Terry Reintke zur Europawahl: „Mit einem Rechtsruck wäre Fortschritt gelähmt!“
Die Europawahlen stehen vor der Tür. Viele befürchten, dass rechte bis rechtsextreme Parteien stark zulegen werden. SIEGESSÄULE hat mit Terry Reintke, der Ko-Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, über queere EU-Politik und die Wahl gesprochen
Seit 2014 bist du Abgeordnete im Europaparlament und erlebst rechte Parteien täglich. Was würde ein Rechtsruck im EU-Parlament genau bedeuten? Aus Perspektive von queeren Menschen und Minderheiten wäre das eine Katastrophe. Rechtsautoritäre und rechtsextreme Parteien würden das EU-Parlament noch stärker als Bühne für ihre menschenverachtenden Ideen missbrauchen. Sie würden außerdem versuchen, die Positionen des Parlaments zu bestimmten Fragen und bereits erreichte Standards wieder zurückzudrehen. Meine Sorge ist, dass sich Teile der EVP-Fraktion (Fraktion der Europäischen Volkspartei, Anm. d. Red.) nicht mehr vor die queere Community stellen würden.
„Rechtsextreme Parteien würden das EU-Parlament noch stärker als Bühne für ihre menschenverachtenden Ideen missbrauchen."
Also, dass Parteien wie die CDU und CSU, die zur konservativen EVP-Fraktion gehören, sich nicht mehr für die Rechte queerer Menschen aussprechen würden? Zumindest würden sie keine Fortschritte unterstützen. Es ist sowieso ein anstrengendes Unterfangen, sie von unseren Zielen wie Geschlechtergerechtigkeit zu überzeugen. Aber mit einem massiven Rechtsruck wäre weiterer Fortschritt gelähmt. Die Gesetze, die wir hier angestoßen haben, würden wahrscheinlich nicht zu Ende geführt werden – etwa die Freizügigkeit für Regenbogenfamilien.
Dazu gibt es den Vorschlag der Europäischen Kommission, dass ein Mitgliedsland die Elternschaft eines queeren Paares anerkennen muss, wenn ein anderes Mitgliedsland es bereits anerkannt hat. Da haben wir in der vergangenen Legislaturperiode gesehen, dass viele Mitgliedstaaten kein Interesse haben, das voranzubringen.
In Italien wird unter der Postfaschistin Giorgia Meloni lesbischen Müttern ihre Mutterschaft aberkannt und gegen Ungarn zog die EU-Kommission erst spät vor den Europäischen Gerichtshof, um gegen homo- und transfeindliche Gesetze vorzugehen. Warum unternimmt die EU so wenig? Wenn nicht genügend Druck aus den Mitgliedstaaten kommt, passiert da auch nichts. Dementsprechend ist das Europäische Parlament ein zentraler Akteur und Verbindungsort der queeren Community zur Politik. Wir brauchen Druck aus dem Parlament, sowie Prides, damit queere Themen auch für eine Ursula von der Leyen als Kommissionschefin auf die Tagesordnung kommen. Dann wird auch die EU-Kommission aktiv, wie etwa gegen Ungarn.
„Wir brauchen Druck aus dem Parlament, sowie Prides, damit queere Themen auf die Tagesordnung kommen."
Also damit auf EU-Ebene überhaupt etwas passiert, ist Druck aus der Zivilgesellschaft wichtig? Absolut. Jetzt, wo der Pride-Sommer beginnt, ist es wichtig Prides auch als politische Veranstaltung zu verstehen. Sie erinnern Politiker*innen daran, dass sie nicht einfach so tun können, als sei bei queeren Rechten in Deutschland oder auf europäischer Ebene genug erreicht. Und wenn man zu den großen Prides in den europäischen Queer-Hochburgen geht, die zum Teil als kommerziell und partylastig kritisiert werden, sollte man trotzdem politische Botschaften mitbringen.
Als du 2022 Ko-Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament wurdest, wolltest du die Gleichstellung queerer Menschen stärker aufs Programm setzen. Hat das geklappt? Es hat in dem Sinne geklappt, dass ich eine sehr offene lesbische Fraktionsvorsitzende bin. Dadurch spielt das Thema in Diskussionen zumindest unterschwellig immer eine Rolle. Ich habe auch versucht, meine Prominenz zu nutzen – so lade ich als Grünen-Fraktionsvorsitzende offiziell Leute ein und nicht nur die LGBTIQ*-Intergroup des EU-Parlaments, die sich für die Belange queerer Menschen einsetzt. Wir haben etwa den Mailänder Bürgermeister Beppe Sala ins Parlament eingeladen, der sich gegen italienische Gemeinden wehrte, die lesbische Mütter aus dem Geburtsregister streichen wollen. Aber seit Beginn der Legislaturperiode vor fünf Jahren ist der autoritäre Gegenwind stärker geworden. Auch, weil es mehr rechtsextreme Regierungen in Europa gibt.
„Ich bin die erste queere – zumindest offen queere – Kandidatin für die EU-Kommissionspräsidentschaft.“
Inwieweit spielt es im aktuellen Wahlkampf für dich eine Rolle, queere Politikerin zu sein? Für mich spielt es eine wichtige Rolle, weil ich glaube, dass es in der Community sehr stark wahrgenommen wird. Ich bin die erste queere – zumindest offen queere – Kandidatin für die EU-Kommissionspräsidentschaft. Ich bekomme viele Nachrichten von Menschen, die darin bestärkt werden ihr Coming-out zu haben oder sich dadurch in ihrer Identität wohlfühlen. Aber ich möchte auch, dass LGBTIQ*-Rechte im Wahlkampf zentral diskutiert werden. Wir haben noch viele offene Gesetzesentwürfe aus dieser Wahlperiode. Selbst wenn wir jetzt alle abschließen würden, hätten wir immer noch einen Batzen Arbeit, um Gleichberechtigung in Europa zu erreichen.
Was würdest du gerne durchsetzen? Die Anerkennung von Partnerschaftsdokumenten. Warum sollte ein queeres Paar aus Belgien, das nach Rumänien zieht, plötzlich keine rechtlich anerkannte Beziehung mehr führen dürfen? Das möchte ich auf jeden Fall voranbringen. Aber es gibt auch viele weitere Themen, die ich anpacken möchte!
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