Verzögerte Reform des Abstammungsrechts
Das Abstammungsrecht regelt, wer im rechtlichen Sinne die Elternteile eines Kindes sind. Für Regenbogenfamilien regelt das Gesetz jedoch gar nichts. Queere Eltern und ihre Kinder werden diskriminiert. Auf die von der Ampel-Regierung versprochene Reform warten sie noch immer
Christina Klitzsch-Eulenburg ist sauer. Ihr und ihren beiden Kindern würden wesentliche Grundrechte vorenthalten. „Aber bislang hat man mich nicht kleingekriegt“, sagt sie im Gespräch mit SIEGESSÄULE. Offiziell wird sie nicht als Mutter der zwei und vier Jahre alten Kinder anerkannt, die ihre Ehefrau zur Welt gebracht hat. Denn nach aktuell geltender Rechtslage wird die zweite Elternstelle nur an einen „Mann“ als „Vater“ vergeben – und eine Reform dieses Abstammungsrechts lässt auf sich warten.
Verzögerter Gesetzesentwurf
Obwohl das Bundesjustizministerium unter Marco Buschmann (FDP) im Januar Eckpunkte für eine Reform vorgestellt und für diesen Sommer einen Gesetzesentwurf angekündigt hatte, passierte bis zur Sommerpause des Parlaments nichts dergleichen. Ein Bündnis von Nodoption, des Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD), dem Deutschem Juristinnenbund und dem Bundesarbeitskreis Schwuler Jurist*innen kritisiert die Verzögerung scharf. Schon vor über einem Jahr hatte das Bündnis Leitplanken für eine Reform des Abstammungsrechts vorgelegt.
Klitzsch-Eulenburg hat nach der Geburt ihres ersten Kindes 2020 Nodoption gegründet. Denn die bisherige Rechtslage sieht so aus: Nicht-männliche zweite Elternteile müssen ihre eigenen Kinder adoptieren, um als Eltern anerkannt zu werden – dagegen kämpft die Initiative an. Die sogenannte Stiefkindadoption sei mit einem langwierigen, teils mehrere Jahre andauernden und extrem intransparenten Verfahren verbunden. Unter anderem werde die finanzielle und die gesundheitliche Situation des zweiten Elternteils bis ins Detail geprüft. Man sei der Willkür von Jugendämtern und Gerichten ausgeliefert und werde oft diskriminierend behandelt.
„Das ist eine bedrohliche Situation für alle Beteiligten und bringt vor allem die Kinder in eine extrem vulnerable Position.“
Ohne Adoption haben die betroffenen Kinder jedoch offiziell nur einen Elternteil. Der andere hat weder Sorgerecht noch Pflichten gegenüber dem Kind. Wenn der anerkannten Mutter etwas zustoßen, sie sterben oder sich das Elternpaar trennen sollte, hat dieses also keinerlei Ansprüche auf Unterhalt, Erbe oder Halbwaisenrente, wie es Kinder aus Hetero-Familien automatisch haben. „Das ist eine bedrohliche Situation für alle Beteiligten und bringt vor allem die Kinder in eine extrem vulnerable Position“, erklärt Theresa Richarz gegenüber SIEGESSÄULE. Die Juristin ist Grundsatzreferentin beim LSVD und hat an den Leitplanken für ein neues Abstammungsrecht mitgewirkt.
„Das fühlt sich persönlich richtig schlimm an und ist eine psychische Belastung“, sagt Klitzsch-Eulenburg, die selbst auch Juristin ist. Sie hat sich gegen die Adoption entschieden und klagt zusammen mit weiteren betroffenen Familien von Nodoption auf Anerkennung der Elternschaft. Ihr eigenes Verfahren sei allerdings ausgesetzt, die meisten anderen durch die Gerichte dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt worden. Auch diese seien der Überzeugung, dass die bisherigen Regelungen verfassungswidrig sind. Allerdings würden die momentan sechs offenen Verfahren schlicht nicht weiter bearbeitet.
Ungewissheit für trans*, inter und nicht binäre Eltern
Das bisherige Abstammungsrecht ist an der gebärenden Person ausgerichtet, die automatisch die rechtliche Mutter ist. Zum rechtlichen Vater wird der Mann, mit dem die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet ist, oder der mit Einverständnis der Mutter die Vaterschaft anerkennt – unabhängig von der biologischen Vaterschaft. Für Eltern mit weiblichem, offenem oder diversem Personenstand existiert diese Möglichkeit gar nicht. Laut Eckpunkte-Papier des Justizministeriums soll die Option zukünftig zwar auch Frauen offen stehen, unklar sind jedoch die geplanten Regelungen für trans*, inter und nicht binäre Eltern, was das Leitplanken-Bündnis als „große Leerstelle“ des Papiers bezeichnet.
Auch, dass die gebärende Person rechtlich stets als „Mutter“ bezeichnet wird, sei ein Problem für trans* oder nicht binäre Elternteile, sagt Richarz. Durch den Eintrag in der Geburtsurkunde ihrer Kinder würden sie – zum Beispiel bei Ärzt*innen oder Behörden – zwangsweise geoutet. Im Selbstbestimmungsgesetz, das die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag im Personenstandsregister erleichtern soll, findet sich dafür eine vermeintliche Übergangslösung: Die Bezeichnungen „Mutter“ und „Vater“ können auf der Geburtsurkunde durch „Elternteil“ ersetzt werden – was immer noch ein Zwangsouting darstellt, solange diese Regelung nicht für alle Eltern gilt, kritisiert Richarz. Oder andersherum: „Warum soll sich ein trans Vater nicht als Vater eintragen lassen können?“
Einfluss des Selbstbestimmungsgesetzes
Das Selbstbestimmungsgesetz „vermännliche“ zudem die zweite Elternstelle, was Richarz mit Blick auf die ausstehende Abstammungsrechtsreform ebenso problematisch findet. Dort heißt es, dass die zweite Elternschaft nur von Personen, die zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes einen männlichen Geschlechtseintrag haben, anerkannt werden kann – dies gilt dann zumindest auch für trans Männer, nicht aber für trans Frauen, diverse oder geschlechtslose Eltern.
Neben Ehe und Anerkennung ist eine dritte Möglichkeit, „Vaterschaft“ festzulegen, ein DNA-Test. Nun spezifiziert das Selbstbestimmungsgesetz, dass „die festzustellende biologische Abstammung der Person auf einer Zeugung durch männliche Gameten, also Samen, beruht und nicht durch weibliche Eizellen“. Für trans Väter bedeutet das also, dass sie ihre Elternschaft gar nicht gerichtlich feststellen lassen können, und für trans Mütter, dass sie nach einer gerichtlichen Feststellung als „Vater“ registriert werden.
Wie es letztendlich im Abstammungsrecht stehen und ob die Kritik des Leitplanken-Bündnisses noch einbezogen wird, möchte das Bundesjustizministerium noch nicht bekannt geben. „Meinungsäußerungen von dritter Seite“ kommentiere man grundsätzlich nicht, teilt dieses auf Anfrage der SIEGESSÄULE mit. Sprecher Eike Götz Hosemann erklärt jedoch, die Arbeiten am Gesetzesentwurf seien „weit vorangeschritten“ und dieser solle nach Ende der Sommerpause vorgelegt werden.
Sollte die Ampel-Regierung die Abstammungsrechtsreform in dieser Legislatur nicht mehr umsetzen, sende das „ein fatales Signal“.
Klitzsch-Eulenburg ist diesbezüglich skeptisch und besorgt, „dass die Reform gar nicht mehr kommt.“ Angesichts des politischen Rechtsrucks fürchtet sie, dass zukünftige Regierungen bisherige Möglichkeiten wie die Adoption sogar wieder rückgängig machen könnten. Sollte die Ampel-Regierung die Abstammungsrechtsreform, die eines ihrer zentralen Versprechen war, in dieser Legislatur nicht mehr umsetzen, sende das „ein fatales Signal“, findet auch Richarz. Vor allem an die betroffenen Familien, womöglich aber auch an Familiengerichte, die über Elternschaft zu entscheiden haben.
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