Kommentar von Michaela Dudley

US-Wahl: Ein Land verliert

5. Nov. 2020 Michaela Dudley
Michaela Dudley, trans Frau mit afroamerikanischen Wurzeln und gelernte Juris Dr., ist Kolumnistin, Kabarettistin und Keynote-Rednerin

SIEGESSÄULE-Kolumnistin, trans Frau und gebürtige US-Amerikanerin Michaela Dudley kommentiert den derzeitigen Stand der US-Wahl

Update 08.11. - Das Kopf-an-Kopf-Rennen ist beendet: Am Samstag, den 07.11., ist der Demokrat Joe Biden zum Sieger der US-Präsidentenwahl erklärt worden. Mehrere US-Sender hatten berichtet, dass Biden und seine Vize-Kandidatin Kamala Harris über 270 der für den Sieg benötigten Wahlleute zusammenhabe. Ausschlag dafür gab die Auszählung im US-Bundesstaat Pennsylvania, in dem der Vorsprung der Demokraten offenbar nicht mehr einzuholen ist. Amtsinhaber Donald Trump teilte mit, dass er den Sieg seines Herausforderers nicht anerkennen und das Wahlergebnis anfechten werde.

Gewinnt Biden? Oder gewinnt Trump? Immerhin verliert durch die angespannte Lage ein ganzes Land, während die Welt gebannt auf die Ereignisse schaut wie Gaffer*innen im Angesicht eines entsetzlichen Unfalls. Die Medien und die Meinungsforscher*innen hatten solch ein Kopf-an-Kopf-Rennen auch diesmal nicht auf dem Radar.

Zähes Warten auf Ergebnisse

Das ist immer noch der Stand der Dinge, was die Präsidentschaftswahl 2020 in den USA betrifft. Justament gibt es noch keinen offiziellen Sieger. Auch wenn der Kandidat der Demokraten Joe Biden einen Vorsprung hat, reklamiert der Republikaner und Amtsinhaber Donald Trump den Wahlsieg für sich. Dass die Auszählung noch andauert, scheint von hier in Deutschland aus betrachtet, wo es in der Regel bereits um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen gibt, ungewöhnlich.

Die Wahl als Herkulesaufgabe

Doch die Vereinigten Staaten verfügen mitsamt den weit verstreuten, ihnen zugeschriebenen Territorien über insgesamt neun Zeitzonen. Schätzungsweise 150 Millionen Wähler*innenstimmen wurden abgegeben, davon bereits mehr als 99 Millionen per Briefwahl oder durch eine frühzeitige Stimmabgabe im Wahllokal. Für das föderalistische, selbst ernannt „mächtigste Land der Welt“ ist es sogar unter den besten Umständen eine schiere Herkulesaufgabe, alle Stimmen auf eine präzise Weise auszuzählen. Und die Umstände, unter denen diese teuerste Wahl aller Zeiten stattfindet – wir reden über 12 Milliarden US-Dollar –, sind gleichsam nicht die günstigsten.

Trump, der ehemalige Besitzer eines bankrotten Spielkasinos, setzt alles auf eine Karte. Er, der jährlich 70.000 Dollar für seine Frisur ausgibt und steuerlich absetzt, wehrt sich mit aller Kraft und mit allen Palastintrigen gegen den Rausschmiss. Denn als Privatbürger ist Trump nicht mehr immun gegen Strafverfolgung. In der Rolle eines stolzen Spielverderbers zieht er vor Gericht, um in die Auszählung der Wähler*innenstimmen eingreifen zu können.

Schützenhilfe von rechts

So soll es sich gelohnt haben, kurz vor knapp eine neue Richterin des Obersten Gerichtshofes nominiert und durchgeboxt zu haben. Denn Trump sei betrogen worden. Das behauptet vollmundig der Mann, der keine Hemmung hatte, seine waffenstarrenden „Wahlbeobachter*innen“ in die Wahllokale zu schicken, um mutmaßliche Wähler*innen der Demokraten einzuschüchtern. Milizen berufen sich auf ihn. Die „Boogaloo Bois“, die „Proud Boys“, Neonazis und der Ku-Klux-Klan. Und sollte der Supreme Court nichts unternehmen, um Trumps möglicherweise bevorstehende Zwangsräumung aus dem Weißen Haus abzuwenden, sind wohl nicht wenige White Supremacists dazu bereit, ihrem Anführer Schützenhilfe zu leisten.

Sticht die Trumpkarte weiterhin, selbst wenn Trump verliert?

Als wäre dieses absurd anmutende Szenario nicht genug, gibt es weitere Gründe zur Sorge. Die Demokraten, die eigentlich auf einen Erdrutschsieg gehofft hatten, haben einige Sitze im Repräsentantenhaus eingebüßt. Sie haben dort nach wie vor eine Mehrheit, aber sie ist spürbar kleiner geworden.

Außerdem haben die Demokraten es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschafft, den sturen, republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, zu entthronen. Es war der politische Totalverweigerer McConnell, der Obamas Nachbesetzung eines vakant gewordenen Sitzes am Obersten Gerichtshof erfolgreich blockiert hatte und später Trumps erzkonservative, meist juristisch minderqualifizierte Kandidat*innen für solche lebenslänglichen Posten im Eilverfahren durchgewunken hat – wie aktuell nach dem Tod von Ruth Bader-Ginsburg. Auch in einer potenziellen neuen Amtszeit von Joe Biden könnte McConnell sich querstellen. Die Rechte von Frauen, queeren Personen und People of Color stünden also nach wie vor auf dem Spiel. So könnte die Trumpkarte auch weiterhin stechen.

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