Kommentar zum Volksentscheid

Wie sieht ein klimaneutrales Berlin aus?

21. März 2023 Jara Nassar
Bild: Leonhard Lenz Gemeinfrei (Public Domain) Quelle

Am Sonntag dürfen Berliner*innen darüber abstimmen, ob die Hauptstadt schon 2030 klimaneutral werden soll. Der Volksentscheid geht auf die Initiative Klimaneustart Berlin zurück, die das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz umgeschrieben hat. SIEGESSÄULE-Kolumnistin, Drag King und Schriftstellerin Jara Nassar kommentiert, was ein Erfolg des Volksentscheids bedeuten würde

Wer in letzter Zeit in Berlin unterwegs war, hat die tannengrünen Schilder für den Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral nicht übersehen können. Am 26. März können alle in Berlin Wahlberechtigten per Ja/Nein-Stimme direkt über eine Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes abstimmen. Aber was genau bedeutet das?

Aachen, Dortmund, Dresden, Frankfurt am Main, Heidelberg, Leipzig, Mannheim, München und Münster. Diese neun Städte haben sich zusammen mit 91 anderen Städten europaweit verpflichtetet, bis 2030 klimaneutral zu werden, also nicht mehr Treibhausgase auszustoßen, als sie binden können. Dutzende weitere Orte in Deutschland haben beschlossen, bis 2035 klimaneutral zu werden. Das geht aus dem Dokument zur Klimavision von GermanZero e. V. hervor.

Städte als Stellschrauben gegen die Klimakrise

Nur Berlin kommt nicht aus den Puschen: Das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz, um dessen Änderung es bei dem Volksentscheid geht, sieht bisher nicht bindende „Ziele“ einer Emissionsreduktion um 95 Prozent im Vergleich zu 1990 bis 2045 vor. Das ist viel zu spät, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten und die Erderwärmung unter ein katastrophales Maß zu halten. Die Änderung des Klimaschutzgesetzes durch den Volksentscheid würde bedeuten, dass Berlin wesentlich ehrgeizigere Klimaziele einhalten muss als jetzt vorgesehen, um die Stadt auf einen Weg zum 1,5-Grad-Ziel zu bringen.

Obwohl Städte oft als Drecksschleudern dastehen – und das nicht zu Unrecht – sind sie für die Abwendung der Klimakrise unabdingbare Stellschrauben, da 75 Prozent aller Europäer*innen in Städten leben. Wir müssen Wege finden, Städte klimafreundlicher zu gestalten, was nicht so abwegig ist, wie es vielleicht scheint: Städte sind extrem effiziente Orte. Mehrfamilienhäuser und kürzere Wege zu alltäglichen Erledigungen bieten viele Möglichkeiten der Emissionseinsparung im Vergleich zu Einfamilienhäusern auf dem Land.

Wie würde ein klimaneutrales Berlin aussehen?

Um die Frage zu beantworten lohnt sich ein Blick in die Empfehlungen, die der Klimabürger*innenrat zusammengestellt und dem Senat für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz überreicht hat.

Ein klimaneutrales Berlin würde demnach wesentlich weniger motorisierten Individualverkehr enthalten – die energieintensivste und teuerste Infrastruktur überhaupt. Dafür braucht es ein stark ausgebautes ÖPNV-Netz, vor allem mit guter Anbindung nachts und an die B- und C-Bereiche. Das Fahrradnetz würde ausgeweitet und sicherer gemacht werden, mehr Parkplätze entsiegelt und zu Fahrrad-, Bus- und Tram-Spuren umgewidmet. Die Entsiegelung von Asphaltflächen zugunsten mehr Grünflächen hätte auch eine Abkühlung im Sommer zur Folge.

Darüber hinaus müsste der Ausbau der bei Anwohner*innen unbeliebten Stadtautobahn A100 durch Friedrichshain gestoppt werden, da die Stadt die massive CO2-Belastung durch Ausbau und Betrieb der Autobahn nicht mehr kompensieren könnte. Man könnte sich auch einen Rückbau der existierenden Stadtautobahn hin zu Grünflächen und Fahrradschnellwegen vorstellen.

Queere Menschen treffen die sowie schon großen Probleme verstärkt, wie der Mangel an bezahlbaren Wohnungen und die steigenden Kosten durch die Energiekrise. Durch den Ausbau der A100 würden weitere Wohnungen wegfallen, der Druck auf dem Wohnungsmarkt also steigen. Weiterhin sollen mehrere Kulturorte und Clubs am Ostkreuz nach momentaner Planung noch unter sieben Meter Beton begraben werden – durch den Stopp des Ausbaus der A100 würden uns diese erhalten bleiben.

Wohnhäuser würden nachgedämmt, Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen und Fernwärme ersetzt, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Der Volksentscheid sieht einen sozialverträglichen Umbau vor: Modernisierungskosten können nicht komplett auf Mieter*innen umgelegt werden. Zudem sollen Luxussanierungen, die Verdrängung verursachen, verboten bleiben.

Durch verstärkten Solarzellenausbau würde mehr erneuerbare Energie erzeugt, die langfristig billiger ist als Strom aus fossilen Quellen und weniger abhängig von ölfördernden Diktaturen macht.

Direkte Änderung im Gesetzestext

Wer jetzt bei der Erinnerung an den Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. Enteignen entmutigt wird, dass Volksentscheide überhaupt etwas ändern können, dem sei Hoffnung gegeben. Der Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral würde bei Erfolg direkt den Gesetzestext ändern. Anders als bei DW Enteignen gibt es also hier keine Möglichkeit der Verschleppung durch politische Entscheidungsträger.

Eine lebenswerte Stadt ist eine, die sich auf das Wohlbefinden seiner Bewohner*innen besinnt und nicht auf das von Großkonzernen. Diese Stadt wird uns nicht geschenkt, wir müssen sie uns erkämpfen.

„Eine lebenswerte Stadt ist eine, die sich auf das Wohlbefinden seiner Bewohner*innen besinnt und nicht auf das von Großkonzernen.“

Wir sehen, dass die Stadtverwaltung zu zögerlich an notwendige Änderungsprozesse herangeht und von nicht mehr zeitgemäßen Entscheidungen gebunden ist. Mit der Umsetzung des Volksentscheids zwingen wir die Politik zu handeln: basisdemokratisch und direkt. Die Stimmen, die behaupten, wir können uns diesen Umbau nicht leisten, verkennen, dass wir uns das Weiter-So, welches leider immer noch in allen Bereichen vorhält, schon lange nicht mehr leisten können.

Jara Nassar

Großdemonstration am 25. März

Am Vortag der Wahl ruft das Bündnis Klimaneustart Berlin ab 14:00 Uhr zur Demo am Brandenbruger Tor auf. Neben Redebeiträgen von Klima-Aktivist*innen wie Luisa Neubauer (Fridays for Future), werden auch viele Musiker*innen „die emotionale Kraft der Musik nutzen, um auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam zu machen“, heißt es im Demo-Aufruf. Auch etliche queere Künstler*innen werden auf der Bühne stehen, darunter Lie Ning, Wallis Bird und Kat Frankie.

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