Interview mit „Decolonize Berlin“

Umbenennung der M-Straße: „Warum hat man uns nicht um Rat gefragt“

9. Juli 2020 fs
Bild: Ich CC BY-SA 4.0 Quelle
Fünftes „Umbenennungsfest für die M-Straße“

Die BVG plant, was Aktivist*innen in Berlin seit langem fordern: der U-Bahnhof „Mohrenstraße“ soll umbenannt werden, da die Bezeichnung diskriminierend sei. Die Ankündigung hat für hitzige Debatten gesorgt: während einige den Schritt begrüßen, halten andere ihn für geschichtsverfälschend oder schlichtweg unnötig. Wir sprachen mit Tahir Della vom Verein „Decolonize Berlin“ über die Diskussion

Tahir, die BVG hat angekündigt, den U-Bahnhof M-Straße umzubenennen. Ihr fordert das ja schon seit Jahren...

Ja. Unter anderem veranstalten wir jährlich ein „Fest zur Umbenennung der M-Straße“. Bisher hat die BVG behauptet, sie könnten den Namen nicht ändern, solange die M-Straße „oben“, nach der der U-Bahnhof benannt ist, nicht anders heißt. Jetzt begrüßen wir natürlich, dass die BVG diesen Schritt doch gehen will – und dass sie in ihrer dazugehörigen Öffentlichkeitskampagne auch ganz klar gesagt hat, dass der Name rassistisch ist.

„Ich verstehe nicht, warum man sich vorher nicht einmal den Ratschlag von NGOs eingeholt hat, die sich schon ewig mit der M-Straße beschäftigen.“

Nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd, der von einem Polizisten ermordet wurde, haben auch in deutschen Städten Tausende gegen Rassismus demonstriert. Könnte man der BVG vorwerfen, dass sie diesen Schritt gerade jetzt macht, habe vor allem mit Image-Gründen zu tun?

Das würde ich so nicht unterstellen. Die BVG sagt aber selbst: „vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten haben wir uns entschieden, diesen diskriminierenden Begriff aus dem öffentlichen Raum zu nehmen.“ Diskriminierend war der vor zwanzig Jahren schon. Das wirft durchaus ein Licht darauf, wie in Deutschland über Rassismus gesprochen wird. Dass die Ermordung Floyds auch hierzulande zu einer Diskussion führt, ist gut – man hätte sie aber schon vor Jahrzehnten führen können.

Als neuen Namen für den Bahnhof hat die BVG „Glinkastraße“ vorgeschlagen. Michail Iwanowitsch Glinka (1804–1857) war ein russischer Komponist, der Antisemit war. Nach harscher Kritik ist die BVG zurückgerudert – über den Namen wolle man nochmal beratschlagen.

Ja, das war sehr unglücklich. Da verstehe ich nicht, warum man sich vorher nicht einmal den Ratschlag von uns NGOs eingeholt hat, die sich schon ewig mit der M-Straße beschäftigen.

Die BVG hat euch in den Prozess bisher nicht eingebunden?

Nein. Wir werden jetzt natürlich nochmal versuchen, auf die BVG und auch auf den Bezirk Mitte zuzugehen. Zu hoffen ist, dass der Bezirk nachzieht und die Umbenennung der ganzen Straße endlich angeht.

Ihr schlagt „Anton-Wilhelm-Amo-Straße“ als neuen Namen vor...

Nach unserem Wissensstand geht die Bezeichnung M-Straße auf die Präsenz von Schwarzen jungen Männern, die für die preussische Armee Musik gemacht haben, und die ihren Dienst hier nicht freiwillig geleistet haben. Anton Wilhelm Amo (1703 bis 1753) lebte etwa um dieselbe Zeit in Deutschland. Er war Philosoph und Dozent aus Ghana, hat sich in seiner Arbeit gegen Diskriminierung gewandt und damit auch einen Startpunkt für die Schwarze Bewegung hierzulande gesetzt.

„Statt Geschichte zu tilgen, wollen wir eben gerade ein Bewusstsein für Stadtgeschichte schaffen.“

In Berlin gibt es Stimmen, u. a. aus den Reihen der CDU, die gegen eine Umbenennung der M-Straße eintreten. Wenn man Namen von Orten ändert, mache man deren Geschichte unsichtbar…

Es ist umgekehrt: Statt Geschichte zu tilgen, wollen wir eben gerade ein Bewusstsein für Stadtgeschichte schaffen. So treten wir dafür ein, dass der Kontext zwischen alten und neuen Namensgeber*innen stimmen muss. Anton Wilhelm Amo kam unter ähnlichen Umständen nach Deutschland wie die Männer, nach denen die M-Straße benannt ist. Statt für den Rassismus dieser Zeit steht er aber für eine widerständige Perspektive.

Gegner*innen sagen auch, der M-Begriff sei gar nicht rassistisch, da man ihn im Kontext der damaligen Zeit lesen müsse. Als die Straße Anfang des 18. Jahrhunderts ihren Namen bekam, sei dies noch kein negativer Begriff gewesen.

Ich habe noch keinen Beleg darüber gefunden, was die Betroffenen damals selbst zu dem Begriff gesagt haben, und ob er tatsächlich, wie behauptet, eine „positive Bezeichnung“ war. Wir leben außerdem im Jahr 2020 und es ist ganz klar, dass das Wort von Betroffenen heute als rassistisch wahrgenommen wird.

„Man könnte sich die Mühe machen nachzuprüfen, wen wir heute in unserem Stadtbild so ehren. Darunter sind Kolonialverbrecher, Personen, die überzeugte Rassisten waren.“

Müsste man dann nicht noch viel mehr Orte in Berlin umbenennen?

Es gibt ja zwei Aufgaben von Straßennamen: einmal sollen sie helfen, uns zurechtzufinden. Und dann sollen sie auch gezielt an Menschen erinnern, die für die Gesellschaft etwas Gutes getan haben. Da könnte man sich doch zumindest einmal die Mühe machen nachzuprüfen, wen wir heute in unserem Stadtbild so ehren. Darunter sind Kolonialverbrecher, Personen, die überzeugte Rassisten waren usw. Es gibt im Garnisonsfriedhof in Neukölln einen Gedenkstein für die gefallenen Soldaten, die 1904 bis 1908 am Völkermord im heutigen Namibia beteiligt waren, bei dem Zehntausende aus den Gruppen der Herero und Nama ermordet wurden. Dieser Stein wird noch jedes Jahr mit Kränzen geschmückt. Zugleich werden die Denkmäler, die an Verfolgung erinnern, vermehrt Ziele von Vandalismus (wie etwa auch das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten, SIEGESSÄULE berichtete). Dem können wir begegnen, indem wir ganz bewusst Orte nach Menschen neu benennen, die von Diskriminierung und Verfolgung betroffen waren.

„Wir haben immer noch ein Problem mit Antisemitismus, mit Rassismus“

Warum erfährt dieses Anliegen gerade bei der die M-Straße soviel Gegenwind?

Ich selbst habe in der Schule fast nichts über den deutschen Kolonialismus gelernt. Dieses Nicht-Wissen, dass Deutschland ein zentraler Akteur in dem kolonialen Projekt Europas war, führt dazu, dass es wenig Problembewusstsein gibt. Wir haben noch nicht begriffen, was diese Epoche für Verbrechen mit sich gebracht hat. In Deutschland beschreiben wir uns ja gerne selbst als „Weltmeister in Aufarbeitung“. Dabei wird Aufarbeitung aber auch oft als Möglichkeit betrachtet, mit etwas abzuschließen. Das geht natürlich nicht. Die Vergangenheit wirkt bis heute fort. Und wir haben immer noch ein Problem mit Antisemitismus, mit Rassismus ... Auf die Geschichte von Straßennamen hinzuweisen, kann hier wichtige Debatten anstoßen.

Tahir Della ist im Vorstand des Vereins „Decolonize Berlin“, Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland - ISD Bund e. V. und Fachreferent für Postkolonialismus und Antirassismus in Berlin, Foto: Privat

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