Kommentar

Trans* Personen im Reality TV: Der Preis für Sichtbarkeit

8. Feb. 2023 Nora Eckert
Bild: RTL / Claudio Weber
Model Alex Mariah Peter (li.) und Influencerin Jolina Mennen

In immer mehr Reality-TV-Formaten tauchen trans* Personen auf wie z. B. GNTM-Siegerin Alex Mariah Peter in der kommenden Staffel von „Let's Dance" oder Jolina Mennen im „Dschungelcamp". Ein weiterer Schritt hin zu einer größeren medialen Repräsentation und Akzeptanz? Nora Eckert vom Bundesverband Trans* wirft einen kritischen Blick auf den Umgang mit trans* Personen im Reality- und Trash-TV

Haben wir es endlich geschafft? Ist das die Sichtbarkeit, die trans* Personen schon so lange fordern? Dass wir auf dem Cover von Modemagazinen erscheinen, weil wir auch Superfrau oder Supermann sein können? Dass wir mit auf den Laufsteg dürfen und mit ins Dschungelcamp?

Aber Sichtbarkeit heißt nicht, mit einem Schild „Ich bin trans“ um den Hals herumzulaufen. Nichts gegen Bekenntnisse auf kleinen Buttons, aber Sichtbarkeit bedeutet nicht, sich in Dauerschleifen des Outings zu befinden, und es für okay zu halten, sich ständig erklären zu müssen, weil andere ihr Unwissen oder ihren Voyeurismus für normal halten. Nein, Sichtbarkeit hat nichts mit Menschenzoo oder mit dieser peinlichen Vorher-Nachher-Rhetorik zu tun. Aber was bedeutet sie dann?

„Love Island"

Machen wir erst einmal eine kleine Spurensuche nach Trans*Sichtbarkeit im Reality-TV. Achtung, es wird gruselig: Zum Beispiel bei „Love Island“, wo Jessica eine „Schock-Beichte“ ablegt. Sie ist trans* und ihr Dating-Partner offenbar cis-Hetero. Sie erklärt ihm, dass sie nicht immer Frau gewesen sei, und er schaut dabei, als beichte sie ihm eine ansteckende Krankheit. Er fühlt sich überrumpelt, aber versichert ihr großmütig: „Sauer werde ich dir nicht sein. Ich muss das erst einmal verarbeiten.“ Immerhin möchte er, „dass wir cool miteinander bleiben“. „Aber ich weiß nicht, ob das so mit uns weitergehen kann.“ Trans* als Stigma und Drama – waren wir da nicht schon mal weiter?

„Wie kann man jemanden toll finden, aber eine sexuelle Verbindung wegen der Geschlechtsteile ausschließen?“, fragt Julia Shaw, Autorin des Buches „Bi“. „Mich interessiert der Mensch, nicht seine Organe.“ Wunderbar! Aber die meisten verlieben sich trotzdem in Genitalien.

„Dschungelcamp"

Nächstes Beispiel: Dschungelcamp. Hier ist es die trans Frau Jolina, die ihren Mit-Campern zu erklären versucht, was eine geschlechtsangleichende Operation ist. Die erste Reaktion: „Hast du deinen Pipi beerdigt?“ Nein, der werde ja nicht abgeschnitten, erklärt Jolina mit bewunderungswürdigem Gleichmut. „Was vorher nach außen hing“, so ihre Worte, „wird nach innen verlegt.“ „Ah, sie tun rein und du kannst ihn wieder rausholen?“, will daraufhin einer wissen. Wenn zum Laufen Intelligenz nötig wäre, dann könnte der Typ gewiss keine drei Schritte geradeaus gehen. Was soll's, fürs Dschungelcamp reicht's und lehrt uns: Im Reality-TV ist Selbstachtung ein Fremdwort.

„Germany‘s Next Topmodel"

Alex Mariah Peter ist Model und ab Mitte Februar bei „Let's Dance" zu sehen. 2021 war sie die erste trans Frau, die die Reality-TV- und Castingshow „Germany’s Next Topmodel" gewann. Sie ist nicht die erste, die in der Mode-Branche erfolgreich ist. Bei der Show waren sich alle über ihre perfekte Performance einig. Ich kritisiere das nicht, aber die durch die Mode fabrizierten Frauenbilder sind generell problematisch: Sie sind verdinglichte Körper, und sie bedienen sexistische Geschlechterbilder. Heteronormativ ist Gesetz. Da kommen wir nicht dran vorbei.

„Wären die gesellschaftlichen Standards anders, hätte ich niemals Operationen gebraucht, um mich als Frau zu fühlen.“

Eine Transition sieht unter diesen Bedingungen eher wie eine Unterwerfung und Anpassung an cis-normative Körperlichkeit im Superlativ aus. Natürlich darf man schön aussehen wollen, wenn es Ausdruck von Individualität und Selbstbestimmtheit ist. Aber ist es das? Kommt trans* ins Spiel, schwingt in der Wahrnehmung der anderen unweigerlich die Sensationslust mit, wie „echt“ jemand aussehe. Als sei es eine besondere Leistung trans* und schön zu sein. „Unecht“ sind dann die, die das nicht schaffen.

Als das belgische Model Maxim Magnus von der Zeitschrift Vogue (2019) gefragt wurde, ob die gesellschaftliche Akzeptanz von trans* Personen mit einem Beauty-Standard einhergehe, antwortete sie: „Wären die gesellschaftlichen Standards anders, hätte ich niemals Operationen gebraucht, um mich als Frau zu fühlen. Unabhängig von meinen Genitalien. Darum ist mein jetziger Standpunkt, dass viele von uns diese Operationen ertragen, um sich gesellschaftlich einzufügen und akzeptiert zu werden. Und trotzdem sieht die Gesellschaft uns noch als ‚das andere‘.“

Dazugehörigkeit ist das Gegenteil von Anpassung

Was also meint Sichtbarkeit von Trans*? Etwas anderes jedenfalls als das, was uns das Reality-TV verkauft. Sie meint vielmehr, dass wir von der Gesellschaft ganz einfach und selbstverständlich mitgedacht werden. Sichtbarkeit heißt Teilhabe und Gleichstellung, aber ohne den Preis der Bloßstellung und ohne Verlust der Selbstachtung. In den genannten Beispielen ist genau das der Preis. Dazugehörigkeit ist das Gegenteil von Anpassung. „Dazugehören heißt, so akzeptiert werden, wie man ist. Sich anpassen heißt, akzeptiert zu werden, weil man so ist wie die anderen“, las ich in Brené Browns Buch „Verletzlichkeit macht stark“. Da muss das Reality-TV noch verdammt viel lernen.

Nora Eckert ist Journalistin, Autorin („Wie alle, nur anders. Ein transsexuelles Leben in Berlin") und im Vorstand des Bundesverbands Trans*

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