Was bedeutet der neue LGBTIQ*-Aktionsplan für die Berliner Community?
Im Dezember wurde der neue LGBTIQ*-Aktionsplan vom Senat beschlossen. Wie geht es jetzt für die Berliner Community weiter? SIEGESSÄULE-Autorin Selina Hellfritsch sprach mit Politiker*innen und queeren Aktivist*innen über die Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV)
In 340 Punkten listet die aktuelle Auflage des queeren Aktionsplans Maßnahmen auf, die in den kommenden Jahren die Belange der queeren Community vertreten und für mehr Sichtbarkeit und Sicherheit sorgen sollen. Diesmal mit besonderem Fokus auf Bisexualität und Intersektionalität.
Das Ausmaß des Aktionsplans scheint auf den ersten Blick überwältigend, und man fragt sich, muss das so lang sein? „Senatorin Kiziltepe und die Landesantidiskriminierungsstelle haben diesmal viele konkretere Punkte aufgeführt, um klarzumachen, was zu tun ist und wer dafür zuständig ist. So können die Maßnahmen in den entsprechenden Senatsverwaltungen umgesetzt und gemessen werden“, erklärt der Queer-Beauftragte von Berlin, Alfonso Pantisano, im Interview mit SIEGESSÄULE. Beispielsweise wurden die Handlungsfelder „Altern und Pflege“, „Gesundheit“ und „Behinderung“ getrennt, um genauer auf einzelne Betroffene einzugehen. Es stehen weiterhin die Bereiche queere Menschen mit Behinderung, lesbische Sichtbarkeit und die Belange von trans- und intergeschlechtlichen Menschen im Mittelpunkt.
Das vernachlässigte B
Im aktuellen Plan richtet sich der Fokus zusätzlich auf Bisexualität, genauer gesagt die Bi+-Community, die alle nicht monosexuellen Menschen wie z. B. Pansexuelle mit einschließt, und den Aspekt der Intersektionalität, der sich als roter Faden durchzieht. „Es ist wichtig zu sehen, dass Berlin als Regenbogen-Hauptstadt nicht nur aus schwulen Männern besteht, sondern aus einer vielseitigen und vielschichtigen queeren Community, bei der wir auf jede*n eingehen möchten“, versichert Pantisano im Interview.
„Es ist wichtig zu sehen, dass Berlin als Regenbogen-Hauptstadt nicht nur aus schwulen Männern besteht, sondern aus einer vielseitigen und vielschichtigen queeren Community.“
Eine bis jetzt besonders benachteiligte Gruppe sei dabei die bisexuelle Community. Hier gebe es einen enormen Nachholbedarf, erklärt der Queer-Beauftragte. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos von 2023 kann man davon ausgehen, dass sechs Prozent der Deutschen bi-, pan- oder asexuell sind. In Berlin käme man da auf über 210.000 Menschen, die unter dem Begriff Bi+ zusammengefasst werden könnten und für die es aktuell noch kaum Angebote gibt. „Das ist nicht nur fahrlässig, sondern unfair gegenüber der bisexuellen Community. Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt korrigierend eingreifen!“, beteuert Pantisano im Gespräch.
Mehrfachdiskriminierung mitgedacht
Thilo Wetzel ist Vorstandsmitglied des Vereins BiBerlin, der sich als einzige Organisation in der Hauptstadt für die Stimme von bisexuellen Menschen einsetzt. Im Gespräch mit SIEGESSÄULE sagt er: „In Berlin sind wir die einzige echte Repräsentanz von Bisexuellen – und wir sind gerade noch ein kleiner Verein, der auf ehrenamtlicher Basis agiert.“ Es freue ihn zu sehen, dass die Themen der Bi+-Community mittlerweile mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft und Politik gelangen und nun auch so explizit im Aktionsplan aufgegriffen werden. Darin steht unter anderem, dass bei der diesjährigen Ausgabe des „Berliner Monitorings trans- und homophobe Gewalt“ der Schwerpunkt auf Feindlichkeit gegen bisexuelle Menschen und ihre Gewaltbetroffenheit gelegt werden soll. Außerdem sollen Fachberatungsstellen ausgebaut, das Angebot von Schutzeinrichtungen für gewaltbetroffene Bi+-Frauen erweitert und die Sensibilisierung bei Polizei und Justiz gefördert werden.
Vor allem müssen auch mehr Daten beschafft werden, da es einfach an Wissen um die Bedarfe der Bi+-Community mangelt. Hier hat BiBerlin bereits den ersten Schritt gemacht und 2022 in einer eigenen Studie über 500 bi- und pansexuelle Menschen in Berlin-Brandenburg befragt. Dabei gaben nur elf Prozent an, noch keine Diskriminierungserfahrung gemacht zu haben, was die Notwendigkeit noch einmal auf den Punkt bringt.
Nimmt man den Aktionsplan mit Blick auf Intersektionalität unter die Lupe, fällt auf, dass viele Maßnahmen konkret die Mehrfachdiskriminierung von verschiedenen Personengruppen miteinbeziehen – so werden auch Rassismus, Klassismus, Fluchterfahrungen und Migration in der queeren Community mitgedacht. „Wir sind positiv überrascht, wie detailliert und korrekt dieser Aktionsplan ausformuliert wurde“, erzählt Wetzel. Da stimmt auch Marie Springborn, Bildungsreferent*in des Projekts queer@school, zu und ergänzt: „Es ist gut, wie das Thema Intersektionalität verstärkt eingebunden wird, allerdings fehlt mir an manchen Stellen eine Vertiefung der vorhandenen Maßnahmen.“
„Es ist gut, wie das Thema Intersektionalität verstärkt eingebunden wird, allerdings fehlt mir an manchen Stellen eine Vertiefung der vorhandenen Maßnahmen.“
Queer@school setzt sich in seiner Arbeit mit Mehrfachdiskriminierung auseinander und bringt mit seinem Peer-to-Peer-Ansatz die Themen geschlechtliche, sexuelle und romantische Vielfalt in Berliner Schulen. In diesem Bereich wünscht sich Springborn mehr Empowerment für die Selbstorganisation der Schüler*innen, damit sie sich selbstwirksam gegen Diskriminierung einsetzen können. Springborn kritisiert auch, dass der Aktionsplan den Eindruck vermittelt, alle queeren Bildungsprojekte sollten nun zusätzlich ihre Arbeit auf Intersektionalität ausweiten, ohne dass die Fördersummen angepasst werden. „Damit geht eine starke Forderung nach Professionalisierung sowie einem Qualitätsmanagement einher, wofür es im Endeffekt mehr Geld bedarf.“ Auch die Nachfrage an queer@school ist derzeit viel größer, als die Organisation stemmen kann. Mehr Geld würde hier mehr Einsatz erlauben – so geht es vielen Initiativen.
Sorge um Finanzierung
Aktuell ist der Aktionsplan der IGSV über den Berliner Haushaltsplan für die nächsten zwei Jahre finanziert. Da der Plan allerdings als langfristiges und nachhaltiges Projekt gedacht ist, wird seine Wirksamkeit darüber hinausgehen. Kritisch wird es dann bei den nächsten Haushaltsverhandlungen. „Ich höre, dass wir wohl den Gürtel enger schnallen müssen. Es wird unsere Aufgabe sein, allen Beteiligten jeden Tag zu zeigen, wie wichtig queere Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit sind, damit wir die wichtigen Projekte schützen können“, betont Pantisano. Schon für diesen Haushalt mussten die betroffenen Projekte um ihre Finanzierung kämpfen.
BiBerlin e. V.
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