Wie geht es älteren und chronisch kranken Queers in der Pandemie?
Ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sollen in der Pandemie besonders geschützt werden. Die Maßnahmen führen aber leider oft zu Isolation und Einsamkeit. Wie geht es in dieser Situation älteren oder chronisch kranken Queers in Berlin? Muri Darida hat sich umgehört
Wir sind queer, wir sind noch immer hier? Sichtbar zu sein und Kontakt zueinander zu haben sind zentrale Errungenschaften der queeren Bewegung, die in einem langwierigen Prozess erkämpft wurden. Kontaktbeschränkungen und Isolation treffen LGBTI* deshalb noch stärker als die Mehrheitsgesellschaft, die diesen Kampf nicht in der gleichen Weise führen musste. Doch auch innerhalb der queeren Community sind manche sichtbarer als andere – was in der Corona-Pandemie noch einmal verstärkt zutage tritt.
Risikogruppen nicht ausgrenzen
„Ja, Lesben werden älter als 30”, sagt Ina Rosenthal von Rad und Tat – Offene Initiative Lesbischer Frauen (RuT) e. V. ironisch und spielt damit auf die Unsichtbarkeit älterer Lesben an. Jetzt, wo alte Menschen zur „Risikogruppe“ zählen und zu besonderer Vorsicht angehalten sind, fallen für ältere Menschen aus der Szene, die häufig auch weniger über soziale Medien vernetzt sind, sämtliche Kontaktmöglichkeiten weg. Zwar laufen einige der queeren Beratungsangebote über Video-Tools wie etwa Zoom weiter, aber „das ersetzt nichts”, wie Rosenthal sagt. Besonders schwierig sei, dass die vielen kleineren Begegnungen, die es sonst im Alltag gibt, wegbrechen. „Außerdem besteht durch die fehlende Sichtbarkeit die Gefahr, dass die betroffenen Gruppen vermehrt als fremd wahrgenommen werden” – was möglicherweise auch Gewalt gegen Queers ansteigen lässt. Regelungen zum Schutz besonders gefährdeter Gruppen in der Pandemie dürften nicht dazu führen, dass Alte und Kranke aus der Gesellschaft extrahiert würden „und wir dann nicht mehr Teil der Gesellschaft sind”.
Auch Dieter Schmidt, psychologischer Psychotherapeut bei der Schwulenberatung, beobachtet die zunehmende Vereinsamung bei seinen Klient*innen. Er ist u. a. im Charlottenburger Mehrgenerationenprojekt der Schwulenberatung, „Lebensort Vielfalt“, für schwule Männer mit Pflegebedarf und Demenz tätig und leitet die Gesprächsgruppe „Anders altern”. Dort hört er von den Teilnehmenden, wie sehr sie zurzeit den Austausch vermissen. „Der Treffpunkt und der geschützte Rahmen fallen weg”, sagt er. „Und auf der Straße sieht man sich auch nicht mehr, wenn man sich zurückziehen muss.” Gleichzeitig seien schwule Männer, die zum Beispiel noch vom Paragrafen 175 betroffen waren, „sehr geübt darin, sich zurückzuziehen”, sagt Schmidt. Gerade für Ältere, deren Partner zum Beispiel kürzlich verstorben sind, seien Angebote wie der Gesprächskreis auch eine Anlaufstelle, jemanden kennenzulernen.
„Ich wünsche mir, dass wir alle aufmerksam schauen, ob wir jemanden kennen, der oder die gerade vereinsamt”, sagt Schmidt. Den meisten Menschen falle es sehr schwer, proaktiv um Hilfe zu bitten. „Es ist immer besser, wenn jemand auf sie zugeht. Und es fällt viel leichter, Unterstützung anzunehmen, wenn das Angebot von jemandem aus der Community kommt.” Er rät zum Beispiel, wie es zu Beginn der Pandemie im Frühjahr öfters angeboten wurde, wieder für andere einzukaufen – und bei aller Hilfe für die Mitmenschen auch die Selbstfürsorge nicht zu vergessen. „Ich kann nichts Gutes vermitteln, wenn ich nicht für mich sorge.”
Nachbarschaftshilfe, Besuchsdienst und Co
RuT hat bereits im ersten Lockdown im Rahmen der Nachbarschaftshilfe organisiert, dass Lesben für andere Lesben einkaufen gehen. Gabriele Michalak von RuT erzählt von einer 90 Jahre alten Frau, die derzeit massiv unter der Isolation leidet, kaum Anrufe bekommt, depressiv verstimmt ist. „Wenn es dann doch Kontakte gibt, freuen sich die Menschen so sehr”, sagt Michalak. „Es ist so toll, füreinander etwas auf die Beine zu stellen. Auch wenn es zurzeit schwieriger ist: Für solche Momente stehe ich morgens gerne auf.” Sie will so viel wie möglich organisieren, jetzt und auch später. „Ich arbeite gerne mit dem Lied ,We Are Familiy’ als Vorbild”, erzählt Rosenthal. Es sei wichtig, dass innerhalb einer Familie mehrere Generationen im guten Kontakt sind.
Austausch ist für alle Menschen essenziell, für stigmatisierte Personen ist es aber besonders notwendig, einen Resonanzraum zu haben. Marianne David ist 65 Jahre alt. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei FRiKs (Freunde im Krankenhaus), einem Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Berliner Aids-Hilfe entstand, besucht sie Patient*innen im Krankenhaus und organisierte bis vor Corona noch das „Café Viktoria” im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. „Für manche Patient*innen waren wir von FRiKs die Einzigen, mit denen sie offen sprechen konnten”, sagt David. Denn gerade viele HIV-positive Menschen hätten das Gefühl, dass im Umgang mit ihrer Familie „Sprechverbote“ existierten. Die Scham ist oft immer noch dominant. „Dabei ist das Bedürfnis zu sprechen so groß. Wir hatten viele tiefe und traurige Gespräche, aber manche wollten auch einfach mal Blödsinn reden, und das war auch toll.” David erinnert sich selbst an die Zeit, als sie während einer schweren Krankheit längere Zeit im Krankenhaus verbringen musste. „Die Freund*innen, die mich besuchen kamen, wurden weniger und weniger. Ich weiß noch, wie unendlich wichtig es mir war, Besuche zu kriegen. Selbst wenn es nur wenige waren.”
Mehr Offenheit zwischen den Generationen
Die Besuchsdienste von FRiKs sind nun wegen Corona erst mal eingestellt. Das letzte Mal war David Ende Februar im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. „Ich habe da quasi das Licht ausgemacht. Das war ganz furchtbar.” Sie befürchtet, dass sie ihr Ehrenamt nicht fortführen kann, bis ein Impfstoff da ist. „Ich habe vereinzelt wirklich Angst um die Menschen, weil die Einsamkeit so groß ist.” Gleichzeitig freue sie sich jetzt schon riesig auf die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen, wenn diese wieder möglich ist, auf die Patient*innen sowieso und auch darauf, alle wieder in den Arm nehmen zu können. „Das ist ein ganz wichtiger Aspekt bei unserer Arbeit”, sagt David. „Wir haben keine Berührungsängste.”
Ebenso betont Psychotherapeut Dieter Schmidt, wie wichtig Körperlichkeit in der Arbeit etwa mit alten Menschen ist. „Berührung ist eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme”, sagt er. Besonders auch bei Patient*innen mit demenziellen Veränderungen, wenn die sprachliche Verständigung erschwert ist, wird dies wichtig. Schmidt versucht, auch in diesen Krisenzeiten Beständigkeit und Normalität aufrechtzuerhalten, wo es geht. Als etwa während des ersten Lockdowns niemand von außerhalb in die Pflege-WG des „Lebensorts Vielfalt“ durfte, „bin ich als Einziger zu meinen Jungs, wie ich immer sage, gegangen”.
Wie auch Ina Rosenthal wünscht Schmidt sich ganz generell, unabhängig von der Pandemie, mehr Austausch und gegenseitige Offenheit zwischen den Generationen. Viele hätten Angst vor dem Alter, beschäftigten sich lieber nicht damit – und genau das mache ältere Menschen in der Szene so unsichtbar. „Wenn ich meine persönliche Geschichte so anschaue, mit all den Krisen, dem Aufwachsen mit dem Schwulsein, die Schicksalsschläge, dann sind die letzten acht Jahre die schönsten, die ich je hatte”, sagt Schmidt, der im nächsten Jahr 63 wird. Weil er sich die Freiheit erobert habe, so zu leben, wie er möchte.
Die Pandemie trifft jene am härtesten, die bereits zuvor mit Einsamkeit und Isolation am stärksten zu kämpfen hatten. Dagegen helfe, wie Ina Rosenthal sagt, dass „die Generationen im Kontakt stehen und durchlässiger werden”. Damit alle während und nach Corona so frei und sicher leben können, wie es irgendwie geht. Und außerdem solle man den Leuten, die schon vor Jahrzehnten für unsere heutigen Rechte gekämpft haben, auch einfach mal Danke sagen.
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