„Vielleicht haben wir irgendwann einen schwulen CDU-Kanzler!"
Aufgrund der Verbreitung des Coronavirus wurde der geplante Sonderparteitag der CDU am 25. April abgesagt. Damit wurde auch die Wahl zum neuen Parteivorsitz auf unbestimmte Zeit verschoben. Dessen ungeachtet wollten wir wissen: Wie stehen die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) eigentlich zu den Kandidaten Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen? Und wo verorten sie ihre Verantwortung innerhalb der Partei im Kontext von zunehmender LGBTI*-Feindlichkeit, Thüringer Demokratiekrise und Rechtsterrorismus? Im März sprach SIEGESSÄULE mit dem LSU-Bundesvorsitzenden Alexander Vogt
Alexander, der CDU-Sonderparteitag wurde aufgrund der Coronakrise auf unbestimmte Zeit verschoben. Was bedeutet dieser Aufschub für die andauernde Führungskrise innerhalb der CDU? Da gibt es verschiedene Szenarien. Es könnte die Chance geben, dass der gemeinsame „Feind“ die Leute wieder etwas mehr zusammenbringt. Nicht nur in Bezug auf die Partei, das kann man auch gesamtdeutsch sehen. Aber die Grabenkämpfe werden weniger wichtig, hoffe ich. Es kann natürlich auch dem einen oder anderen Kandidaten zum Vorteil gereichen, und dann sind meist die im Vorteil, die derzeit in Amt und Würden sind.
So wie Jens Spahn. Ja, und im Moment macht er auch einen guten Job, ein sehr offenes Krisenmanagement, er beruhigt die Leute, versucht Panik zu vermeiden. Das gefällt mir sehr gut.
Nun ist Jens Spahn ja Teil eines Teams, als Vorsitzender steht er gar nicht zur Wahl. Sehen wir mal, was die Zeit bringt. Er hat sich in den letzten Jahren in vielen Dingen positiv hervorgetan, unliebsame Themen aufgegriffen wie die Homo-Heilung oder die Finanzierung der HIV-Prophylaxe. Da muss ich sagen: Hut ab! Das sind Themen, von denen alle wussten, dass sie kommen müssen, aber keiner hat sich herangetraut. Und Armin Laschet kann sich als Ministerpräsident in NRW jetzt in der Corona-Krise beweisen. Und das hoffe ich auch, weil er sicherlich für den CDU-Vorsitz mein Favorit ist.
Sind Laschet und Spahn das Favoritenteam nur für den LSU-Vorsitzenden oder für die gesamten Lesben und Schwulen in der Union? Definitiv Letzteres, wobei es einzelne Ausnahmen geben mag. Wir hatten schon bei der Wahl im letzten Jahr den Kandidat*innen einen Fragebogen geschickt und natürlich hatte Jens Spahn am ehesten unsere Meinung widergespiegelt. Aber auch AKK hatte erstaunlich gut und konkret geantwortet. Nur von Herrn Merz kamen, das muss ich leider sagen, überwiegend Gemeinplätze. Vor allem was den Status der LSU betrifft, sieht uns Merz nicht als eine Vereinigung innerhalb der Partei.
„Die Hasskappe gegen AKK war mir immer zu extrem“
Das Beispiel AKK zeigt aber auch, dass es mit dem Liberalsein innerhalb der CDU so eine Sache ist. Auf die Fragen der LSU mag sie gefällig antworten, zur Fastnacht holt sie dann doch zum Tiefschlag gegen sexuelle Minderheiten aus. Mit der Faschingsrede wollte sie Menschen nicht bewusst diskriminieren, und ich fand es gut, dass sie auf unserem Empfang letztes Jahr auch gesagt hat, wenn sie jemanden verletzt habe, dann tue ihr das leid. Die Hasskappe gegen AKK war mir immer zu extrem, solche Gefühle würde ich mir manchmal wünschen, wenn Namen aus der AfD fallen. Dass AKK in der Partei viel für uns getan hat, fällt dabei unter den Tisch. Sie hat uns in viele Gremien geholt – auch in den Kern der Partei und hat auch die „Ehe für alle“ den Mitgliedern in der Partei vermittelt, obwohl sie persönlich dagegen war.
Vielleicht entwickelt sich einfach das Verständnis von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit z. B. durch Intersektionalität immer weiter und viele innerhalb der CDU hinken zunehmend hinterher? Das liegt ja bei Konservativen in der Natur der Sache. Viele kommen erst sehr spät mit solchen Themen in Berührung und viele, die heute zu unseren vehementesten Unterstützern gehören, hatten früher auch Vorbehalte. Selbst eine Rita Süssmuth war nicht von Anfang an in allen Dingen auf dem Wagen. Heute wird sie in der gesamten Szene anerkannt und verehrt. Es gibt natürlich auch Leute, bei denen ist Hopfen und Malz verloren, mit denen rede ich darüber nicht mehr. Das ist Zeit- und Kraftverschwendung. Aber alles in allem hat die LSU in den letzten 15 Jahren innerhalb der Partei große Fortschritte gemacht, und warten wir mal ab, vielleicht haben wir ja irgendwann sogar einen schwulen CDU-Kanzler!
„Das bleibt ein schwarzer Fleck“
In Polen erleben wir aktuell einen echten Rollback. Dabei hätte eine EU-Direktive aus dem Jahr 2008 die Ausbreitung von „LGBTI*-freien Zonen“ verhindern können, aber ausgerechnet die deutsche Regierung unter einer CDU-Kanzlerin hat diese Direktive als einziges Land der EU jahrelang blockiert. Damals hätten alle in der EU zugestimmt – außer Deutschland. Das bleibt ein schwarzer Fleck und jetzt ist der Zug abgefahren. Das ärgert mich bis heute, aber damals waren womöglich die Wirtschaftslobbyisten stärker. Als LSU machen wir derzeit über unsere Landes- und Kreisverbände konkret auf die Lage in Polen aufmerksam. Das heißt: Wir schreiben die Stadtoberen in deutschen Kommunen an und sprechen zum Teil auch persönlich mit ihnen über die Situation für LSBTI in ihren polnischen Partnerstädten. Ziel ist dabei, die Vielzahl an partnerschaftlichen Beziehungen zu Städten und Gemeinden in Polen zu nutzen, für Verständnis zu werben, aber ganz klar auch Druck auszuüben und über diesen Weg möglicherweise eine Umkehr zu bewirken. Ich kann unser Vorgehen in der Sache auch nur allen empfehlen, egal welcher Partei sie nahestehen.
Auch in Deutschland erleben wir einen starken Anstieg des Rechtsextremismus und auch des Rechtsterrorismus wie in Hanau. Wir hatten die Demokratiekrise in Thüringen. Welche Rolle siehst du vor diesem Hintergrund für die LSU in der Partei? Reicht es da noch, für die PrEP zu sein und gegen die Homo-Heilung? Oder muss auch die LSU die Dinge in einem größeren Zusammenhang betrachten? Das muss man, da gebe ich dir völlig recht. Und darum muss die LSU auch im Herzen der Partei sein, weil wir für Vielfalt werben. Wir beschäftigen uns auch mit Themen wie Migration und Integration. Ich selbst bin im Bundesfachausschuss für gesellschaftlichen Zusammenhalt, und wenn ich da nur über LSBTI reden würde, wäre das sicher zu wenig. Ziel muss es darum sein, dass wir als LSU endlich auch dort mitreden können, wo die Entscheidungen fallen, im Vorstand und auf den Parteitagen, dass wir dort Anträge stellen und reden dürfen. Ich denke, das wäre eine Chance für die Partei als Ganzes.
„Es muss gelingen, das ,Wirgefühl' wieder zu stärken.“
Aber handelt es sich denn überhaupt noch um eine ganze Partei? Gerade in Ostdeutschland stehen doch viele CDU-Mitglieder inhaltlich der AfD näher als der LSU. Wie kann das denn zusammengehen? Im Osten gibt es ein Gefühl der Angst. U. a. auch davor, dass bisher erworbener Wohlstand und momentane Sicherheit wieder verloren gehen könnten. Auf diese Angst wussten wir, aber auch andere Parteien keine richtige Antwort. Das betrifft nicht nur die CDU, denn die AfD-Wähler speisen sich ja bei Weitem nicht nur aus enttäuschten CDU-Wählern. Ich denke, es muss gelingen, das „Wirgefühl“ wieder zu stärken.
Wenn ich „Wirgefühl“ höre, denke ich gleich an die Angst meiner Freund*innen, die nicht so aussehen, als ob sie zu diesem „Wir“ dazugehören. Ich meine das natürlich auf einer rein menschlichen Basis und nicht ausgrenzend. Wir haben aber den Menschen Entscheidungen oft nicht ausreichend vermittelt, auch nicht, was 2015 passiert ist. Leider sind viele mittlerweile Argumenten gar nicht mehr zugänglich. Ich gebe zu, da habe ich auch keine Patentlösung. Aber eins weiß ich, wenn ich mir die Kandidaten angucke, dann wäre Merz sicher einer, der eher polarisiert und nicht vermittelt. Das ist aber nicht die Meinung der gesamten LSU. Wir haben auch Mitglieder, die mit einem Merz leben können, weil z. B. Wirtschaftsthemen für sie wichtiger sind.
Es gibt ja auch durchaus die Meinung, Merz könne ein paar Prozentpunkte von der AfD zurückholen und so Demokratie wieder spannender machen. Vielleicht hätten wir dann aber auch 2021 einen grünen Kanzler. Klar, falls Merz gewählt wird, werden wir uns als LSU mit ihm arrangieren, aber auch unsere Forderungen klar formulieren. Das wird dieses Jahr besonders wichtig werden, denn im Dezember wird es auf dem Parteitag darum gehen, welchen Status wir als LSU bekommen und ob wir offiziell anerkannt werden.
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