Schwerpunkt Trans*

Trans* im TV: Wie Schauspieler*innen für Sichtbarkeit kämpfen

31. März 2025 Samu/elle Striewski
Bild: Hannes Caspar, Oliver Look / Marmulla & Rudolph GbR
Die Schauspieler*innen Nico Dinkel (li.) und Hayal Kaya (re.)

Hayal Kaya und Nico Dinkel stehen für ein neues Selbstbewusstsein von trans* und nicht binären Schauspieler*innen in der deutschen Film- und TV-Landschaft. Zum heutigen Trans* Day Of Visibility sprachen wir mit ihnen über binäre Casting-Hürden, Repräsentation und queeren Zusammenhalt in der Branche seit #ActOut

„Ich weiß, dass ich männlich gelesen werde durch Statur, Bart und Co. – Ich weiß, dass ich auch in Zukunft männliche Rollen spielen werde, um mein Geld zu verdienen. Ich bin aber kein Mann.“ Das veröffentlichte Schauspieler*in Nico Dinkel („Die Spreewaldklinik“, „All Clowns Are Bastards“) am 6. Oktober 2024 auf Instagram. Seit der #ActOut-Kampagne vor vier Jahren, bei der sich 185 LGBTIQ*-Schauspieler*innen outeten, stehen immer mehr TIN* (trans*, inter*, nicht binäre) Schauspieler*innen in der deutschen Film- und TV-Branche zu ihrer Geschlechtsidentität.

Die finale Motivation zum Coming-out, so Nico im Gespräch mit SIEGESSÄULE, sei ein Live-Konzert der britischen Musikerin Delilah Bon gewesen. Tief berührt von den queerfeministischen Lyrics von „Dead Men Don’t Rape“ oder „War On Women“, habe Nico sich endlich empowert genug gefühlt, die langjährigen Struggles mit einengenden Männlichkeitsbildern und Körperidealen öffentlich zu machen und sich als nicht binär zu outen.

Der*die 35-jährige Schauspieler*in hat sich über Jahre hinweg einen „Namen gemacht“ – ist da eine Änderung von Namen und Geschlechtseintrag nicht schädlich für die „Eigenmarke“? Vor allem, wenn die meisten Rollen binär sind? Nicht unbedingt: Der pragmatischste Weg für Nico ist, weiterhin das „männliche Rollenfach“ zu bedienen; so zum Beispiel kürzlich als Lenny Jensen im Tatort „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“. Nico tut, was Schauspieler*innen am besten können: in andere Rolle schlüpfen. In einer Rundmail an deutsche Caster*innen schrieb Nico passenderweise: „Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.“ Allgemein wäre es jedoch wünschenswert, wenn es auch mehr nicht binäre Figuren im deutschen Film und Fernsehen gäbe.

Von Schubladendenken im Castingprozess kann auch Hayal Kaya ein Lied singen. Weiblich, 1,78 m groß, langes aschblondes Haar, braune Augen. So könnte die Beschreibung auf ihrer Casting-Mappe lauten. Man könnte ergänzen: ein ansteckendes Lachen, eine ruhige Stimme, ein inspirierendes Selbstbewusstsein. Doch die Schauspielerin wird oft auf ihre Transidentität reduziert, erzählt sie im SIEGESSÄULE-Interview.

Die letzten drei großen Rollen („Seeland“, „Ungeschminkt“, „Totenfrau“) der gebürtigen Türkin, die seit 2013 in Deutschland eine Schauspielkarriere verfolgt, waren trans* Figuren. Auf diese Erfolge ist Hayal (dennoch) stolz und beschreibt sie als eine positive Entwicklung der Branche. Dass sie als nicht mehrheitsdeutsche trans Frau im Krimi „Seeland“ eine TV-Kommissarin spielt, scheint bei dem sonst eher konservativen Genre an ein Wunder zu grenzen.

„Leise Zwischentöne“ für Trans*-Akzeptanz

„Ich bin keine Aktivistin – möchte ich auch gar nicht werden,” sagt sie. Stattdessen will sie Trans*-Geschichten normalisieren. Dass die Öffentlichkeit oft auf Details einer Transition fixiert sei, kommentiert sie lachend, aber nicht ohne Nachdruck mit: „Ich möchte so wahrgenommen werden, wie ich gerade bin. Ist doch scheißegal, wie ich vor 20 Jahren aussah!” Dieser Ansatz macht ihre Arbeit letztlich doch politisch.

Manchmal müsse es auch laut und unbequem werden, damit Veränderungen passieren. Ihren eigenen Beitrag sieht sie aber vor allem in den „leisen Zwischentönen“. Ihr Ziel sind intime Beziehungen zu den Zuschauer*innen aufzubauen, gerade zu solchen, die eine ganz andere Lebensrealität haben als sie.

„Ich möchte so wahrgenommen werden, wie ich gerade bin. Ist doch scheißegal, wie ich vor 20 Jahren aussah!”

Auf diese Weise holt sie das Wort „trans“ vom Podest des Abstrakten, Außergewöhnlichen und füllt es mit Leben – macht es nahbar und erfahrbar. So zum Beispiel in der Rolle der Kommissarin Elena Barin, durch die sie Einzug in die Wohnzimmer von 5 bis 7 Millionen Zuschauer*innen erhielt. Sie holt viele Menschen dort ab, wo sie stehen und zeigt, dass trans zu sein ein Teil ihrer Geschichte, aber längst nicht alles ist: „Dadurch möchte ich mich nicht definieren. Da ist noch mehr!”

Den aktuellen politischen Talfahrten zum Trotz glauben Nico und Hayal beide, dass sich seit der #ActOut-Kampagne etwas getan hat. Auch wenn sie „eine gewisse Unsicherheit“ in der Branche beobachtet, gibt sich Hayal optimistisch. Sie zählt etliche Personen auf, die sie seit Jahren vor und hinter der Kamera unterstützen. „Team Hayal“ nennt sie sie liebevoll.

Die TV-Branche öffnet sich für Vielfalt

Nico war 2021 bei #ActOut bereits mit einem pansexuellen Coming-out dabei und fühlt sich nach wie vor der Berliner Bi+-Community sehr verbunden. Schon vor der Coming-out-Kampagne fand Nico beispielsweise die Rolle des Berliner Tatort-Kommissars Robert Karow (gespielt von Mark Waschke) inspirierend, da er als erster TV-Ermittler offen seine Bisexualität auslebte. Dass die ARD nun eine Serie wie „Schwarze Früchte“ über das Leben Schwarzer queerer Menschen in Deutschland produziert und ausstrahlt, hätte Nico noch vor einem Jahrzehnt für unmöglich gehalten.

Auch wenn die politischen Vorzeichen aktuell alles andere als optimal sind, gibt sich die Branche kämpferisch, so die Einschätzung von Nico: „Wir befinden uns auf einem Marathon, aber die ersten Kilometer sind geschafft. Und das macht Mut!“ Selbst, oder gerade dann, wenn die nächsten Kilometer des Wegs zu mehr Trans*-Sichtbarkeit steinig und regnerisch werden.

„Wir befinden uns auf einem Marathon, aber die ersten Kilometer sind geschafft. Und das macht Mut!“

Wie stürmisch es werden kann, veranschaulicht Hayal mit transfeindlichen Facebook-Kommentaren und Hass-E-Mails, auf die sie im Interview eingeht. Sie macht kein Geheimnis daraus, wie anstrengend es ist, anders als viele ihrer Kolleg*innen, nicht „bei Null, sondern bei Minus 500“ zu starten. „Ich bin privat verdammt müde“, gesteht sie. Doch „Team Hayal“ stärkt ihr den Rücken und die positiven Rückmeldungen überwiegen, sodass sie für ihre Hater nur ein Lachen übrig hat. Genau die richtige Mentalität für die nächsten Kilometer.

Übrigens: Nico hat eine Tochter, die das Kinderlied „Glitzer“ von Saskia Lavaux und Sukini (aka Sookee) mag. Darin heißt es: „Glitzer ist für alle da, überhaupt keine Frage / Ob Mann, ob Frau oder dritte Option / Alle können sich immer mit Glitzer belohnen.“ Nachdem sie das Lied hörte, fragte sie Nico: „Bist du die dritte Option?“ – und Nico bejahte, zu Tränen gerührt. Diese Geschichte zeigt, wie queere Repräsentation Akzeptanz und Vielfalt fördern kann. Mehr davon – auch in der TV-/Filmlandschaft!

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