Was ändert sich für LGBTIQA* in der katholischen Kirche?
Marie Kortenbusch war eine der 125 Katholik*innen, die sich im Rahmen der Initiative „Out in Church“ geoutet haben. Die Autorin und Aktivistin erklärt im Interview, was sich nach der Synodalversammlung am 10. März, die mit einer klaren Mehrheit für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare gestimmt hat, für Queers in der katholischen Kirche ändert, was „Out in Church“ bislang erreicht hat und was sie dazu bewogen hat, ein Buch über ihre Erfahrungen als Lesbe in der katholischen Kirche zu schreiben
Im letzten Jahr starteten Sie gemeinsam mit über 100 Mitstreiter*innen die Aktion „Out in Church“. Was hat die Kampagne bislang erreicht? Wir haben sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, nicht nur in der Kirche, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit. Eine unserer Forderungen war die Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts: Sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität oder Scheidung dürfen kein Kündigungsgrund mehr sein. Schon im November wurde angekündigt, dass das kirchliche Arbeitsrecht verändert werden soll. Die Änderungen gelten schon jetzt, allerdings noch nicht in allen Berufsfeldern, zum Beispiel noch nicht für Religionslehrer*innen. Unsere Aktion hat aber zu einer Dynamik beigetragen – ich hatte nicht gedacht, dass das so schnell gehen würde. Viele Berufsgruppen in der katholischen Kirche, wie zum Beispiel Pflegekräfte, können jetzt aufatmen, was ihre arbeitsrechtliche Situation betrifft.
Findet Ihrer Einschätzung nach seit „Out in Church“ ein Umdenken in der katholischen Kirche statt? Es gibt Bischöfe, die aus einer inneren Einsicht heraus sagen: „Wir möchten das Arbeitsrecht ändern.“ Es gibt aber auch Bischöfe, die die Reform eher aus pragmatischen Gründen unterstützen, weil es gerade im Pflegebereich einen großen Mitarbeiter*innenmangel gibt. Eine andere Forderung von „Out in Church“ ist die Änderung der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität. Konkret geht es darum, dass diskriminierende Aussagen über LGBTIQA* revidiert werden und theologische Auslegungen über Sexualität und Geschlecht mit humanwissenschaftlichen Erkenntnissen abgeglichen werden müssen. Der Katechismus, also das Lehrbuch des katholischen Glaubens, muss dahingehend geändert werden. Es wird noch ein weiter Weg sein, bis diese Forderung Rom erreicht und dort ein Umdenken stattfindet.
Das Reformgremium Synodaler Weg hat am 10. März darüber abgestimmt, dass gleichgeschlechtliche Paare gesegnet werden können sowie inter- und transgeschlechtliche Personen in Taufregistern anerkannt werden. Diese Beschlüsse sind nur Empfehlungen – warum sind sie dennoch bedeutsam? Sie zeigen – endlich – eine Wahrnehmung der Lebensrealität queerer Menschen. Es ist ein deutlicher Schritt auf eine liberaler gewordene und werdende Gesellschaft hin. Die deutsche Kirche geht bezüglich der Segensfeiern deutlich in Opposition zu einem Nein aus Rom, das hat es so noch nie gegeben. Und mit dem Beschluss zur geschlechtlichen Vielfalt zeigt die Mehrheit der Synodalen, auch der Bischöfe, dass sie eine Änderung der kirchlichen Lehre für notwendig hält. Das schafft einen Ausgangspunkt auf dem Weg zu dem, was noch aussteht.
„Die deutsche Kirche geht bezüglich der Segensfeiern deutlich in Opposition zu einem Nein aus Rom, das hat es so noch nie gegeben.“
Was ändert sich für LGBTIQA* in der katholischen Kirche? Die pastorale Praxis wird sich ändern, es wird also Segensfeiern geben und auch in Taufregistern wird man trans* und inter* Menschen berücksichtigen. Nicht in jedem Bistum in gleicher Weise oder gleicher Geschwindigkeit, denn auch hier hängt die Umsetzung der Beschlüsse vom jeweiligen Ortsbischof ab. Beispielsweise betonen einige Bischöfe, dass für sie Segensfeiern nur von Rom erlaubt werden können, sodass in ihren (Erz-)Bistümern Segnungsfeiern wohl noch nicht zu erwarten sind.
Haben die Beschlüsse auch eine Auswirkung auf das Kirchenrecht? Gewinnen beispielsweise Priester jetzt an Rechtssicherheit bei Segensfeiern für queere Paare? Eine wirkliche Rechtssicherheit ist das nicht. Es bleibt vieles weiterhin im Graubereich. Aber ich denke, dass in der Praxis etliche Priester nun mutiger und entspannter damit umgehen. In einem Bistum, in dem der verantwortliche Bischof die Beschlüsse befürwortet, müssen Priester keine Sanktionen befürchten.
An den Beschlüssen gab es auch Kritik, beispielsweise, dass die sakramentale Ehe für gleichgeschlechtliche Paare weiterhin nicht möglich ist und einige der Beschlusstexte „weichgespült“ wurden. Wie bewerten Sie das? Ja, es trifft zu, dass einiges „weichgespült“ wurde, weil man Kompromisse erzielen musste. Ob das Glas also halb voll ist oder halb leer, liegt im Auge der Betrachtenden. Für viele richtet sich die Hoffnung jetzt darauf, dass der begonnene Prozess perspektivisch zu den wichtigen Veränderungen der kirchlichen Lehre und des Weltkatechismus führen wird. Die Kirche in Deutschland (und einigen anderen Ländern) kann auf weltkirchlicher Ebene einen wichtigen Beitrag auch in die anstehende Weltsynode einbringen: In Rom wird stets mit der Einheit der Kirche argumentiert, also mit der Rücksichtnahme auf Kirchen in Ländern, in denen bisher kein Bewusstsein für die Rechte von Queers besteht. Ich hoffe, dass diese Sichtweise sich drehen lässt: Kirche kann und sollte im Gegenteil auch positiv hineinwirken in Länder und Erdteile, in denen Menschen noch nicht so weit sind, dass sie sich so zeigen können wie hier. Das wäre Einheit auf der Grundlage von Gerechtigkeit und nicht Einheit auf der Basis von Diskriminierung. So könnte die katholische Kirche als globale Akteurin zur Humanisierung beitragen, zur Gerechtigkeit für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten.
„In einem Bistum, in dem der verantwortliche Bischof die Beschlüsse befürwortet, müssen Priester keine Sanktionen befürchten.“
Apropos Rom: Der im Dezember verstorbene Papst XVI. war ja für seine homo- und transfeindlichen Äußerungen bekannt. Ist der Vatikan nicht eine heteronormative und patriarchale Bastion, gegen die Reformversuche nur wenig ausrichten können? Die Männerbünde, dass Frauen nicht zu Weiheämtern zugelassen sind – natürlich ist das eine Bastion, da gibt es nichts zu beschönigen. Das zeigt sich auch im Engagement von Georg Bätzing, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz: Er spricht sich sehr offen für Reformen zugunsten queerer Menschen aus, bekommt jedoch viel Gegenwind aus Rom. Als Papst Benedikt gestorben ist, kamen bei mir Erinnerungen hoch: Seine Aussagen zu Homosexualität fand ich nicht nur inhaltlich, sondern vor allem in der Tonalität und Schärfe unglaublich verletzend. Diesen Ton höre ich bei Papst Franziskus hingegen nicht. Deshalb hatten wir große Hoffnungen, dass sich relativ schnell etwas verändern würde. Vor allem, als er auf die Frage eines Journalisten geantwortet hat: „Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht – wer bin ich, über ihn zu urteilen?“ Er bringt jedoch keine konkreten Änderungsansätze ein und hat auch das Segnungsverbot für gleichgeschlechtliche Paare bekräftigt. Für „Out in Church“ war das ein Schlag in die Magengrube.
Warum ist aus Ihrer Sicht dennoch ein differenzierter Blick auf die katholische Kirche in der queeren Community wichtig? Für viele Verbände und Gemeinden in Deutschland sind queere Lebensentwürfe inzwischen völlig selbstverständlich. Zum Beispiel hat auch das Zentralkomitee der Katholiken ausdrücklich „Out in Church“ unterstützt. In vielen Bistümern gibt es inzwischen Beauftragte für Diversität. Als ich vor vielen Jahren die ersten queeren Gemeinden aufgesucht habe, wurden diese noch sehr kritisch beäugt. Das ist heute anders: Es gibt in vielen Städten queere Gemeinden, auch in der katholischen Kirche, und Gottesdienste für queere Menschen. Auch Arbeitskreise, die Mitarbeitende der Kirche für LGBTIQA*-Belange sensibilisieren, sind nicht unüblich.
Ihre Erfahrungen bei „Out in Church“ und als lesbische Frau in der katholischen Kirche schildern Sie in dem Buch „Wie Gott mich schuf“. Was hat Sie zu diesem Buch bewogen? Als sich „Out in Church“ formiert hat, da war für mich ein Stichwort sehr wichtig: Angst. Das ist ja auch der Untertitel der Initiative: „Für eine Kirche ohne Angst“. Die Angst verbindet uns alle bei „Out in Church“. Was mich sehr schockiert hat ist, dass junge Menschen genau die gleichen Erfahrungen bei der Kirche machen, die ich vor vielen, vielen Jahren machen musste. Als ich vom Filmteam der ARD-Doku gefragt wurde, ob ich interviewt werden will, hatte ich natürlich auch Angst vor den Konsequenzen und Reaktionen. Ich stellte jedoch fest, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für mich war, mitzumachen. Einerseits, um selbst ein Stück Freiheit zu gewinnen, und andererseits, um für die Jüngeren etwas zu verändern – mit der Angst gegen die Angst.Dieses ganz große öffentliche Coming-out war also etwas sehr Bedeutsames für mich, auch auf einer spirituellen Ebene. Als nach der Ausstrahlung des Films etwas Ruhe eingekehrt war, habe ich angefangen zu schreiben. Es war ein intensiver Prozess, bei dem mir klar wurde, dass sich die Erfahrung „Ich darf nicht so sein, wie ich bin“ durch mein ganzes Leben zieht, schon bevor die Frage nach meiner lesbischen Identität überhaupt aufkam. Ich habe daher meine traumatischen Kindheitserfahrungen mit den Erfahrungen als lesbische Frau in der katholischen Kirche in Verbindung gebracht und in dem Buch verarbeitet.
„Die Angst verbindet uns alle bei 'Out in Church'.“
Sie haben an einem katholischen Ordensgymnasium Deutsch und Religion unterrichtet. Wie sind Sie dort mit Ihrer lesbischen Identität umgegangen? Dass ich mit einer Frau zusammenlebte, war an meiner Schule bekannt. Das durfte aber niemals wie eine Partnerschaft erscheinen. Meine Vorgesetzten vermittelten uns, wie wir über nicht kirchenkonforme Partnerschaften zu reden hatten. Zum Beispiel hatte meine Chefin den Freund einer Kollegin, mit dem sie unverheiratet zusammenlebte, als „Kurier“ bezeichnet, als dieser Unterlagen in der Schule abgab. In meinem Fall wurde meine Partnerin als „gute Freundin“ interpretiert oder mit der Cousine einer alleinstehenden Kollegin verglichen, die ihr in schwierigen Situationen beistand. Wenn ich über meine Partnerin sprach, musste ich mich stets so ausdrücken, dass unser Verhältnis in der Schwebe blieb. Ich war in dieser Art der Kommunikation sehr geübt und hatte das lange als ein wohlwollendes Angebot verstanden: Wenn du dich an diese Spielregeln hältst, kannst du bleiben. Erst später ist mir klargeworden, dass dieses scheinbar wohlwollende Angebot eigentlich auch eine Ansage war: Du darfst hier nicht authentisch sein, wahrhaftig sein, du selbst sein.
Haben Sie jemals in Erwägung gezogen, einen anderen Berufsweg einzuschlagen und Ihren Glauben nur noch privat zu praktizieren? Ich glaube, es ist für Außenstehende schwer nachzuvollziehen, dass mein Glaube ein genauso wichtiger Teil von mir ist wie meine Liebe. Ich kann die Spannung nicht dadurch auflösen, dass ich mich von meiner Partnerin trenne und enthaltsam lebe, aber genauso kann ich mich nicht von meinem Beruf, meiner Einbindung in die Kirche oder von meinem Glauben trennen. Deshalb hat sich mir nie die Frage gestellt, ob ich ein anderes Arbeitsumfeld wählen sollte. Vor allem der Religionsunterricht war eine Herzenssache, denn hier konnte ich mich ganz besonders entfalten. Ich habe ja bereits meine Kindheitserfahrungen erwähnt: Die Atmosphäre und das Miteinander an der Schule, aber auch die Entfaltungsmöglichkeiten waren sehr wichtig für meinen Heilungsprozess. Die Schule, an der ich gearbeitet habe, war trotz allem ein ganz großes Geschenk in meinem Leben.
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