Was ist die Furry-Szene? Wolf Sordeo im Interview
Furrys entwickeln für sich selbst Tiercharaktere und verleihen ihnen menschliche Eigenschaften. Alexander aus Berlin kam vor einigen Jahren in diese Szene, in der er mittlerweile als Wolf Sordeo auftritt. In seinem Kostüm war er auch schon auf dem Folsom-Europe-Straßenfest – doch handelt es sich beim Furry-Fandom um einen Fetisch? SIEGESSÄULE sprach mit Alexander über sein pelziges Alter Ego, sexuelle Komponenten im Furry-Sein und die LGBTI*-Quote innerhalb der Szene
Furrys sieht man selten in der realen Welt. Wie wird man Teil der Community? Es gibt keinen übergeordneten Verein. Die Szene ist recht überschaubar und der gemeinsame Austausch findet vor allem im Internet statt. Es gibt viele Furrys, die kein Kostüm, also einen Fursuit, besitzen. Manchen ist es nicht so wichtig, oft ist es einfach zu teuer. So ein Suit kann bis zu mehreren Tausend Euro kosten.
Man braucht also keinen Fursuit, um Teil der Community zu sein. Genau. Viele entwickeln ihre Fursona ausschließlich über Zeichnungen und Animationen, die man selber macht oder beauftragt. Andere beschreiben ihre Figur im Chat und schreiben Geschichten in entsprechenden Foren.
Wie hast du deine Figur gefunden? Sordeo ist ein etwas gesetzter Schwarzwolf mit einem eher ruhigen, weisen Spirit. Ich habe mich mit einem Zeichner zusammengesetzt, und wir haben diesen Charakter visuell gemeinsam entwickelt, bis ich gesagt habe: „Das entspricht meinem Alter Ego.“ Ich habe bewusst entschieden, dass Sordeo meiner eigenen Person recht nahekommt. Bei vielen Furrys entwickelt sich ihr Charakter in eine expressive Variante, die komplett anders ist als sie selbst. Es gibt Leute, die haben mehrere Fursonas und ändern ihre Ausdrucksform, je nachdem, welchen Suit sie gerade anhaben.
„Für mich ist Sordeo eine Muse oder Inspiration, die ich fotografisch inszeniere und damit meine Art von Kunst schaffe.“
Das hört sich fast ein bisschen an wie Drag ... Na ja ... der Vergleich mag stimmen, die Begrifflichkeit eher nicht. Ich rede lieber von Eskapismus. Menschen nutzen das, um wirklich mal aus sich herauszugehen. Das würden sie im echten Leben kaum tun. Deswegen ist eine Furry-Persona auch ein Stück weit ein Schutzcharakter.
Was ist Furry-Fandom für dich? Für mich ist es in erster Linie ein Hobby, das einen Zugang zu einer sehr interessanten Community bietet. Furry-Fandom ist nicht unbedingt eine Kunstform, aber doch nahe an Kunst angelegt. Die Community ist sehr kreativ. Für mich ist Sordeo auch eine Muse oder eine Inspiration, die ich fotografisch inszeniere und damit meine Art von Kunst schaffe.
Du besitzt einen Fursuit. Wie kommt man dazu? Den Suit habe ich mir schon nach etwa zwei Jahren in der Szene zugelegt. Für mich ist ein Furry-Charakter erst vollständig, wenn ich ihn auch richtig verkörpern kann. Dazu sucht man sich einen Suitmaker, dessen Stil einem gefällt, und bewirbt sich um einen Slot, was bei begehrten Makern schon mal Monate dauern kann. Da werden Referenzzeichnungen ausgetauscht, und ein Körpermodell wird abgenommen, damit der Suit passt. Und dann fängt der Suitmaker an zu bauen. Man unterscheidet dabei zwischen „toony“, den eher verspielten Varianten, semirealistischen und eben vollrealistischen Fursuits. Die sind am aufwendigsten und auch am teuersten.
„Ein überwiegender Teil der Furry-Community steht der queeren Community nahe.“
Was sagen die Leute, denen du von deinem Hobby erzählst? Ich bin etwas zurückhaltend, wem ich das erzähle, dass ich mich im Furry-Fandom herumtreibe. Aber mein Freundeskreis ist neugierig und interessiert. Bisher hat noch keiner ablehnend reagiert.
Wie schwul oder queer ist die Furry-Szene? Der Aspekt ist in der Community durchaus wichtig, wozu es auch wissenschaftliche Erhebungen gibt. Es hat sich gezeigt, dass ein überwiegender Teil der Furry-Community der queeren Community nahesteht.
„Sex ist bei Weitem nicht der Hauptaspekt, weswegen sich Menschen der Community zuwenden.“
Kann Furry-Fandom ein Fetisch sein? Hat es eine sexuelle Komponente? Von außen wird Furry-Sein oft mit einem Fetisch verwechselt. Das wird schnell mal mit Pup Play vermischt. Dabei ist das wesentlich mehr als eine sexuelle Attraktion. Sex ist bei Weitem nicht der Hauptaspekt, weswegen sich Menschen der Community zuwenden. Ich habe da ein soziales Umfeld gefunden, mit dem man in ständigem Austausch ist.
Wie erklärst du Leuten den Unterschied zu Pup Play? Pup Play ist im weitesten Sinne die Reduzierung auf tierische Verhaltensweisen, meist denen eines Hundewelpen. Dort gibt man die Verantwortung ab an sein Herrchen oder seinen Halter. Anthropomorphismus – also Furry-Sein – ist quasi das Gegenteil: Ich gebe einem Tiercharakter menschliche Eigenschaften. Als Furry bin ich nicht „dein Hundchen“. Ich bin meine eigene Persönlichkeit.
Gehst du als Sordeo raus in die schwule Szene? Ich bin relativ selten außerhalb von Furry-Veranstaltungen im Suit unterwegs. Ich war 2019 damit auf dem Folsom-Straßenfest. Zusammen mit meinen Motorradklamotten passt der Wolf ganz gut da rein. Das liegt aber auch daran, dass Sordeo eine recht maskuline Erscheinung ist. Im Allgemeinen lass ich den Wolf zu Furry-Treffen und -Dances raus. Sordeo ist eher ein „Event-Wolf“ (lacht).
Wo triffst du andere Furrys? Übers Jahr verteilt gibt es sogenannte Walks, wo man Leute in Suit zusammentrommelt und durch den Park läuft und auch mit normalen Menschen interagiert. Oder es gibt Stammtische, um sich persönlich auszutauschen. Einmal im Jahr findet in Berlin die Eurofurence statt, Europas größte Furry-Convention. Das ist für die Community das Jahreshighlight. Für viele ist das ein Schutzraum unter Gleichgesinnten. Da kann man sein Hobby ausleben, ohne komisch angeguckt zu werden. Dieses Jahr gab es das Event leider nur digital.
Was wäre dein Wunsch, in welche Richtung sich die Furry-Szene entwickeln sollte? Ich finde das Furry-Fandom gut so, wie es ist. Es muss für mich nicht stärker in den Mainstream, da es dann auch Leute anziehen würde, die das nur als Happening wahrnehmen. Ich wünsche mir Leute, die sich der Community zugehörig fühlen und dort auch engagieren. Natürlich gibt es Furrys, die sich im Rampenlicht wohlfühlen, aber der Großteil hat keine großen Ambitionen, Aufmerksamkeit zu erregen. Leute, die sich im Netz nach außen als Sprecher für das Fandom darstellen, werden in der Community eher argwöhnisch betrachtet.
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