Transidentität, Boomer-Tränen und toxische Positivität: Saskia Lavaux im Interview
Mit „Das Universum ist nicht binär“ erscheint nun das zehnte Album der Indierock-Band Schrottgrenze um Sängerin und Songwriterin Saskia Lavaux. Nach „Glitzer auf Beton“ (2017) und „Alles zerpflücken“ (2019) die dritte Platte, die sich primär mit queeren Themen befasst. Wir sprachen mit Saskia u. a. über ihre Transidentität und LGBTIQ*-Erinnerungskultur
In unserem letzten Interview 2019 haben wir von Saskia Lavaux als Dragqueen gesprochen. Nachdem ich mir das neue Album angehört habe, komme ich zu dem Eindruck, dass Saskia mittlerweile mehr ist als eine Drag-Persona. Stimmt das? Saskia ist auf jeden Fall mehr als eine Drag-Persona, obwohl Drag immer noch ein Teil von mir ist. Aber auf diesem Album habe ich meine Transidentität thematisiert. Und damit einhergehend auch die Trans*themen, die mir wichtig waren: geschlechtliche Selbstbestimmung, Dysphorien, aber auch Emanzipationsgeschichte. Meine queere Emanzipation ist ein sehr langer und verschlungener Weg, der durch ganz verschiedene Lebensphasen gegangen ist. Und der Moment, in dem ich realisiert habe, dass ich trans bin, liegt erst einige Jahre zurück.
„Wenn ich meine queere Identität immer noch verbergen würde, dann hätte ich längst die Lust am Musikmachen verloren."
Saskia als queere Weiblichkeit ist jetzt seit rund fünf Jahren die Frontperson von Schrottgrenze. Wie fällt dein Resumee aus? Ich bewerte das für mich als extrem positiven Schritt, weil er mich immer wieder aufs Neue empowert, Musik zu machen und Konzerte zu spielen. Und mich auch mit den ermüdenden Seiten des Musiker*innendaseins auseinanderzusetzen. Ich kann queere Themen ganz anschaulich präsentieren. Auch in Kontexten, wo halt überwiegend hetero cis Typen vor der Bühne stehen. Mein Coming-out ist ein empowernder Faktor, der mich da durchträgt. Ich glaube, wenn ich meine queere Identität immer noch verbergen würde oder wenn ich da Kompromisse eingehen müsste, dann hätte ich längst die Lust am Musikmachen verloren.
Der Song „Boomer-Tränen“ vom neuen Album kritisiert eine rückwärtsgewandte, verstockte Haltung in Bezug auf Klimapolitik, Genderfragen oder auch soziale Gerechtigkeit, subsumiert unter dem aktuellen Jugend-Feindbild des „Boomers“. Ich kenne relativ viele Boomer, die das wütend machen würde. Was entgegnest du denen? Es gibt ja eine Strophe in dem Song, wo noch mal betont wird, dass es nicht ums Alter geht. Es geht um eine Haltung. Und die Haltung, die sich derzeit manifestiert unter diesem Boomer-Klischee, ist eben wahnsinnig ignorant. Und das macht nicht nur mich wütend, sondern vor allen Dingen auch die jüngeren Generationen. Deren Lebenszeit ist wirklich bedroht, die sehen die Umwelt kaputtgehen. Und sie wissen, dass sie noch 50 bis 70 Jahre auf diesem Planeten sein müssen. Das Gleiche gilt natürlich für queere Personen jedweden Alters, die ihr ganzes Leben lang mit diesen heteronormativen Repressionen zu kämpfen haben. Da kann man schon mal einen Song raushauen, in dem man sich diesen ganzen Zorn von der Seele singt.
Gleichzeitig bringst du der Boomer-Generation und den Generationen unmittelbar davor eine gewisse Zärtlichkeit entgegen. Ich spiele jetzt auf den Song „Roman und Ines“ an, der sich explizit mit älteren schwul-lesbischen Generationen befasst. Was ist die Idee hinter dem Song? Den Song habe ich in einem Rutsch am Welt-Aids-Tag 2021 runtergeschrieben. Ich beschäftige mich schon immer mit der Aids-Thematik, auch in meiner sozialen Arbeit. Ich habe da viel mit älteren Schwulen gemacht und habe mich für die Aids-Erinnerungsbewegung engagiert. Ich finde es ganz wichtig, dass wir mehr Erinnerungskultur entwickeln. Und uns mit der Bewegungsgeschichte auseinandersetzen. Wir stehen auf den Schultern von Leuten, die uns etliche Türen geöffnet haben. Wir stehen auf den Schultern von Giganten, die sich hingestellt haben mit nichts und demonstriert haben für queere Rechte. Und viele davon haben eben in der Aids-Zeit ihr komplettes Umfeld verloren. Und heute haben sie keine Pflegeorte, wo sie in Würde altern können. All diese Dinge bewegen mich. Das Thema wird sehr wenig gesehen, finde ich, nach wie vor.
„Das ist die Angst vor dem Aufbruch der binären Ordnung. Weil man Angst um Macht- und Herrschaftserhalt hat."
Um noch mal auf rückwärtsgewandte Haltungen zu kommen: Wie nimmst du das zunehmend transfeindliche gesellschaftliche Klima und das politische Gezerre um das Selbstbestimmungsgesetz wahr? Für mich ist das belastend, aber ich empfinde das nicht als Überraschung. Das ist halt das Fischen nach Wähler*innenstimmen und natürlich auch die Angst vor dem Aufbruch der binären Ordnung. Weil man Angst um Macht- und Herrschaftserhalt hat. Das ist etwas, da werden wir uns noch ganz lange mit beschäftigen müssen. Selbst wenn das Gesetz kommt, wird das im Alltag einfach wahnsinnig schwierig. Da müssen wir uns auf harte Momente einstellen. Auch weiterhin. Mich hätte das sehr gewundert, wenn das alles jetzt so durchgeflutscht wäre. Das läuft in Deutschland so nicht.
Das führt mich zu „toxischer Positivität“, dem Thema des Songs „Happyland“, den du zusammen mit Finna gemacht hast. Als chronisch schlecht gelaunte Person amüsiert mich dieser Begriff. Worum geht‘s da? Toxische Positivität findet vor allem in sozialen Medien statt, aber auch in der Arbeitswelt und anderen Bereichen des Lebens. Auch im Zwischenmenschlichen. Vieles in der Gesellschaft ist sehr neoliberal geprägt. Und neoliberales Denken basiert eben auf Selbstoptimierung. Leute nehmen das an, ziehen das durch und optimieren sich bis ins kleinste Detail. Der Text hat aber auch noch eine andere Dimension. Der Begriff „Happyland“ stammt eigentlich von Tupoka Ogette. Das ist eine Autorin, die sich viel mit Rassismus beschäftigt. Es geht darum, dass White Supremacy in einem symbolischen Happyland stattfindet, in dem Alltagsrassismen und so was ausgeblendet werden. Etwas, das man in Deutschland auf öffentlicher Ebene viel erlebt. In verschiedensten Bereichen. Rassismen werden ebenso gerne ausgeblendet wie queerfeindliche Gewalt. Wenn du Behörden nach der Motivation für Gewalttaten fragst, dann werden Gründe wie Rassismus oder Queerfeindlichkeit immer nur preisgegeben, wenn von mehreren Seiten gedrückt wird. Das ist halt Happyland, da wird alles unter der Fassade gedeckelt, egal wie dreckig es ist. Hauptsache, es sieht erst mal gut aus.
Letzte Frage: Das Album erscheint am 11. Februar, ein Record-Release-Konzert im Schokoladen ist geplant. Was kommt als Nächstes? Ich habe gerade einen Song aufgenommen mit der feministischen Hardcore-Band Black Square. Der kommt noch in diesem Jahr raus. Dann hab ich einen Remix gemacht für die Toten Crackhuren im Kofferraum. Außerdem hab ich für Die Tödliche Doris komponiert. Da hatte ich besonders großen Spaß dran, ich bin ein Riesenfan der Tödlichen Doris. Die haben Material und Bänder aus den 80ern an verschiedene Leute geschickt und darum gebeten, aus diesen Sounds eine Komposition zu erstellen. Da habe ich relativ lange dran gearbeitet, weil mir das total wichtig war. Ich freue mich sehr, dass ich da auf einer Veröffentlichung in diesem Jahr auch mit dabei bin.
Schrottgrenze: Das Universum ist nicht binär
(Tapete Records/Indigo), ab dem 10.02. erhältlich
Schrottgrenze live in Berlin,
11.02., 20:00, Schokoladen (Releaseparty);
19.10., 20:00, Badehaus
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