwerke gegenseitig verstärken können.

Wie läuft die Nachbarschaftshilfe bisher, wie wird das genutzt? Erstmal müssen wir natürlich sagen, dass sich der Stand jeden Tag ändert. Im Moment haben wir noch mehr Unterstützende als direkt Unterstützung suchende Frauen, die sich über das Internet einfinden. Das ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass viele aus unseren Zielgruppen nicht Internet-affin sind, die vielleicht nicht einmal einen Computer oder ein Smartphone besitzen. Wir sind mit der Aktion ja erst vor zwei Wochen online gegangen. Das muss sich erst rumsprechen. Die Nachbarschaftshilfe arbeitet auch sehr eng mit dem bereits im RuT vorhandenen Besuchsdienst zusammen. Die Grundstrukturen dieser ehrenamtlichen Hilfe gab es also bereits. Diese erweitern wir jetzt.

„Wir erfahren gerade sehr deutlich, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist.“

Was sind die Anliegen der Leute, die bei euch Beratung suchen? Die Beratungen sind aktuell zahlenmäßig etwas zurückgegangen. Jedoch in der Art der Anliegen merkt man schon, dass die Isolation und die Angst vor einer unsichtbaren Bedrohung traumatisierend sein kann oder alte Traumata triggert. Uns rufen auch viele unserer Stammbesucherinnen an, die einfach einmal hören wollen, wie es uns geht, oder die erzählen wollen, wie es ihnen gerade geht. Denen der Kontakt fehlt. Wir fragen auch ganz direkt, ob es Bedarfe gibt, bei denen wir unterstützen können oder ob sie Frauen kennen, die Unterstützung benötigen. Manche rufen uns auch an, um sich erklären zu lassen, wie man Skype einrichtet, wo man jetzt diese Masken herbekommt etc. Die Hilfe funktioniert aber auch anders herum: wir bekommen viele Anfragen, wie man das RuT jetzt unterstützen und wie man spenden kann. Eine Nachbarin hat uns einen frischgebackenen Kuchen vor die Tür gestellt. Wir erfahren gerade sehr deutlich, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist.

„Es fehlen die Zwischentöne, das Persönliche.“

Wie organisiert ihr euch im Moment? Das RuT war eines der ersten Projekte, die rigoros alle Veranstaltungen vor Ort abgesagt und die Räume für den Publikumsverkehr geschlossen haben. Da sich die meisten unserer Angebote an Personen aus den Hochrisikogruppen richten und auch das Team teilweise dazu gehört, war es unsere Pflicht, sofort zu handeln und kein Risiko einzugehen. Wir arbeiten im Schichtbetrieb. Das heißt, es ist immer nur eine Person zu den Bürozeiten anwesend. Der andere Teil des Teams arbeitet dann im Home Office. Das bedeutet natürlich auch, dass wir neue Wege in der Teamkommunikation gehen müssen. Nicht alle haben in ihrem Wohnungsumfeld auch ein Büro mit entsprechender Logistik. Nicht alle sind an digitale Kommunikation gewöhnt oder nutzen sie gerne. Das verlangsamt einiges und setzt akute Prioritäten. Aber auch der persönliche Austausch in der direkten Begegnung fehlt, es fehlen die Zwischentöne, das Persönliche.

Wie geht es dem RuT selbst? Es gibt viele strukturelle Herausforderungen. Das RuT steht schon immer für zwischenmenschliche Wärme, für beziehungsreiche Arbeit und Kreativität und Verbundenheit. Das zu retten, anzupassen und zu verändern, ist schwierig und eine Kraftanstrengung. Es erfordert Entscheidungen, die sich auch schmerzhaft anfühlen können. Etwa, wenn wir Pläne für 2020 und bereits geleistete Arbeit verwerfen oder Gruppentreffen und Veranstaltungen absagen mussten. Die ganze Community hat jetzt schon viel verloren. Und es besteht die Gefahr, noch mehr zu verlieren. Die Zukunft ist sehr viel weniger planbar geworden. Das „Danach“ wird nicht wie das „Vorher“ aussehen. Wir wissen nicht einmal, wann das „Danach“ beginnt und ob ein „Noch schlimmer“ vor dem „Wieder besser“ kommt. Das klingt vielleicht pessimistischer als es soll, aber wir wollen auch nichts schönreden. Mit großer Sorge haben wir „vorher“ schon die rapide Zunahme von gesellschaftlichen Entsolidarisierungsprozessen und Rechtspopulismus in diesem Land gesehen. Das ist nicht verschwunden. Jetzt wird noch sichtbarer, wogegen das RuT schon lange arbeitet: Altersarmut, Behindertenfeindlichkeit, Einsamkeit, Wohnungsunsicherheit und sozialer Ausschluss älterer und alter Lesben und so vieles mehr. Aber wir wären eben auch nicht das RuT, wenn wir nicht auch in Krisen beherzt die Ärmel aufrollen und auch unberechenbar scheinende Probleme anpacken würden.

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