Transfeindlichkeit wegboxen: Jona James über Männlichkeit, Körperbilder und Trans*-Literatur
Viele werden Jona James als Buchhändler bei Eisenherz kennen. Dort berät er gern und fachkundig, u. a. zum Thema Trans*-Literatur. Im November stellt er im Rahmen der Ausstellung „So What?!“ seine eigene Geschichte als Buch und Fotoserie vor, in Zusammenarbeit mit Marc Martin. SIEGESSÄULE-Buchredakteur Kevin Clarke sprach mit ihm vorab über das Projekt und Entwicklungen auf dem Buchmarkt
Es gibt derzeit ein riesiges Angebot von Büchern für jüngere LGBTIQ*-Titel wie „Mach dir die Welt“, „Ich schenk dir ein A“, mit Unterzeilen wie „Ein Mitmachbuch, das Mut macht“. Wie groß ist der Bedarf für solche positiven Botschaften? Allgemein ist der Bedarf sehr hoch, weil trans* Geschichten das erfahren, was es bei schwulen Geschichten zum Glück nicht mehr so viel gibt, nämlich dass sie meist tragisch sind. Da komme ich manchmal auch an Grenzen, wenn ein Vater zu mir kommt und seiner trans Tochter einen Roman schenken will, aber natürlich keinen, in dem trans Frauen Gewalt widerfährt und sie sterben. Viele wirklich tolle und politisch wichtige Bücher mit trans* Protagonist*innen enthalten das noch. Für Kinder und Jugendliche im Prozess der Selbstfindung ist das besonders ungeeignet, dafür gibt es für die Altersgruppe Geschichten, die beinahe unrealistisch positiv sind. Das finde ich aber gar nicht schlecht!
Das neue Sachbuch „Wir sind wir“ bietet Geschichten von trans* Jugendlichen, die „Porträts voller Hoffnung und Orientierung bieten“ wollen. Ist es wichtig, dass es das jetzt gibt? Natürlich! Ich bin aus der Generation, die aufwuchs, als YouTube als Plattform gerade hochkam für Leute, die ihr Leben dokumentiert und über ihre Lebenswege gesprochen haben. Mir hat das damals viel geholfen, aber da hat man immer nur eine Perspektive. Deshalb kann ein Buch mit vielen verschiedenen Blickwinkeln heute immer noch das erste Medium der Wahl für viele sein, auch wenn man in einem Buch keine Updates zur Hormonersatztherapie oder Veränderungen in der Stimme zeigen kann. Da ergänzen sich die beiden Medien gut.
Es gibt neuerdings auf Englisch eine „Remix“-Reihe, in der Klassiker der Weltliteratur wie Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ neu erzählt werden, indem die cis-hetero Charaktere durch trans* Figuren ersetzt werden, zum Beispiel in Gabe Cole Novoas „Most Ardently: A Pride & Prejudice Remix“. Ich finde es insgesamt spannend, Geschichten neu zu interpretieren und mit anderen Figuren zu besetzen, die das gesamte Gefüge verändern – sei es durch die Herkunft der Charaktere, ihre körperliche Ability, ihr Geschlecht usw.
„Ich finde es insgesamt spannend, Geschichten neu zu interpretieren und mit anderen Figuren zu besetzen, die das gesamte Gefüge verändern.“
Was liest du denn selbst gern, wenn‘s um trans* Themen gehen soll? Ich mag Aiden Thomas, der beispielsweise „Cemetery Boys” geschrieben hat, auf Deutsch als „Yadriel & Julian“ veröffentlicht, oder „The Sunbearer Trials“. Da kommen mythologisch-spirituelle Elemente hinzu, wo gefragt wird, was bedeutet LGBTIQ* eigentlich im Kontext von Religion oder Ritualen, in denen es bisher geschlechtsspezifisch festgelegte Rollen gab? Was passiert, wenn man das einfach sprengt?
Du hast mir mal erzählt, dass du auch das umstrittene Buch „Detransition, Baby“ von Torrey Peters gut findest. Warum? Ich finde das ein wichtiges Thema, das wir viel mehr mitdenken sollten. Weil es Teil der Community ist und es Menschen gibt, die sagen: „Vielleicht war eine Transition doch nicht der richtige Weg für mich.“ Deshalb sind sie trotzdem noch immer in einem Prozess und nicht nicht mehr trans*. Vielleicht war nur diese eine Richtung falsch für sie und sie möchten eine andere ausprobieren. Da sollte man sie unterstützen und als Teil der Community mitbegreifen.
Und im Bereich Sachbuch? Ich habe neulich in meiner Bubble über die Tagebücher von Lou Sullivan gesprochen, die unter dem Titel „We Both Laughed In Pleasure“ veröffentlicht wurden. Sullivan war ein schwuler trans Mann, der Anfang der 90er-Jahre starb. Ich finde seine „Diaries“ von 1961 bis 1991 großartig, er war einer der ersten trans Männer, der öffentlich auftrat und sagte, „Ich bin trans und schwul, das ist kein Gegensatz! Ich muss mich nicht entscheiden.“ Aber seine Schriften sind nicht so richtig auf dem deutschen Buchmarkt angekommen, weil es sie bislang nur auf Englisch gibt. Viele aus meiner trans*-queeren Blase hatten noch nie von Sullivan gehört. Wir haben über die Verfügbarkeit von wichtiger trans* Literatur diskutiert, auch mit Augenmerk auf Sprachbarrieren. Denn Queerness darf kein Klassenprivileg sein; auch Menschen, die in der Schule nicht richtig Englisch gelernt haben, müssen Zugang zu queeren Sachbüchern haben. Nicht nur Akademiker*innen sind queer.
„Lou Sullivan war einer der ersten trans Männer, der öffentlich auftrat und sagte: Ich bin trans und schwul, das ist kein Gegensatz! Ich muss mich nicht entscheiden.“
Wenn Sullivan sagt, man müsse sich nicht zwischen schwul und trans* entscheiden, dann beschreibt das ja auch deine Situation, die du jetzt in Form einer Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Marc Martin öffentlich machst. Martin wurde mit „Fenster zum Klo“ im Schwulen Museum international bekannt und ist nicht unbedingt der Erste, der einem einfällt, wenn es um die Sichtbarmachung von trans* Identitäten geht. Es wird in dem Buch zur Ausstellung bei Eisenherz auch Texte von Marc und mir geben. Er geht dort gezielt darauf ein, dass das Gezeigte für einige seiner Fans neu sein wird, vielleicht sogar unangenehm ...
Warum unangenehm? Weil sich viele cis Schwule oft immer noch sehr „haben“ und misogyn sind. Sie identifizieren sich darüber, dass sie Frauen nicht erotisch attraktiv finden, sogar physisch ekelhaft. Und das finde ich unter aller Sau und umgekehrt ekelhaft, wenn Leute das vor sich hertragen nach dem Motto: „Igitt, eine Vulva!“ Und jetzt sollen sie sich damit auseinandersetzen, dass auch die Körper von schwulen Männern diverser sind als nur Hautfarbe oder dick oder dünn oder jung oder alt. Sondern dass auch Geschlechtsorgane anders aussehen können als nur groß oder klein. Wobei selbst das ein Riesenthema ist – genau wie das ganze Körpershaming. Marc sagt selbst, dass es ihm wichtig ist, diese Themen in der Community zur Diskussion zu stellen.
„Schwule cis Männer sollen sich damit auseinandersetzen, dass auch die Körper von schwulen Männern diverser sind als nur Hautfarbe oder dick oder dünn oder jung oder alt.“
Was für Texte hast du beigesteuert? Es sind Essays, würde ich sagen. Ich will mich nicht selbst erklären, sondern Marcs Bilder unterstützen und die Figur des trans Manns in der Schwulenszene begreifbar machen. Auf den Fotos bin ich zu sehen sowie Mathis Chevalier, der selbst schon viel mit Marc gearbeitet hat. Er hat meine Bilder bei einer Ausstellung in Frankreich gesehen. Mathis ist selbst Mixed-Martial-Arts-Kämpfer, zeigt sich gern körperbetont und sehr machomännlich, erkundet dabei aber diverseste Facetten von Männlichkeit – und er fand meine Porträts spannend. Wir verhandeln ähnliche Themen: Kampfsport, Körper, Männlichkeit. Aber ich komme von einer anderen Seite als er. Das wollte Mathis zusammenführen und in einen Austausch gehen. So haben wir uns kennengelernt und gemeinsam Fotos gemacht.
Wo? In einer Boxhalle in Kreuzberg, wo ich seit Jahren hingehe, und in der Marc und ich im Vorhinein schon zusammengearbeitet hatten. Die Kulisse hat ihm damals total zugesagt.
Kommt Mathis zur Eröffnung? Das muss sich noch zeigen. Denn wenn ein derart etabliertes Model wie er bei der Vernissage auftaucht, dann verschiebt sich automatisch der Fokus, weshalb Marc vorsichtig ist. Aber Mathis will sehr gern aus Paris anreisen, und ich würde mich freuen, ihn wiederzusehen … Die Wahrscheinlichkeit, dass er hier sein wird, ist ziemlich groß. (lacht)
Marc Martin und Jona James: „So What?!“,
Éditions AGUA,
68 Seiten, 35 Euro
Ausstellung: „So What?!“,
01.11., 18:00 (Vernissage), bis 30.11.,
Mo–Sa, 10:00–20:00
Buchhandlung Eisenherz
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