Interview

Tessa Ganserer: „Unsere Liebe ist stärker"

20. Juli 2022 Kaey
Bild: Grüne im Bundestag: S. Kaminski

Seit letztem Jahr sitzt die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer im Deutschen Bundestag und ist dort eine von zwei transgeschlechtlichen Personen. Seitdem wurde sie immer wieder zur Angriffsfläche für transfeindliche Entgleisungen (über die sie mit uns allerdings nicht sprechen wollte), aber auch zur empowernden Symbolfigur im Kampf für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz von LGBTIQ*. Zum Berliner Pride-Monat baten wir Tessa Ganserer zum Interview

Frau Ganserer, was bedeutet Ihnen die Pride Season? In den Sommermonaten vergeht ja kaum ein Wochenende, an dem nicht mehrere CSDs stattfinden. Hier ist es wichtig, nicht nur auf den großen CSDs zu sein, sondern vielleicht auch in kleine Städte zu gehen, dort, wo vielleicht das erste Mal einer stattfindet. Ich durfte zum Beispiel letztes Jahr beim ersten CSD in Passau zugegen sein. Das war für mich ein unglaublich elektrisierendes Erlebnis. Ich bin mit dieser Stadt aufgrund meiner persönlichen Geschichte stark verbunden. Ich erinnerte mich daran, wie ich in den 90ern auf dem Exerzierplatz in Passau mit Freunden und Menschen aus ganz Niederbayern zusammenstand, um gegen die NPD und die DVU zu protestieren. Und als dann letztes Jahr an derselben Stelle zum ersten Mal queere Menschen zusammengestanden haben, um für eine offene Gesellschaft und Akzeptanz einzutreten, war das unglaublich empowernd.

Wie finden Sie es, dass es in Berlin mittlerweile so viele verschiedene Pride-Demos gibt? Es ist so, dass wir in der Community unterschiedliche Bedürfnisse haben. Bisexuelle Menschen haben andere Bedürfnisse als schwule Männer. Intergeschlechtliche, nicht binäre und transgeschlechtliche Menschen stehen jeweils vor ganz anderen Herausforderungen und haben Bedürfnisse, die über die gemeinsamen Forderungen und Probleme der gesamten Community hinausgehen. Deswegen finde ich es wichtig und gut, wenn die einzelnen Gruppen auch auf ihre speziellen Bedürfnisse aufmerksam machen und so die Sichtbarkeit für ihre Belange bekommen. Natürlich darf das aber nicht dazu führen, dass wir uns von anderen auseinanderdividieren lassen. Wir sollten uns bewusst machen, dass es wichtig ist, dass die einzelnen Gruppen für ihre speziellen Themen eintreten können, wir aber im Großen und Ganzen viel mehr gemeinsame Ziele haben. Es gibt einfach Menschen, denen unsere Existenz, unsere Art zu lieben, unsere Geschlechtszugehörigkeit ein Dorn im Auge sind. Sie werden nichts unversucht lassen, um gegen uns alle zu hetzen und die Gesellschaft zu spalten. Das dürfen wir nicht zulassen.

„Ein positiver Zuspruch von jemandem, der die Arbeit anerkennt, die ich leiste, macht Tausende Hasskommentare wieder wett."

Sie gelten als neue Symbolfigur der trans* Community. Wie stehen Sie dazu? Zuschreibungen wie Symbolfigur oder queerpolitische Ikone sollten andere Menschen machen. Das maße ich mir nicht an. Ich weiß um die mediale Aufmerksamkeit und um die Möglichkeiten, die ich in meiner Position habe, und ich möchte diese nutzen, um auf unsere Belange aufmerksam zu machen und für unsere Rechte einzutreten. Gott sei Dank bekomme ich nicht nur Häme, Spott und Hass ab, sondern auch jede Menge empowernde, teilweise extrem persönliche Nachrichten. Es begegnen mir Menschen auf der Straße, die ich vorher noch nie gesehen habe, die mir ihre Anerkennung zollen. Das gibt unheimlich viel Kraft zurück und ich bin sehr dankbar. Ein positiver Zuspruch von jemandem, der die Arbeit anerkennt, die ich leiste, macht Tausende Hasskommentare wieder wett. Für mich ist das der Beweis, dass unsere Liebe wesentlich stärker ist als deren Hass.

Die Ampelregierung plant ein Selbstbestimmungsgesetz. Dieses soll es trans*, inter und nichtbinären Personen leichter machen, ihren Namen und ihren Personenstand zu ändern. Es gibt Menschen, die behaupten, dass dann bereits 14-Jährige einfach geschlechtsangleichende Operationen vornehmen lassen könnten. Das ist totaler Quatsch. Der medizinische und der rechtliche Weg sind in Deutschland seit vielen Jahren getrennt. Selbst das existierende „Transsexuellengesetz“ macht keine Vorgaben zur medizinischen Angleichung. Die Frage, ob, wann und unter welchen Bedingungen trans* Personen medizinische Eingriffe bewilligt bekommen, und die Frage, ob diese von den Kassen erstattet werden, entscheiden allein Mediziner*innen anhand von Leitlinien, die von medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet wurden. Beim Selbstbestimmungsgesetz geht es lediglich darum, ein einfaches, schnelles, transparentes und unbürokratisches Verfahren zur amtlichen Personenstands- und Namensänderung einzuführen, das für alle Menschen zugänglich ist, das das Selbstbestimmungsrecht von transgeschlechtlichen Menschen wahrt und ohne entwürdigende Zwangsbegutachtung auskommt.

„Es geht um gleiches Recht für alle."

Was wären die nächsten Punkte, die man nach der Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes angehen sollte? Ein erster wichtiger Schritt ist es, die gelebten gesellschaftlichen Realitäten auch im Gesetz abzubilden. Es geht um gleiches Recht für alle. Ziel ist es, das Abstammungsrecht anzupassen, damit lesbische Mütter nicht mehr diskriminiert werden. Es geht darum, das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, zu beenden. Außerdem soll das Verbot von genitalverändernden, geschlechtsnormierenden Operationen an intergeschlechtlichen Kindern nachgeschärft werden. Denn das bisherige Verbot hat diverse Lücken und ist unzureichend. Wodurch nicht alle Kinder ausreichend geschützt werden. Und es geht auch darum, Konversionsbehandlungen allumfassend zu verbieten.

Das zweite große Vorhaben ist, für Akzeptanz in der Gesellschaft zu sorgen. Dafür braucht es eine klare Haltung der Politik. Die Akzeptanz und das gute Miteinander muss man vorleben und verschiedene Maßnahmen ergreifen. Wir als Ampelkoalition haben uns vorgenommen, dafür zu sorgen, dass der deutsche Bundestag endlich anerkennt, dass das TsG von Anfang an unrecht war und gegen die Menschenwürde und grundgesetzlich geschützte Menschenrechte verstoßen hat. Damit verbunden sind auch die Forderung und die Absicht, einen Entschädigungsfonds einzurichten. Außerdem haben wir mit dem Familienministerium bereits angefangen, an einem nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt zu arbeiten. Unter der Beteiligung der Bundesländer und der queeren Community wollen wir schauen, in welchen Politikfeldern und Lebensbereichen wir mit welchen Maßnahmen die allgemeine Akzeptanz fördern können. Dieser Aktionsplan muss und wird mit finanziellen Mitteln hinterlegt sein.

Der dritte Bereich greift an den Stellen, an denen sich fehlende Akzeptanz in Anfeindungen, Diskriminierung und Hassgewalt entlädt. Der Rechtsstaat muss sich hier schützend an die Seite von Betroffenen stellen, um deutlich zu machen, dass Menschen solches Unrecht nicht akzeptieren müssen. Hassgewalt muss konsequent bekämpft werden. Auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz muss erneuert werden, um die Rechte von Menschen, die Benachteiligung erfahren haben, zu stärken.

tessa-ganserer.de

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