Bi+ Awareness Week (16.–23.09.)

Warum outen sich Bisexuelle seltener?

16. Sept. 2024 Louisa Theresa Braun
Bild: canva.com
Bisexuelle Pride-Flagge, 1998 von Michael Page entworfen

Anlässlich der Bisexual Awareness Week vom 16. bis zum 23. September ist SIEGESSÄULE-Autorin Louisa Theresa Braun den Fragen nachgegangen, warum sich bi- und pansexuelle Menschen seltener outen als Schwule und Lesben und welche Auswirkungen bifeindliche Vorurteile auf die Betroffenen haben

Bei der Bi+ Pride in Hamburg, der einzigen Demonstration in Deutschland spezifisch für bi- und pansexuelle Sichtbarkeit, wird Rahel Korinth eine Rede über ihre Forschung halten. Und sie will erstmals öffentlich von sich als bisexuelle Person sprechen. Bislang habe sie das strikt von ihrer Arbeit als Sexualwissenschaftlerin an der Medical School Hamburg getrennt. Das nun zu ändern „sehe ich als meinen Auftrag“, sagt die 29-Jährige gegenüber SIEGESSÄULE.

Schließlich haben die Aktionen rund um den Bi+ Visibility Day (Tag der bisexuellen Sichtbarkeit) dasselbe Anliegen wie ihre jüngste Publikation: „Das Unsichtbare sichtbar machen“ heißt die im August veröffentlichte Studie, für die Korinth mit ihren Kolleginnen Sonja Bröning und Urszula Martyniuk über 500 Bi+-Personen aus ganz Deutschland zu ihren Unsichtbarkeitserfahrungen befragt hat. Der Begriff Bi+ schließt neben der Bisexualität auch Labels wie poly- oder pansexuell ein, steht also für Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen.

Bild: privat
Die Sexualwissenschaftlerin Rahel Korinth forscht zu Bisexualität

Unsichtbare Mehrheit der LGBTIQ*-Community

Obwohl sie zur größten der sexuellen Minderheitsgruppen gehören, gaben knapp 95 Prozent der Befragten an, sich in ihrer Sexualität entweder nie, selten oder nur manchmal sichtbar zu fühlen. Je nach Geschlecht der Partnerperson würden Bisexuelle meist entweder hetero- oder homosexuell gelesen. „Monosexismus“ nennt Korinth die Annahme, dass es für jede Person nur ein „richtiges“ Geschlecht geben könne.

Diese Art der Diskriminierung habe System und eine lange Geschichte: von der frühen Biologie, die Bisexualität als „unvollkommen“ und als vorübergehende Phase beschrieb (vor allem geprägt von Freud), bis hin zur jetzt noch stattfindenden „Ausradierung“ bisexueller Identität, auch Bisexual Erasure genannt. Ein Beispiel dafür ist die Praxis, historische Personen, die Beziehungen zu Menschen mehrerer Geschlechter führten, eindeutig als homo- oder heterosexuell zu interpretieren. Prominente Beispiele dafür: Freddie Mercury, David Bowie, Sylvia Rivera.

„Fehlende Sichtbarkeit werde unter Umständen auch als Vorteil wahrgenommen, zum Beispiel als Schutz vor Diskriminierung.“

Die häufigste Strategie gegen die Unsichtbarkeit sei ein Coming-out, wobei sich unter den Befragten lediglich 49 Prozent häufig, 34 Prozent nur manchmal und 17 Prozent selten bis nie outen. Verschiedene Studien zeigen immer wieder, dass sich bisexuelle Menschen deutlich seltener vor wichtigen Bezugspersonen outen als Schwule oder Lesben. Fehlende Sichtbarkeit werde aber unter Umständen auch als Vorteil wahrgenommen, zum Beispiel als Schutz vor Diskriminierung.

Hohe Hürden beim Coming-out

Von der hohen Hürde eines Coming-outs kann Yasha Müller berichten. Der 61-jährige Hamburger ist Berater bei dem Verein Bisexuelles Netzwerk – Bundesverband Bi+, kurz BiNe. Bei ihm würden viele Menschen anrufen, die gegenüber der eigenen Partnerperson nicht geoutet sind und für die dieser Schritt „eine krasse Veränderung, womöglich eine Trennung bedeuten könnte“, berichtet er der SIEGESSÄULE. Oft sei das Coming-out dann gar nicht so schlimm wie befürchtet, doch viele hätten Vorurteile gegen die eigene Bisexualität bereits verinnerlicht. Diese würden es vor allem Männern erschweren, sich zu outen, so Müllers Beobachtung, die sich mit der Forschung deckt.

„Viele haben Vorurteile gegen die eigene Bisexualität verinnerlicht.“

So haben sich an der Studie von Korinth Männer überhaupt nur zu 13,5 Prozent beteiligt – und diese gaben signifikant häufiger an, für homosexuell gehalten zu werden, als weibliche (die mit 70,3 Prozent die Mehrheit der Befragten ausmachten) und nonbinäre Studienteilnehmende (12,6 Prozent).

Männliche Bi- wie Homosexualität werde gesellschaftlich stärker abgewertet, erklärt Korinth. Das habe unter anderem mit der Aids-Krise zu tun, in der bisexuelle Männer für die Infektion heterosexueller Frauen verantwortlich gemacht wurden. „Sex unter Männern gilt im Vergleich zu Sex unter Frauen eher als ‚eklig‘ und unter Schwulen werden Bisexuelle zum Teil als weniger verlässliche Partner gesehen“, fasst Müller zusammen.

Bild: privat
Yasha Müller engagiert sich bei BiNe im Beratungsteam

Auch das Verhältnis zur queeren Szene hat Korinth untersucht und sei überrascht gewesen, „dass so viele Menschen von Doppeldiskriminierung berichtet haben“ – also davon, sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch in der LGBTIQ*-Szene diskriminiert zu werden. „Das hat mich schockiert, denn die queere Szene sollte ja eigentlich ein Schutzraum sein.“ Dabei hat sie dieselbe Erfahrung auch schon gemacht: Als sie in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und viel in der lesbischen Szene unterwegs gewesen war, sei sie des öfteren von Lesben ausgegrenzt worden. Sie sei eben keine „Goldstern-Lesbe“, die noch nie Sex mit Männern hatte.

„Die queere Szene sollte eigentlich ein Schutzraum sein.“

Solche Abwertung treffe härter als wenn sie aus der Mehrheitsgesellschaft kommt und erschwere es Bi+-Personen, gleichgeschlechtliche Beziehungen einzugehen. So sind 43 Prozent der Studienteilnehmer*innen in gemischtgeschlechtlichen Partnerschaften und 32 Prozent Single. Korinth selbst habe beinahe 15 Jahre gebraucht, „bis ich begriffen habe, dass ich mich nicht entscheiden muss“. Ein männliches Date mit zu einer queeren Party nehmen – das ist für sie aber noch immer unvorstellbar.

Hohe Gewaltprävalenz von bisexuellen Frauen

Ohnehin würden weiblich gelesenen Bi+-Personen eher als heterosexuell wahrgenommen. Das monosexistische Denken nehme also meist dasjenige Begehren an, das sich auf Männer richtet. „Das Patriarchat arbeitet mit“, so Korinth. Genauso sei es bei der Fetischisierung von Bi+-Frauen: Sie seien besonders von dem Vorurteil betroffen, hypersexuell, also sexuell stets verfügbar, zu sein. Bisexuelles Begehren von Frauen wird beispielsweise häufig auf eine Männerfantasie reduziert. Die echten Bedürfnisse von Bi+-Frauen würden hingegen oft nicht ernst genommen oder instrumentalisiert. Zudem seien sie häufiger als Lesben und heterosexuelle Frauen von sexueller Gewalt betroffen – das legen internationale Forschungen nahe, zum Beispiel eine Studie der US-amerikanischen Behörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) von 2016/2017: „The National Intimate Partner and Sexual Violence Survey“. Neben der Hypersexualisierung kann ein Grund für die hohe Gewaltprävalenz von Bi+-Frauen die toxische Männlichkeit von heterosexuellen Partnern sein, die sich von der Queerness ihrer Partnerin „bedroht“ fühlen.

Schließlich gebe es noch das Stereotyp, Bisexuelle könnten ihren Partner*innen nicht treu sein, weil sie permanent auch das Bedürfnis nach einer Person anderen Geschlechts hätten. „Dafür gibt es überhaupt keine Beweise“, stellt Korinth klar. Dennoch sei auffällig, dass 46 Prozent der für die Studie interviewten Personen nicht monogam lebe. Offene Beziehungen könnten also durchaus ein Mittel sein, um die eigene „Bi+-Identität sich selbst und anderen gegenüber zu behaupten“, heißt es in der Publikation. Problematisch daran sei eher, dass auch diese Lebensweise gesellschaftlich abgewertet wird.

„Als ich mich als poly geoutet habe, gab es mehr Ablehnung als nach meinem Coming-out als bi.“

Müller kann das bestätigen: Als er selbst sich als „poly“ geoutet habe, „gab es mehr Ablehnung als nach meinem Coming-out als bi“, berichtet er. Und auch in seinen Beratungen habe er oft mit Menschen zu tun, die ihre Beziehung geöffnet und gleichzeitig große Sorge hätten, dadurch ihre Partnerschaften zu verlieren. Er zeige dann Wege auf, wie man mit anderen Bi+-Personen zusammenkommen und sich austauschen könne, zum Beispiel bei einem Stammtisch.

Genau wie Korinth ist er der Meinung, dass es mehr bi-eigene Räume und Anlaufstellen brauche, „um sich selbst zu ermächtigen, weil die ganze Gesellschaft um einen herum so hetero- und mononormativ tickt.“ Zumindest in Berlin ist das mit der neuen Fachstelle Bi+, realisiert vom Träger BiBerlin e. V., schon Realität.

Über 70 Prozent von Korinths Studienteilnehmer*innen wünscht sich mehr Sichtbarkeit und viele von ihnen gaben an, diese im Engagement bei einer queeren Gemeinschaft zu finden. Gerade deswegen sieht Korinth auch die LGBTIQ*-Community in der Verantwortung, für bi-spezfische Herausforderungen zu sensibilisieren.

Genau wie die Unsichtbarkeit der eigenen Identität ist laut ihrer Studie auch doppelte Diskriminierung ein Stressfaktor, der sich nachweislich schädlich auf die psychische und physische Gesundheit von bi- und pansexuellen Personen auswirkt. Müller wünscht sich außerdem mehr Vorbilder, die offen über ihre Bisexualität sprechen – so wie Korinth es bei der Bi+-Pride in Hamburg nun tun wird.

Die Bisexual Awareness Week vom 16. bis zum 23. September wurde von Bi+-Aktivist*innen ins Leben gerufen, um die spezifischen Herausforderungen bi- und pansexueller Menschen sichtbar zu machen. Der Höhepunkt der Aktionswoche ist der Bi+ Visibility Day am 23.09.


Bi+Pride – die vierte Demo durch Hamburgs Innenstadt
Samstag, 28. September 2024
bipride.de

Bisexuelles Netzwerk e. V. – Bundesverband Bi+
bine.net
Bi+ Beratung

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