Queer und nationalistisch

Was tun, wenn die beste Freundin rechts wählt?

4. Juni 2024 Lara Hansen
Bild: Pexels/cottonbro studio
Während der Pandemie fingen viele Menschen an, rechte Memes und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien zu teilen

Rechtspopulist*innen sind auf dem Vormarsch. Was die meisten LGBTIQ*-Menschen weiter nach links politisiert, hat bei einigen unter ihnen den gegenteiligen Effekt. Sie machen gemeinsame Sache mit den Rechten. Wie, wenn überhaupt, redet man mit queeren Menschen, die rechts wählen? Und was tun, wenn es den eigenen Umkreis erwischt? Lara Hansen beleuchtet das Thema für SIEGESSÄULE

Rechtspopulistische Parteien werden im Europaparlament bald so stark vertreten sein wie nie zuvor. Schätzungen zufolge sollen die rechten Fraktionen Europäische Konservative und Reformer sowie Identität und Demokratie, zu der die AfD gehört, zusammen auf über 150 von insgesamt 705 Sitzen im EU-Parlament kommen. Viele LGBTIQ*-Menschen blicken mit Sorge auf diese Entwicklung und solidarisieren sich untereinander. Gleichzeitig kokettieren immer mehr unter ihnen mit den Rechtsnationalen, darunter vor allem schwule Männer und lesbische Frauen, gerade weil sie plötzlich mit auf den Schoß der AfD dürfen.

Trotz Rechtsruck fühlt man sich in der eigenen queeren Bubble häufig sicher vor rechtem Geschwurbel, gerade weil man dazu tendiert, politische Haltungen zum eigenen Schutz vom ersten Kennenlernen an transparent zu machen. Wenn das AfD-Gedankengut den queeren Umkreis doch irgendwie erwischt, ist die Schockstarre vorprogrammiert. Was tun, wenn Sätze aus dem Mund der sonst geliebten Person kommen, die man so nie erwartet hätte, die gegen einen selbst und die Freund*innen gerichtet sind? Diese Fragen stellte sich auch Sophie, als ihre engste queere Bezugsperson aus Kindheitstagen während der Pandemie anfing, rechte Memes und Verschwörungstheorien auf den sozialen Medien zu teilen. Sophie zog damals 1.000 Kilometer weit weg von der Kleinstadt, in der beide aufgewachsen sind, und bekam den Rechtsdrall ihrer Freundin daher vor allem aus der Ferne mit. Während sie sich ihren links-akademischen Unikreis aufbaute, ging es ihrer Kindheitsfreundin immer schlechter. Sie fing Lehren an und brach sie wieder ab, feierte in esoterisch-rechten Kreisen und flüchtete sich in Drogen. Besonders politisch sei sie nie gewesen, bis sie während der Corona-Pandemie den Verschwörungstheorien verfiel.

Klassistische Klischees

Sophie merkte, wie beide sich immer weiter voneinander entfernten, aber versuchte dennoch Verständnis aufzubringen für die Freundin, die aus einem schwachen sozialen Milieu und schwierigen Familienverhältnissen stammt. „Ich wollte ihre Sorgen ernst nehmen und ihr nicht das Gefühl geben, das ihr ganz viele andere Leute schon gegeben haben zu dem Zeitpunkt“, so Sophie.

„Auf alles, was ich sagte, kam ein aus einer ganz schlimmen Missinformation herauskommendes Gegenargument.“

„Aber ich hab gleichzeitig bei jedem Gespräch gemerkt, dass auf alles, was ich sagte, ein aus einer ganz schlimmen Missinformation herauskommendes Gegenargument kam. Sie hat sich sehr von mir angegriffen gefühlt.“ Der Bruch kam für Sophie, als ihre Freundin anfing, trans*feindliche Inhalte zu teilen. „Ich wusste dann, ich kann mit diesem Menschen keine Beziehung mehr führen. Als ich merkte, dass mir nahestehende Menschen von ihr gefährdet sind, und ich mich auch als halb migrantische Person nicht mehr wohlgefühlt habe“, erzählt Sophie. Zurückblickend glaubt Sophie, dass die ersten Vertrauensbrüche zwischen den beiden schon früher passiert waren. „Es gab viele Knackpunkte, wo ihr Leben aufgrund ihrer sozialen Herkunft strukturell bedingt schwieriger war“, erklärt sie. „Ich hatte einen ganz anderen Bildungszugang, und ich glaube, dass sie schnell das Gefühl hatte, ich sei arrogant.“ Heute wäre sie damit von Anfang an sensibler umgegangen.

Laut Michael Hunklinger, Politikwissenschaftler an der Universität Amsterdam, fehlt in der queeren Community oft die Auseinandersetzung mit Klassismus. Queere Kultur spiele sich größtenteils in städtischen Szenevierteln ab, wo viele ein relativ privilegiertes Leben führen. „Wir brauchen eine Offenheit, dass nicht jede*r ein einfaches queeres Leben hat. In der linken Uni-Bubble ist es kein Thema, aber das ist nicht für alle die Realität“, so Hunklinger. Gleichzeitig ist es ein klassistisches Klischee, dass nur Menschen aus sozial schwachen Milieus rechts wählen.

Der Politikwissenschaftler rät dazu, im Gespräch auf eine emotionale Ebene zu gehen. „Diskriminierungserfahrungen müssen nicht deckend sein, aber die Muster sind häufig ähnlich. Sich darüber auszutauschen, kann uns helfen, wieder zueinanderzufinden“, sagt er. Auch über die Hierarchien, die es in Privilegierung gebe, müsse mehr Verständnis herrschen. „Wir müssen da intersektional denken. Das wäre der erste Schritt, wieder ins Gespräch zu kommen.“

Reden, aber wie?

Genau dieses Gespräch kann herausfordernd sein – und nicht immer wirksam. Christian von der Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ gibt Tipps, wie man mit nach rechts driftenden Menschen im Umfeld und in unerwarteten Alltagssituationen umgeht. Im Rahmen der Anti-AfD-Initiative gibt er seit 2018 Workshops dazu, wie man ebensolchen rechten und diskriminierenden Parolen im Alltag den Garaus macht. Für eine wirksame Konfrontation müssen wir uns laut Christian drei verschiedene Aspekte immer wieder ins Gedächtnis rufen: Haltung, Wissen und Rhetorik. „Ich muss wissen, wann es mir selbst zu viel wird und aus welchen Werten heraus ich argumentiere“, so Christian. Es sei auch wichtig, sich über die verschiedenen Codes bewusst zu sein, etwa ab wann Verschwörungserzählungen antisemitische Züge annehmen.

Der dritte Punkt sei die Rhetorik. „Wie bringe ich meinen Standpunkt rüber?“ Wer das Gegenüber tatsächlich erreichen möchte, brauche dazu Empathie. „Woher kommen die Einstellungen? Worum geht es hier eigentlich?“, sagt Christian. Er rät auch dazu, über die eigene Betroffenheit zu reden und Gefühle zu verbalisieren. Sätze, wie „Ich bin schockiert davon, dass gerade du so redest“ oder „Warum gehst du davon aus, dass ich mich für etwas Besseres halte?“ können eine emotionale Brücke bauen und die Sachebene für ein Gespräch danach ermöglichen.

„Die grundlegende Strategie von populistischen Parteien wie der AfD wird es immer sein, Leute gegeneinander auszuspielen.“

Diskutieren sei zwar für viele der erste Impuls, könne in einigen Fällen aber kontraproduktiv sein, etwa wenn wir Neonazis und Rechten dadurch eine Bühne bieten, auf der sie sich ausbreiten können. „Es gibt keine Mitte zwischen Faschismus und Antifaschismus“, sagt Christian. Insbesondere, wenn die Person vor uns auf Provokation ausgerichtet sei, könne uns das kostbare Energie rauben. „Ich muss mir nicht alles gefallen lassen. Wenn ich nicht weiterkomme, kann ich auch einfach gehen. Und mir Verbündete suchen“, sagt Christian. Verbundenheit sei das A und O in dem derzeitigen politischen Klima. „Die grundlegende Strategie von populistischen Parteien wie der AfD wird es immer sein, Leute gegeneinander auszuspielen“, so Christian, „Dagegen müssen wir ein klares Nein definieren.“

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