Wie besorgniserregend ist der Anstieg von STI und MPOX?
Sexuell übertragbare Krankheiten sind auf dem Vormarsch: In den Medien ist von explodierenden Zahlen die Rede und einer „außer Kontrolle“ geratenen Situation. Doch wie besorgniserregend ist der Anstieg der gemeldeten Infektionen tatsächlich? Axel Schock ist der Frage nachgegangen
Sexuell übertragbare Infektionen, kurz STI, wird es wohl so lange geben, wie Menschen Sex haben. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es weltweit jährlich zu rund 374 Millionen Neuinfektionen kommt. Dass in den vergangenen Wochen so alarmistisch über STI berichtet wurde, liegt nicht an HIV, denn Neuinfektionen mit dem HI-Virus haben in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen.
„Neuinfektionen mit dem HI-Virus haben in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen.“
Zugenommen haben hingegen – ähnlich wie in den USA und vielen EU-Ländern – Fälle von Syphilis. Das Robert Koch-Institut verzeichnete 2022 mit knapp 8300 gemeldeten Diagnosen sogar einen Höchststand. Für 2023 liegen die absoluten Zahlen noch nicht abschließend vor. Der Trend nach oben ist allerdings nicht neu. Bereits seit 2010 gibt es einen deutlichen Anstieg, wie Dr. Klaus Jansen, stellvertretender Leiter des Fachgebiets für HIV/AIDS und andere sexuell oder durch Blut übertragbare Infektionen am RKI, im SIEGESSÄULE-Gespräch erklärt. Eine evidenzbasierte Erklärung gibt es dafür nicht. Lediglich 2020/21 gab es bei Syphilis einen kleineren Rückgang. Ein Grund könnte sein, dass weniger getestet wurde, weil manche Beratungs- und Teststellen bei den Corona-Lockdowns eingeschränkter verfügbar waren. Die Meldedaten legen aber eher nahe, dass während der COVID-19-Pandemie viele Menschen ihr Verhalten geändert haben, also weniger Sexualpartner*innen bzw. weniger Sexualkontakte hatten.
Rund 80 Prozent der Syphilis-Infektionen werden bei Männern diagnostiziert, die Sex mit Männern haben (MSM), sagt der Epidemiologe Klaus Jansen. Die Inzidenz, also die Häufigkeit einer Infektion in Relation zur Bevölkerungszahl, betrage in Berlin das Mehrfache des Bundesdurchschnitts und liege damit gerade in den Innenstadtbezirken auch vor anderen Städten mit ebenfalls hohem schwulem Bevölkerungsanteil, wie etwa Köln, Hamburg oder München. Auch in Sachen MPOX, das nicht nur bei sexuellen Kontakten übertragen werden kann, sind die Zahlen in Berlin wieder deutlich gestiegen*. Nachdem die Epidemie im Sommer überwunden schien, wurden seit Herbst bundesweit in manchen Wochen bis zu 12 neue Fälle gemeldet. Die meisten der Betroffenen leben in Berlin, andere haben sich mutmaßlich während eines Aufenthalts in der Stadt infiziert. Auch wenn ein großer Ausbruch wie 2022 unwahrscheinlich sei, könne ein kleineres Infektionsgeschehen wie aktuell aber immer wieder auftreten, so das RKI.
Es wird mehr getestet
Zur Verbreitung von Chlamydien und Gonokokken (Tripper) gibt es in Deutschland nur wenige Daten. Zumindest bei Gonokokken ist von ansteigenden Zahlen auszugehen. In vielen westlichen Staaten wird gerade bei MSM von einer solchen Entwicklung berichtet, seit eineinhalb Jahren aber in einigen europäischen Ländern auch bei jungen Heterosexuellen. Eine wissenschaftlich fundierte, abschließende Erklärung dafür gibt es noch nicht. Eine der Ursachen, gerade bei MSM, könnte aber eine recht erfreuliche sein: Es wird schlicht mehr getestet, und es werden dadurch mehr Infektionen entdeckt und behandelt. So sind zum Beispiel bei der PrEP regelmäßige STI-Screenings fester Teil der Behandlung. Diese medikamentöse Prophylaxe schützt zwar vor HIV, doch führt sie nicht auch zu mehr Infektionen mit anderen STI? Schließlich nutzen viele die PrEP, um Sex ohne Kondom haben zu können. „Ein Kondom schützt sehr gut vor HIV“, sagt Klaus Jansen, „und kann die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von anderen STI deutlich verringern, aber nicht zu 100 Prozent senken.“ Nicht zuletzt, weil beispielsweise Tripper und Chlamydien auch durch Oralverkehr oder intensives Küssen weitergegeben werden können. Panik ist deshalb nicht angebracht.
„Es geht nicht darum, keinen Sex zu haben, sondern die eigenen Infektionsrisiken gut einzuschätzen und individuell passende Risikomanagementstrategien anzuwenden.“
„Es geht nicht darum, keinen Sex zu haben, sondern die eigenen Infektionsrisiken gut einzuschätzen und individuell passende Risikomanagementstrategien anzuwenden“, betont Jansen. Zum Beispiel, indem man sich gegen Hepatitis B und MPOX impfen lässt und verdächtige Symptome möglichst schnell ärztlich abklären lässt. STI-Tests und Beratung bieten in Berlin u. a. der Checkpoint BLN, die Berliner Aids-Hilfe und Mann-O-Meter.
*In der Printversion dieses Artikels (SIEGESSÄULE 01/2024) steht, dass MPOX sexuell nicht übertragen werden kann. Das ist falsch. MPOX ist eine Infektionskrankheit, die nicht nur, aber auch bei sexuellen Kontakten übertragen werden kann. Das war ein Fehler der Redaktion. Wir haben die Online-Version des Artikels korrigiert und bitten um Entschuldigung.
Mehr Infos: rki.de
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