Weckruf gegen rechts: Wie stoppen wir den Vormarsch der AfD?
Wie stoppen wir die AfD? Und warum bestimmt die Partei schon jetzt die Regierungspolitik? Mit solchen Fragen beschäftigt sich der queerfeministische Politikwissenschaftler, Journalist und Autor Mohamed Amjahid. Philip Eicker sprach mit ihm unter anderem über rechtsextreme Netzwerke, faule Medien und die Einsicht, dass der Kampf gegen Rassismus auf Grindr beginnt
Mohamed, derzeit gibt es fast jedes Wochenende Demos gegen rechts. Bist du auch so begeistert? Also, ich finde es ganz gut, dass jetzt so viele Menschen aufgerüttelt wurden. Wie nachhaltig das ist, müssen wir beobachten. Und das Demonstrieren ist nur ein Teil der Lösung. Im nächsten Schritt müssen aus den Demos politische Forderungen kommen und die müssen dann in konkrete Maßnahmen übersetzt werden.
Welche Forderungen stellst du? Wir müssen darüber diskutieren, der AfD die Finanzierung zu kürzen oder die Partei ganz zu verbieten. Wir müssen einen kritischen Blick werfen auf die Verquickung von Sicherheitsbehörden und rechtsextremen Netzwerken. Und wir müssen es endlich ernst nehmen, dass viele Minderheiten in Deutschland aktiv bedroht werden: zum Beispiel Menschen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, aber auch queere Minderheiten. Wenn wir denen nicht zuhören und gesamtgesellschaftlich zusammenarbeiten, dann sind solche großen Demos eher Make-up.
„Wir müssen es endlich ernst nehmen, dass viele Minderheiten in Deutschland aktiv bedroht werden.“
Warum sind die Demos gerade jetzt losgegangen? Wo hat die AfD übertrieben? Mich erstaunt es auch ein bisschen, dass es jetzt diesen Triggerpunkt gab, der Hunderttausende auf die Straße getrieben hat. Sie hätten in den vergangenen sieben Jahren jede Woche die Gelegenheit gehabt zu sagen: „Das ist nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt!“ Das AfD-Fass ist schon längst explodiert. Völkische und rassistische Gewaltfantasien wurden in deutschen Parlamenten und in den Sozialen Medien ausgebreitet. Beatrix von Storch hat insinuiert, dass Geflüchtete an der EU-Grenze erschossen werden sollten. Auch dieses sogenannte Geheimtreffen war nicht das erste. Und es war sicherlich auch nicht das letzte, wenn man sieht, wie selbstbewusst die AfD derzeit ihre Deportationsfantasien weiterspinnt und die Berichterstattung darüber als Werbung für sich nutzt.
Vielleicht bist du einfach besser informiert als andere, weil du als Journalist selbst über Rechtsextreme und Rassismus berichtest? Ja, es ist unter Journalist*innen, die dazu recherchieren, allgemein bekannt, dass solche Treffen regelmäßig stattfinden. Die gehen nicht nur von der AfD aus. Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft, aus den Medien, aus dem politischen System kommen regelmäßig zusammen und arbeiten daran, solche rechten Fantasien umzusetzen, teilweise sehr professionell. Die fliegen zum Beispiel in die USA und nehmen dort an Workshops teil. Es gibt eine Internationale der Nationalist*innen, die sich weltweit vernetzen. Und diese Botschaften, diese Schlagwörter fließen dann in den täglichen Sprachgebrauch ein, sodass er am Ende in bürgerlichen, liberalen Medien auftaucht. Das haben wir zuletzt gesehen, als die Stadtverwaltung Rostock eine Stelle für Remigration ausgeschrieben hat. Nach der Berichterstattung darüber haben viele in der Stadt gesagt: „Wieso? Das ist doch ein normales Wort.“ Das ist ein gutes Beispiel für die Normalisierung dieser rechtsextremen Sprache und Sichtweise.
Auch der schwule Politiker Peter Kurth, ehemals Finanzsenator in Berlin, ist so ein rechter Netzwerker. Die AfD hat mit Alice Weidel eine lesbische Bundesvorsitzende. Ist die Community längst Teil der neuen Rechten? Die Community war schon immer ein fester Bestandteil der Rechten. Keine Minderheit ist frei von menschenfeindlichen Gedanken. So findet man unter Muslim*innen Judenfeindlichkeit, unter Jüdinnen und Juden Rassismus und unter queeren, weißen Menschen rassistisches Gedankengut. Das motiviert sie dann so stark, dass sie aktiv in einer rechtsradikalen Partei mitmachen. Es gibt nicht nur Peter Kurth, sondern auch Harald Burkhard. Das ist der Vorsitzende der Jungen Union in Berlin. Der saß auch zusammen mit der AfD bei Peter Kurth im Wohnzimmer. Auch auf europäischer Ebene gibt es viele prominente Figuren wie den ermordeten Pim Fortuyn in den Niederlanden, der ja oft als bunter Vogel beschrieben wurde, aber hardcore-rassistisches Gedankengut normalisiert hat. Und abends hat er sich dann bei nordafrikanischen Sexarbeitern im Rotlichtmilieu bedient. An den Biografien kann man gut nachvollziehen, dass diese Leute ihren Rechtsextremismus sehr bewusst ausleben. Da muss auch die queere Community in Berlin einmal in den Spiegel gucken und sich fragen: Woher kommt dieser Rassismus? Das ist nicht nur politisch relevant, sondern auch im Alltag. Wie gehen wir miteinander um? Zum Beispiel auf Dating-Plattformen, wo sehr viel Rassismus ausgespielt wird. Oder in unseren Vereinen und Verbänden, die nicht unbedingt solidarisch mit anderen Minderheiten zusammenarbeiten, sondern eher die Ellbogen ausfahren.
„Die Community war schon immer ein fester Bestandteil der Rechten. Keine Minderheit ist frei von menschenfeindlichen Gedanken.“
Du meinst, unseren Kampf gegen rechts müssen wir auch auf Grindr und Romeo führen? Genau. Es ist einfach ein weiteres Spielfeld, wo es das gleiche Problem gibt: Dort wird nämlich nicht nur sehr viel Bodyshaming betrieben, sondern auch sehr rassistisch gedatet. In meinem aktuellen Buch habe ich deshalb versucht zu zeigen, was es bedeutet, wenn auch unter queeren Menschen die Rassismen auf die Körper von queeren Menschen of colour projiziert werden. Das passiert dort jeden Tag. Daran kann man gut ablesen, wie tief diese Rassismen sitzen und dann – im nächsten Schritt – auch in eine politische Agenda gegossen werden. Die schwulen Männer, die bei diesen rechtsextremen Vernetzungstreffen dabeisitzen, werden ja nicht wegen der Regenbogen-Quote eingeladen, sondern sie führen das Wort. Peter Kurth ist sogar ein Gastgeber. Und wenn die dabei helfen, rassistisches Gedankengut in konkrete politische Maßnahmen zu gießen – Stichwort Massendeportation –, dann müssen wir in der Berliner Community bitte noch mal reflektieren: Wie können wir wenigstens einen diskriminierungsfreien Nollendorfplatz hinbekommen? Das ist absolut wichtig, denn wenn wir Minderheiten nicht gegenseitig aufeinander aufpassen, dann tut es niemand. Nur gemeinsam sind wir stark genug, unsere gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten.
Die Bundesregierung will mehr Menschen abschieben. Im Januar hat sie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz vorgelegt. Was hat das für Folgen? Allein in der Queer Community habe ich unzählige Fälle recherchiert, wo im Zuge dieser sehr strikten Migrationspolitik viele Menschen, die zum Beispiel aus Nordafrika nach Deutschland geflüchtet waren, abgeschoben wurden – obwohl sie aus verschiedensten Gründen in ihren Ursprungsländern diskriminiert oder mit Gewalt bedroht werden. Da müssen wir uns als Gesellschaft im Klaren sein: Was bedeutet es eigentlich, „die Menschenrechte zu wahren“? Das Recht auf Asyl ist ein verbrieftes Grundrecht und soll trotzdem abgeschafft werden. Das machen andere Regierungen noch radikaler: Italien will Asylsuchende nach Albanien schaffen, Großbritannien nach Ruanda. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland Fantasien, die Asylverfahren in sogenannte Drittstaaten auszulagern. Jens Spahn hat das schon formuliert. Das bedeutet praktisch die Aufhebung der Genfer Flüchtlingskonvention. Und für queere Geflüchtete bedeutet das ein Leben in Angst. Als investigativer Journalist verbringe ich viel Zeit mit Statistiken und Excel-Tabellen. Daher weiß ich: Wenn es um Länder wie Marokko oder Tunesien geht, reden wir über so wenige Asylfälle. Die häufigeren Abschiebungen haben allein symbolische Kraft und zeigen leider, wie erfolgreich die AfD ist. Sie ist zwar nicht an der Regierung, aber sie macht so viel Druck, dass SPD, CDU, FDP und Grüne nachgeben und sagen: Wir müssen jetzt Abkommen mit irgendwelchen Ländern unterzeichnen, in die wir abschieben können, selbst wenn dort die Menschenrechte nicht gewahrt sind.
„Wir dürfen der AfD keine Plattform bieten.“
Wie könnten wir denn das Thema wechseln, damit nicht immer nur über Migration geredet wird? Als Journalist würde ich sagen: Wir dürfen der AfD keine Plattform bieten. Leider ist das inzwischen völlig normal bei vielen Zeitungen, aber auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die ARD sollte Björn Höcke nicht zum Sommerinterview einladen, damit er dort ohne jeden Faktencheck seinen Hass verbreiten kann. Unsere Verantwortung als Journalist*innen ist es, viel kritischer zu sein und auch viel geiziger mit Platz und Sendezeit. Der einzige Grund, warum man AfD-Politiker*innen kontaktieren sollte, ist die Konfrontation mit Rechercheergebnissen. Wir müssen sie mit gut recherchiertem, unterhaltsamem Journalismus entlarven und das der Öffentlichkeit zeigen. Zum Beispiel bei den Landwirtschaftsprotesten: Die AfD behauptet, sie sei auf der Seite der Bauern und Bäuerinnen. Aber in ihrem Parteiprogramm steht: Wir wollen alle Subventionen abschaffen, auch die für die Landwirtschaft. Wie passt das zusammen? Wir müssen den Leuten erklären, was das AfD-Parteiprogramm eigentlich für sie bedeutet. Die AfD will nicht nur das Gendern verbieten, sondern Queerness an sich. Warum sollte man sich als queere Person dann ausgerechnet für diese Partei entscheiden?
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