Konzert am 07.11.

Von der Vergangenheit eingeholt – Indie-Musiker John Grant im Interview

30. Okt. 2024 Marcel Anders
Bild: Hörður Sveinsson
Der Singer-Songwriter betreibt auf seinem neuen Album Selbsttherapie

Seit elf Jahren lebt der US-Musiker John Grant im Island-Exil. Auf seinem neuen Album „The Art of the Lie“ rechnet er mit Trump, religiösen Fanatiker*innen und seinen Kindheitstraumata ab. Im November stellt er sein Album live in Berlin vor. SIEGESSÄULE sprach vorab mit ihm

„The Art of the Lie“ klingt viel cineastischer als seine Vorgänger – im Sinne von Vangelis, John Carpenter oder Flaming Lips. Wie kommt‘s? Eigentlich bin ich die Songs genauso angegangen wie immer. Der einzige Unterschied ist, dass ich Ivor Guest als Produzenten hinzugezogen habe – und unterschiedliche Musiker an dem Album mitgewirkt haben, die ihren eigenen Stil einfließen ließen. Funkige Gitarren, aber auch Einflüsse von Talk Talk, Kate Bush, Yello und Devo. Das Cineastische ist mir erst aufgefallen, als ich das Endergebnis hörte.

In Stücken wie „Father“ und „Mother and Son“ betreibst du regelrecht Selbsttherapie – indem du deine Kindheit unter religiösen Fanatiker*innen aufarbeitest. Wie kommt es, dass dich das – mit Mitte 50 – immer noch belastet? Für mich, der in einem streng religiösen Elternhaus aufgewachsen ist, war homosexuell zu sein das Schlimmste, was passieren konnte. Das hat man mir auch direkt ins Gesicht gesagt: „Für Leute wie dich ist hier kein Platz.“ Was dafür gesorgt hat, dass ich mich selbst hasste, weil ich den Anforderungen, die an mich gestellt wurden, nicht gerecht werden konnte. Und auf gewisse Weise schäme ich mich dafür, dass ich mich in meinen 50ern immer noch damit befasse. Nach dem Motto: Mittlerweile sollte ich darüber hinweg sein. Doch ich werde immer noch von diesen Erlebnissen eingeholt – gerade seit 2016, als Trump an die Macht gekommen ist. Die Menschen, die mich damals ausgestoßen und verletzt haben, sogenannte „Christen“, sind heute einflussreicher denn je.

„Die Menschen, die mich damals ausgestoßen und verletzt haben, sogenannte 'Christen', sind heute einflussreicher denn je. “

Hat Amerika eine Schraube locker – wie du es im Stück „Marbles“ formulierst? Definitiv. Und daran muss sich dringend etwas ändern.

Wie lange hat es gedauert, bis du dich und deine Sexualität akzeptiert hast? Ich weiß nicht, ob mir das je gelungen ist. Meine Eltern haben mich zwar geliebt, aber meine Homosexualität hat mich von Gott isoliert – dem „Schöpfer des Universums“. Ich war nicht gut genug für ihn.

Zudem lebst du seit zwölf Jahren mit einer HIV-Infektion. Wie gehst du damit um? Das ist eine Sache, über die ich ungern rede – weil es kein besonders lustiges Thema ist. Nur so viel: Ich nehme meine Medikamente, und solange das der Fall ist, habe ich keine Probleme. Wenn überhaupt, beeinträchtigt es mich mental – wegen der Stigmatisierung, die damit einhergeht. Und weil ich ständig darüber sprechen muss … (lacht)

Stimmt es, dass deine Mutter dich noch auf dem Totenbett als große Enttäuschung bezeichnet hat? Das hat sie. Meine Mutter war enttäuscht, dass ich kein gläubiger Christ war. Und das hat sie allein von der schrecklichen Musik abgeleitet, die ich gehört habe, zum Beispiel Devo. Ich meine, wie traumatisierend ist das für ein Kind?

„Meine Mutter war enttäuscht, dass ich kein gläubiger Christ war.“

Ist das der Grund, warum du 1988 nach Deutschland gezogen bist – war das eine Flucht aus den USA? Ja, aber die Ironie ist: Es wurde nur schlimmer. Schließlich war ich in Heidelberg und dann in Germersheim, was ganz übel war. Heidelberg ist zumindest einer der schönsten Orte der Welt, aber super konservativ.

Mittlerweile lebst du in Reykjavik und besitzt die isländische Staatsbürgerschaft. Was findest du dort, was du woanders nicht findest? Die Sprache! Im Ernst: Isländisch ist unglaublich schwierig. Und ich habe andere Sprachen und Kulturen schon immer geliebt. Von daher habe ich viel Zeit investiert, Deutsch zu lernen, aber auch Russisch, Spanisch und jetzt Isländisch. Ich habe das Gefühl, dass mich das zu einem besseren Menschen macht.

Wie kommt es, dass du dieses Jahr nur zwei Konzerte in Deutschland gibst – Anfang November in Köln und Berlin? Das habe ich meine Managerin auch gefragt. Hoffentlich kann ich 2025 zurückkehren und mehr Städte besuchen. Vielleicht sogar Heidelberg … (lacht)

Album-Cover von „The Art of the Lie“

SIEGESSÄULE präsentiert
John Grant: The Art of the Lie,

07.11., 20:00, Columbia Theater
johngrantmusic.com

Folge uns auf Instagram

#Album#Singer-Songwriter#Indierock#Indie#John Grant#Alternative Rock#Interview#Konzert

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.