Exklusiv-Interview

Trans Frau verklagt McDonald's wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz

24. Juni 2024 Sascha Suden
Bild: Sally B
McDonald's-Mitarbeiterin Kylie vor der Filiale am Hauptbahnhof

Kylie, eine trans Frau aus Libyen, die bei McDonald's am Hauptbahnhof arbeitet, wollte sich in der Frauenumkleide umziehen. Doch ihre Mitarbeiter*innen verboten ihr das. Nachdem Kylie keine Unterstützung von ihren Vorgesetzten bekam, verklagt sie nun McDonald's vor dem Berliner Arbeitsgericht nach dem Antidiskriminierungsgesetz §1 auf Schmerzensgeld. Vor dem morgigen Prozess sprach Sascha Suden für SIEGESSÄULE mit Kylie

„Nein, Schatz, nicht hier“ – das waren die Worte, die Kylie am 1. Dezember von einer Kollegin in der Frauenumkleide bei McDonald's am Hauptbahnhof hörte. Stattdessen sollte sie sich in der Männerumkleide umziehen, denn da gehöre sie hin. Schließlich sei es „egal, wie du oben aussiehst, unten hast du so einen“, sagte die Kollegin und wedelte mit ihrer Hand vor ihrem Schambereich herum, um einen Penis anzudeuten. Kylie war verstört, fühlte sich verletzt und suchte Hilfe bei ihren Vorgesetzten. Doch sie bekam keine. Stattdessen wurde ihr erklärt, dass sie „biologisch noch ein Mann“ sei und man die Gefühle anderer Mitarbeiterinnen respektieren müsse. Ein Gespräch mit der Berliner Personalchefin und einer McDonald's-Anwältin führten zu keinem Ergebnis. Man legte Kylie sogar die Kündigung nahe. Wenn sie bleiben wolle, könne man ihr einen eigenen Raum zum Umziehen einrichten. Daraufhin beschloss Kylie, McDonald's vor dem Arbeitsgericht zu verklagen.

Kylie, wie hast du dich gefühlt, als deine Kollegin dir absprach, eine Frau zu sein? Ich war sehr geschockt. Ich bin seit sieben Jahren in Deutschland und wurde schon häufiger diskriminiert. Auf der Straße, auf Dating-Apps, aber nie auf der Arbeit. Als ich den Leiter um Hilfe bat, sagte er nur: „Warum bist du überrascht, du ziehst dich in der Frauenkabine um. Kylie, du bist biologisch gesehen ein Mann.“ Ich habe ihm gesagt, dass dies diskriminierend sei. Er meinte nur: „Nein“. Daraufhin habe ich McDonald's verlassen und mich krankgemeldet. Eine Schichtleiterin kam noch und sagte: „Kylie, wir respektieren dich als Frau und wir sehen dich als Frau. Aber nicht jeder kann das sehen. Und das musst du auch verstehen und respektieren!“

„Ich bin seit sieben Jahren in Deutschland und wurde schon häufiger diskriminiert. Auf der Straße, auf Dating-Apps, aber nie auf der Arbeit.“

Und als du dann zu Hause warst? Ich saß da in meinen McDonald's-Klamotten und fragte mich: What just happened today? Ich hatte von solchen Diskriminierungen gehört, aber das noch nicht selbst erlebt. Ich dachte McDonald's ist divers, McDonald's ist der einzige Platz, wo ich arbeiten kann, wo ich ich selbst sein kann. McDonald's ist meine Familie. Ich habe schon meine Familie in Libyen verloren. Ich habe dort das Gleiche durchgemacht. Jetzt habe ich wieder eine Familie verloren.

Wie lange hast du dich denn schon in der Frauenumkleide umgezogen? Seit circa fünf Monaten – seit ich ihnen gesagt habe: Ich bin eine Frau. In der Zeit gab es keine Probleme. Allerdings hatte ich mit der diskriminierenden Kollegin nie eine gemeinsame Schicht.

Es gab Gespräche mit der Personalstelle und mit einer McDonald's-Anwältin ... Ja, ich habe ihnen alles erzählt. Und ich habe sogar versucht zu erklären, was eine Frau ist: Frau ist inklusiv und meint trans* und cis, alle Sorten von Frauen. Es gibt keine „Bessere“ oder „Echtere“. Die haben das trotzdem nicht verstanden.

Hast du so etwas von McDonald's erwartet? Nein, es gibt sogar ein Video von McDonald's „Proud Crew“. Da sieht man, wie eine queere Person sich umzieht und sie alle feiern. Ich war schockiert. Ist das deren Ernst? Haben die Human-Resources-Abteilung und die Chefs das Video nicht gesehen? Sind PR und HR (Human Resources) verschiedene Leute?

Das Video der McDonald's Pride-Month-Kampagne 2023:

Was hat dich am meisten verletzt? Am meisten ... das kann ich nicht beantworten, weil es so viele Schmerzen gibt: Ich habe seit Dezember 20 Kilo abgenommen. Ich arbeite dort seit vier Jahren und habe immer alle unterstützt und akzeptiert. Ich habe nur das Gleiche erwartet – dass mich meine McDonald's-Familie unterstützt.

Warum klagst du gegen McDonald's? Ich weiß, dass es ein Gesetz gegen Diskriminierung gibt. Ich will, dass sie verstehen, dass sie etwas falsch machen. Ich will, dass es Änderungen gibt, für Leute wie mich. Dass wir einfach frei leben können ohne Diskriminierung. Wenn schon eine Firma wie McDonald's sagt „Wir sind divers und offen“ und da passiert Diskriminierung, dann möchte ich mir nicht vorstellen, wie es in anderen Firmen aussieht.

Warum hast du nicht einfach gekündigt? Wegen meiner Würde.

„Ich will, dass sie verstehen, dass sie etwas falsch machen. Ich will, dass es Änderungen gibt, für Leute wie mich.“

Das heißt, du willst auch nach dem Prozess weiter bei McDonald's arbeiten, wenn du wieder gesund bist? Ja. Und ich werde mich wieder in der Frauenumkleide umziehen. Aber ich hoffe, McDonald's hat dazugelernt. Übrigens, es gibt nicht nur Männner und Frauen, sondern auch nicht binäre Menschen oder andere Geschlechter. Unisex-Umkleiden wären am besten.

Glaubst du, dass dich McDonald's wieder ausschließen wird? Wenn ja, dann klage ich wieder.

Warum haben einige Angestellte so ein großes Problem mit einer trans Frau? Es gibt Leute, die das nicht akzeptieren. Sie akzeptieren nicht, dass die Welt sich weiter entwickelt hat. Für die bist du als Mann geboren und bist dann immer ein Mann. Anscheinend unterstützt McDonald's diese Kultur und respektiert mich nicht.

Die Personalchefin hat gesagt, andere Beschäftigte hätten Vorrang vor dir. Fühlst du dich als Mensch zweiter Klasse behandelt? Ja!

McDonald's hat dir drei Monatsgehälter angeboten, wenn du gehst ... Ja, aber nicht als Entschädigung, sondern nur als Abfindung. Ich möchte, dass sie sagen, dass ich diskriminiert wurde. Und ich will weiterhin bei McDonald's arbeiten.

Vermutlich wird jeden Tag in Deutschland jemand wegen seiner*ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert. Warum wehren sich so wenige? Weil es bei Gender Identity viel um Scham geht. Man fühlt sich im falschen Körper. Und wenn das jemand auch noch sagt ... Manchmal glaubt man das dann. Einige haben nicht die Energie zu kämpfen.

Und du hast sie? Ich weiß, dass es ein Gesetz gegen Diskriminierung gibt, das uns unterstützt. Ich komme aus einem Land, in dem ich stark sein musste. Ich komme aus Libyen: Da gab es Krieg, da musst du kämpfen. Und dann musste ich auch noch in meiner Familie, in der Schule, auf der Straße kämpfen, einfach überall. Am Ende hab ich verstanden: Ich kann nicht weiterkämpfen. Ich dachte, dass ich in Deutschland frei leben kann. Verglichen mit Libyen ist das ein einfacher Kampf. In Deutschland kann ich kämpfen: Das Recht ist auf meiner Seite.

Laut McDonald's müssen die anderen weiblichen Mitarbeiterinnen geschützt werden – wovor? Ich als Frau brauche Schutz! Ich brauche Schutz vor dem Blick von Männern, bei dem ich mich sexualisiert fühle. Aber auch Frauen ziehen mich manchmal mit ihren Blicken aus, das ist sehr unangenehm. Deshalb brauche ich Schutz. Ich will mich wohlfühlen.

Glaubst du, dass McDonald's sich an das neue Selbstbestimmungsgesetz ab dem 1. November hält? Nein. Wenn in meinen Papieren steht, dass ich eine Frau bin, dann finden sie eben einen anderen Grund. Sie haben als Grund nicht meine Papiere genannt, sondern, dass sie glauben, dass ich untenrum ein Mann bin.

Rätst du anderen Betroffenen, auch für ihre Rechte zu kämpfen? Wer kämpft denn sonst, wenn nicht du? Und wenn es andere nicht können, dann mache ich es für sie. Vielleicht haben andere nicht die Kraft, aber ich mache das gern.

Sollte McDonald's boykottiert werden? Nicht boy-kottiert, sondern trans-kottiert! Ich fände es gut, wenn die Community so ein Selbstbewusstsein hätte.

„Eine Entschädigung ist natürlich gut und auch wichtig, aber Entschuldigung zu sagen ist wichtiger.“

Was erwartest du von McDonald's? Eine Entschuldigung. Eine Entschädigung ist natürlich gut und auch wichtig, aber Entschuldigung zu sagen ist wichtiger. Schön wäre es, wenn sich alle entschuldigen. Sie können mich einladen, das ganze Restaurant schließen und sagen: „Sorry, Kylie, wir haben dich diskriminiert und es tut uns leid und wir entschuldigen uns dafür.“ Das wäre mein Wunsch.

SIEGESSÄULE fragte auch bei McDonald's nach. Die Pressestelle in Deutschland antwortete nicht auf unsere Fragen, zum Beispiel, wann für McDonald's eine Frau eine Frau ist. Oder ob sie anerkennen, dass es sich beim vorliegenden Fall um transfeindliche Diskriminierung handelt. Sie antworteten stattdessen: „Wir haben Kylie die Nutzung eines eigenen absperrbaren Umkleideraums angeboten“. Schließlich solle die Lösung für „alle gleichermaßen zufriedenstellend sein, da selbstverständlich jede*r einzelne Mitarbieter*in gleichermaßen wichtig ist.“ Dieser faule Kompromiss ist jedoch keine zufriedenstellende Lösung, da damit eine trans Frau geothert und nicht als Frau akzeptiert wird.

Termin des Gerichtsprozesses:
Dienstag, 25. Juni um 11:45,
Arbeitsgericht Berlin,
Magedeburger Platz 1,
10785 Berlin

Update zum Prozess:

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Update 26. Juni 2024

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