Queere Muslim*innen

Tugay Saraç fragt als schwuler Muslim die Politik: „Sind wir egal?“

19. März 2025 Tugay Saraç
Bild: Ibn Rushd-Goethe Moschee
Tugay Saraç arbeitet in der Ibn Rushd-Goethe Moschee als Bildungsreferent

Sind queere und liberale Muslim*innen der Bundesregierung zu unbequem? Tugay Saraç – Herausgeber des Sammelbands „Liebe ist halal“, der im März beim Querverlag erschien – erzählt von seinen Erfahrungen als queerer muslimischer Aktivist in Berlin

Sind wir egal? Darf es uns geben? Sind wir schuld an unserer Existenz? Kommen wir in die Hölle? Ist der Mord an uns eine gerechte Strafe? Sind wir halal? Haben wir es uns ausgesucht, queer zu sein? Können wir uns davon „heilen“?

Diese herzzerreißenden Fragen sind für mich und meine Kolleg*innen unser täglich Brot. Tagtäglich schreiben uns queere Muslim*innen – jung und alt. Täglich hören wir verzweifelte Stimmen am Telefon. Warum stellen sie diese Fragen? Weil das konservative Islambild ihnen vermittelt, dass sie nichts wert sind. Es sind ihre Familien, ihre Freund*innen, ihre Imame oder das Internet – oft eine Kombination mehrerer Instanzen, die ihnen von klein auf beibringen: „Queere Menschen kommen in die Hölle.“ Mit dem Ausleben der queeren Identität begehe man eine Sünde gegen Gott und seine Schöpfung. Also die schwerste Form der Sünden.

Einzige liberale Moschee Deutschlands

Viele queere Muslim*innen glauben, sie seien allein auf dieser Welt. Das Gefühl der Isolation, das Gefühl, allein in dieser großen vermeintlichen Sünde zu leben, führt dazu, dass sich viel zu häufig Menschen an mich, an unsere Anlaufstelle Islam und Diversity wenden, weil sie depressiv und suizidal sind. Um dieses Gefühl der Einsamkeit unter queeren Muslim*innen und auch Ex-Muslim*innen anzugehen, haben wir als Ibn Rushd-Goethe Moschee, die einzige liberale Moschee Deutschlands, im Jahr 2021 die „Liebe ist halal“-Akzeptanzkampagne gestartet.

Bild: Ibn Rushd Goethe Moschee
Die Akzeptanzkampagne „Liebe ist halal“ der Ibn Rushd-Goethe Moschee

Ziel unserer Kampagne war es, queere Muslim*innen sichtbar zu machen. Wir wollten auf ebenjene Personen, welche glauben, sie wären allein, einen Schritt zugehen. Unsere Plakate waren an Bus- und Bahnstationen in ganz Berlin zu sehen. Tausende Menschen wandten sich seitdem an uns und haben unsere Angebote in Anspruch genommen. Gleichzeitig haben uns Tausende Morddrohungen erreicht.

Trotz der Bedrohungen haben wir immer weitergemacht.

Ich selbst war auf einem der Plakate zu sehen. Ich wurde über E-Mails, aber auch auf den Straßen so massiv bedroht, dass ich ein ganzes Jahr nur noch mit einer FFP2-Maske und einem Basecap aus dem Haus gehen konnte. Trotz der Bedrohungen haben wir immer weitergemacht. Im Jahr 2022 haben wir als erste Moschee weltweit die Pride-Flag gehisst. In türkischen Propagandamedien sowie in arabischen, russischen, zentral- bis südostasiatischen Medien wurden wir massiv diffamiert. Diese mediale Aufmerksamkeit führte dazu, dass sich unzählige Muslim:innen weltweit an uns wandten, um beraten zu werden.

Ebenso vielen Menschen waren wir jedoch ein Dorn im Auge. Wir haben Dutzende Seiten, voll mit Namen von Personen, welche wir angezeigt haben. Acht Terroristen des Islamischen Staates (IS) in Deutschland spähten unsere Moschee und jüdische Einrichtungen aus und planten einen Anschlag. In einem Magazin des IS werden wir als Terrorziel und Ort der Teufelsanbetung genannt. Über den Plan, uns zu ermorden, wurden wir nicht von den Behörden, sondern von einem Journalisten informiert, der die Gerichtsverhandlungen verfolgte. Das war ein riesiger Vertrauensverlust.

Auch die Bundesregierung enttäuscht uns liberale Muslim*innen immer wieder. Sie solidarisierte sich kein einziges Mal.

Auch die Bundesregierung enttäuscht uns liberale Muslim*innen immer wieder. Sie solidarisierte sich kein einziges Mal mit uns. Ich frage mich: Will unsere Regierung überhaupt, dass es liberale Muslim*innen gibt? Sind wir zu ungemütlich? Mit der Ampelregierung hatten wir die liberalste Regierung der bundesrepublikanischen Geschichte. Nancy Faeser versprach sogar, dass liberale Muslim*innen eine Stimme bei der Deutschen Islamkonferenz bekommen sollen. Dieses Versprechen hat sie gebrochen. Als einzige liberale und queerfreundliche Moschee Deutschlands wurden wir lediglich als Zuschauer*innen eingeladen.

Sind queere Muslim*innen der Politik gleichgültig?

Als ich in einem Werkstattgespräch zur „Innermuslimischen Intoleranz“ das Thema „Diskriminierung queerer Muslim*innen“ platzieren wollte, liefen die Gesichter einiger anderer muslimischer Vertreter*innen rot an. Was fiele mir ein – dieses Thema wäre ein theologisches und hätte dort nichts zu suchen. Die Vertreter*nnen forderten das Innenministerium auf, das Thema „Innermuslimische Intoleranz“ zu streichen, und so geschah es dann tatsächlich.

Progressive und konservative Politiker*innen besuchen weiterhin fröhlich Gemeinden, hofieren Verbände, laden sie in Gremien ein, fördern sie mit gigantischen Summen und verschließen die Augen und Ohren, wenn sich dieselben Akteure queerfeindlich äußern. Auf meine Verzweiflung entgegneten mir Politiker*innen oft mit „Die katholische Kirche diskriminiert auch“. Und ich kann nur antworten: Na und? Muss ich warten, bis der Papst persönlich homosexuell ist? Würden progressive Politiker*innen mit Pfarrer*innen zusammenarbeiten, welche sich offen queerfeindlich äußern? Liebe Bezirks-, Landes-, Bundespolitiker*innen, ich möchte euch zum Abschluss als schwuler Muslim fragen: Sind wir egal? Sind wir zu ungemütlich? Wollt ihr, dass wir den Mund halten? Wollt ihr uns überhaupt?

Carolin Leder, Tugay Saraç/Ibn Rushd-Goethe Moschee (Hrsg.): „Liebe ist Halal"
232 Seiten, 20 Euro
querverlag.de/liebe-ist-halal/

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