Welche Orte der Erinnerung für trans* Personen gibt es?
Heute ist der Transgender Day of Remembrance. Seit 1998 findet der Tag der Erinnerung an die Opfer von Transfeindlichkeit, jährlich am 20. November statt. Nur einer von vielen Tagen, um das Andenken von verstorbenen und ermordeten, bekannten oder auch unbekannten trans* Personen zu begehen. Aber wie kann das über die Community hinaus stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken?
Initiiert von der Journalistin und Aktivistin Gwendolyn Ann Smith anlässlich der Ermordung der trans Frau Rita Hester in den USA, finden am 20. November Erinnerungsaktionen auf der ganzen Welt statt. Bei öffentlichen Gedenkveranstaltungen und -demonstrationen werden die Namen von getöteten trans* Personen des vergangenen Jahres von Angehörigen der queeren Community verlesen. Vielerorts gibt es dazu Lichterketten, Kunst- und Filmaufführungen sowie Trauermärsche. Das ist wichtig. Denn es zeigt das Ausmaß der Gewalt, der trans* Personen weltweit ausgesetzt sind. Auch in Berlin.
„Vielerorts gibt es Lichterketten, Kunst- und Filmaufführungen sowie Trauermärsche. Das ist wichtig.“
Selbst noch nach ihrer Ermordung sind die Opfer weiterhin der Feindlichkeit ausgesetzt: Bei der Polizei, in den Medien oder in der eigenen Familie werden sie beispielsweise bewusst mit falschem Namen (Deadnaming) genannt oder unter diesem beigesetzt. Oder ihre Gräber werden geschändet, wie bei Ella Nik Bayan in Berlin.
Queere, und hier besonders trans* und gender-nonkonforme Personen waren schon immer ein bevorzugtes Ziel für Gewalt. In voraufklärerischer Zeit wurden Menschen, die der binären Geschlechterordnung nicht entsprachen, oft von religiöser oder staatlicher Seite als Sündenböcke und Wurzel allen Übels gebrandmarkt und verfolgt. Später galten trans* Personen als obszön, krank und öffentliches Ärgernis. Ein geordnetes staatliches Verfahren für eine Änderung von Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen besteht erst seit 1980. In repressiven Staaten werden besonders gender-nonkonforme Personen zur Zielscheibe, da sie wenig Rückhalt in der Gesamtbevölkerung haben. Und weil trans* Personen ihren Lebensunterhalt oftmals mit Sexarbeit verdienen (müssen), werden sie einem zwielichtigen oder kriminellen Milieu zugeordnet.
Gefahr von Gewalt bleibt hoch
Die Monitoring-Berichte zu trans- und homophober Gewalt in Berlin zeigen, dass zwei Drittel der trans* Personen in Berlin (66 Prozent) in den letzten fünf Jahren Gewalterfahrungen machten. Dass nur 13 Prozent der Betroffenen polizeiliche Anzeige erstatten, zeigt, wie gering das Vertrauen in die Institutionen ist. Straßen, Parks oder öffentliche Verkehrsmittel sind für trans* Personen in besonderem Maße unsicher. Kommt es zu Bedrohungen oder Angriffen, erfahren trans* Personen so gut wie nie Hilfe oder Beistand durch unbeteiligte Dritte (7 Prozent).
Aber trans* und gender-nonkonforme Personen haben ein Recht darauf, nicht nur in Statistiken aufzutauchen, sondern dauerhafte Orte und Räume der Erinnerung zu haben. Für sich selbst und auch für andere Menschen, die nicht queer sind. Scheinargumente in öffentlichen Diskursen, wie „trans als bloßer Trend“, können dadurch entkräftet werden. Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft können sich an solchen Orten über trans* Personen informieren und ihre Vorbehalte und Vorurteile faktenbasiert abbauen. Das führt zu besserem Verständnis und dem dringend notwendigen Zusammenhalt.
Möglichkeiten der dauerhaften und kontinuierlichen Erinnerung gibt es viele. Stolpersteine für ermordete trans* Personen im Nationalsozialismus sind naheliegend. Doch die Forschungslage zu dieser Opfergruppe ist sehr dünn, es gibt kaum konkrete Namen und Biographien. An Liddy Barcoff, die 1943 im KZ Mauthausen ermordet wurde, erinnert ein Stolperstein in Hamburg in der Simon-von-Utrecht-Straße. Heinrich Bode (leider ist kein anderer Name bekannt) wurde mehrmals wegen Auftretens als Frau verhaftet und starb im KZ Buchenwald durch die Folgen der Zwangsarbeit. Der Stolperstein befindet sich im Stellinger Weg in Hamburg.
Stolpersteine für trans* Frauen in Berlin
In Berlin wurde im August 2023 der erste Stolperstein für eine trans Person (ohne Deadname) verlegt: für Käte Rogalli in der Hagelberger Straße 21. Von ihren Eltern vor die Tür gesetzt, lebte Käte in den 1920ern offen als Frau und arbeitete als technische Zeichnerin und Feinmechanikerin. Im Nationalsozialismus wurde ihr zunächst das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen, dann folgte Zwangsarbeit im KZ Sachsenhausen und in Bayern. 1941 wurde sie in den Wittenauer Heilstätten zwangspsychiatrisiert, wo sie am 11. April 1943 Suizid beging.
Gerda von Zobeltitz aus Berlin-Weißensee ist eine der wenigen bekannten Personen. Sie war in den 1920er Jahren sichtbarer Teil der Berliner queeren Gemeinschaft. Sie war kulturell aktiv, sang bei öffentlichen Festen, war aber ebenso Aktivistin. 1930 mischte sie bei einer Auseinandersetzung mit und stellte sich gegen Polizeigewalt gegenüber queeren Menschen – lange vor Stonewall! Über Gerda von Zobeltitz lassen sich kaum Dokumente finden, sie überlebte die Diktatur und war eine wichtige Person in der Geschichte des queeren Berlin. So wäre die Benennung einer Straße nach ihr, eine durchaus würdige Form der Erinnerung.
„Ein zentrales Mahnmal, Denkmal oder Kunstwerk als kollektiver Erinnerungspunkt könnte beispielsweise am Alexanderplatz platziert werden.“
Ein zentrales Mahnmal, Denkmal oder Kunstwerk als kollektiver Erinnerungspunkt könnte beispielsweise am Alexanderplatz platziert werden. Dort verbrannte sich die trans Frau Ella Nik Bayan am 14. September 2021 aus Verzweiflung selbst. Jahrelang war sie Gewalt, Übergriffen und einem zermürbenden System der Ablehnung von Krankenkasse und Behörden ausgeliefert. Um ihr Schicksal exemplarisch für viele trans Erfahrungen sichtbar zu machen und einen Ort der Trauer, Erinnerung und des Zusammenkommens für trans* Personen zu schaffen, wäre ein Denkmal ideal. Denn es geht bei Erinnerung auch immer darum, öffentlichen Raum einzunehmen.
Garten der Erinnerung
Eine andere Idee wäre ein sogenannter „Garten der Erinnerung” nach Vorbild des US-amerikanischen „Transgender Memorial Garden” in St. Louis, Missouri. Dort sagt ein Schild: „They tried to bury us. They didn‘t know we were seeds” (Sie wollten uns bgraben. Sie wussten nicht, dass wir Samen sind).
„Eine andere Idee wäre ein sogenannter ,Garten der Erinnerung‘ nach Vorbild des US-amerikanischen ,Transgender Memorial Garden‘ in St. Louis, Missouri.“
Der Design-Ansatz eines derartigen Gartens ist, dass das Pflanzen von Bäumen, Sträuchern, Gräsern und Blumen ein Gefühl des Zusammenwachsens und Zusammenhalts schaffen soll. Außerdem verbindet der Garten den Naturaspekt mit anderen, etwa sozialen Problemen und bindet die Bürger*innen in kreative lokale Lösungen ein. Bestimmte Bäume und Pflanzen dienen als Allegorien der Trans-Erfahrung: selten, oft übersehen und ästhetisch unkonventionell. Des Weiteren können dort Schmetterlingshaine entstehen, deren Lebenslaufübergang eine Transition symbolisiert.
Sichtbare Orte der Erinnerung wären ein wichtiges Zeichen für alle Menschen in Berlin, dass die Stadt sich solidarisch zeigt und für alle ihre Bewohner*innen einsteht. Und zugleich ein Signal an alle, die versuchen, mit Angst, Hetze und Gewalt Zwietracht zu säen: Wir stehen zusammen, euer Hass fruchtet nicht. Ansonsten wäre es vielleicht an der Zeit, einen weiteren Tag einzuführen: den Trans Day of Revenge!
Terminhinweis am 20.11.2023:
Trans* Day of Remembrance – Trauermarsch & Diskussion
Startpunkt: 17:00, Rathaus Lichtenberg
Im Anschluss ab 18:00: Diskussion mit Film-Regisseurin Amina Maher im Kieztreff Undine (Hagenstr. 57, 10365 Berlin)
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