Tödlicher Messerangriff auf schwules Paar: „Politik ist eine angemessene Reaktion schuldig geblieben“
Bei einem Messerangriff im Oktober letzten Jahres in Dresden wurde ein Mann getötet, sein Lebensgefährte schwer verletzt. Heute beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Über Homophobie als Tatmotiv war im Vorfeld lange geschwiegen worden. Wir sprachen mit Martin Wunderlich von der LAG Queeres Netzwerk Sachsen über den Angriff, dessen Rezeption in Sachsen und notwendige Schritte gegen LGBTI*-feindliche Gewalt
Im Oktober 2020 wurden ein Mann und sein Lebensgefährte Opfer eines Messerangriffs. Der 55-jährige Krefelder starb, sein Begleiter, ein 53-Jähriger aus Köln, überlebte schwer verletzt. Die beiden waren als Touristen in der Dresdner Altstadt unterwegs gewesen. Am 12.04. ist der erste Prozesstag am Dresdner Oberlandesgericht, tatverdächtig ist der 21-jährige Syrer Abdullah A. Behörden hatten den Angeklagten bereits 2017 als „islamistischen Gefährder“ eingestuft, 2018 war er u. a. wegen Unterstützung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verurteilt worden.
Nun wird ihm Mord, versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Laut Anklageschrift habe der Tatverdächtige aus einer radikalislamistischen Gesinnung heraus gehandelt. Ein Vertreter der Bundesanwaltschaft sprach zum Prozessauftakt außerdem über das homophobe Tatmotiv: Abdullah A. habe die Männer als homosexuelles Paar wahrgenommen und sie als „Repräsentanten einer vom ihm als ,ungläubig` abgelehnten freiheitlichen und offenen Gesellschaftsordnung“ bestrafen wollen.
Martin, heute beginnt der Prozess in Dresden. Wie äußert ihr vom Queeren Netzwerk Sachsen euch zu dem Fall? In allererster Linie gilt noch immer unsere tief empfundene Anteilnahme dem Partner des Getöteten Thomas L. sowie seinen An- und Zugehörigen. Angesichts dieser grausamen Tat sind wir auch ein halbes Jahr nach der Tat fassungslos, wütend und traurig. Was beschäftigen uns vor allem mit der politischen Aufarbeitung, stehen mit dem sächsischen Justiz- und Gleichstellungsministerium in regem Austausch und fordern Konsequenzen ein. Das betrifft vor allem eine transparente Kommunikation der sächsischen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden.
„Auch ein halbes Jahr nach der Tat sind wir fassungslos, wütend und traurig“
Was erwartet ihr euch von dem Strafprozess? Die vollständige Aufklärung aller Tataspekte. Und damit natürlich eine konsequente Anwendung geltenden Rechts bei Verurteilung und Strafbemessung. Wir hoffen, dass der Partner des Getöteten und seine An- und Zugehörigen mit diesem Prozess ein Stück weit Gerechtigkeit und hoffentlich auch Frieden finden. Gleichzeitig würden wir uns wünschen, dass in der Folge das Thema Gewalt gegen LGBTIQ* in unserer Gesellschaft endlich konsequent von Politik, Justiz und Polizei angegangen und als das behandelt wird, was es ist: alltäglich und weitverbreitet.
Wie ist der Fall in der sächsischen LGBTI*-Community rezipiert worden? Natürlich hat diese grausame Tat Fassungslosigkeit und Wut hervorgerufen. Aber auch unmittelbar große Anteilnahme. Eines unserer Mitgliedsvereine, der CSD Dresden e. V., hat sich hier besonders hervorgetan und immer wieder Aufmerksamkeit auf den Fall gelenkt. Denn die ließ von Seiten von Politik und Gesellschaft lange auf sich warten. Zu Recht haben LGBTIQ*-Vereine frühzeitig die intransparente Kommunikation der sächsischen Ermittlungsbehörden kritisiert, angesichts eines möglichen – und später ja bestätigten – homofeindlichen Tatmotivs. Auch das Ausbleiben einer angemessenen offiziellen Reaktion unserer politischen Entscheidungsträger*innen wurde heftig kritisiert. Die politischen Spitzen der Stadt Dresden, des Freistaates Sachsen und der Bundesrepublik Deutschland sind dies dem Ermordeten und unseren Communities bisher schuldig geblieben.
„Zu Recht haben LGBTIQ*-Vereine frühzeitig die intransparente Kommunikation der sächsischen Ermittlungsbehörden kritisiert“
LGBTI*-Verbände haben ja auch die Medien stark dafür kritisiert, dass Homophobie als Tatmotiv lange nicht benannt wurde...Wir teilen diese Kritik an den Medien. Stärker noch trifft die Kritik aber die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden selbst und deren intransparente Kommunikation. Diese resultiert noch immer aus Unkenntnis und Unwissenheit. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die Behörden über ausreichend Kenntnisse über Erscheinungsformen und Besonderheiten von Hasskriminalität und über die Lebenslagen von LGBTIQ* verfügen. Um überzeugend und vertrauensbildend in der Öffentlichkeit aufzutreten, braucht es eine offene und für die berechtigten Anliegen der LGBTIQ*-Communities sensible Kommunikation seitens der Ermittlungsbehörden. Nicht nur im Fall der tödlichen Messerattacke von Dresden müssen wir jedoch eine fehlende Sensibilität beklagen.
Nach der islamistisch motivierten Tötung des französischen Lehrers Samuel Paty im Oktober kritisierte Kevin Kühnert in einem Gastbeitrag im Spiegel, dass sich linke Communities generell noch schwertun, gegen Islamismus Stellung zu beziehen. Kühnert forderte, in Bezug auf islamistischen Terror das „Schweigen zu brechen“. Auch der Messerangriff von Dresden wird als islamistisch motiviertes Verbrechen eingestuft. Sollten queere Communities sich nicht viel deutlicher zum Thema Islamismus und islamistischer Terror äußern? Islamismus wird häufig verharmlost, das stimmt. Die anhaltende Bedrohung durch Jihadist*innen in Europa ist ein Fakt. Islamismus trägt immer faschistoide Züge und bedroht den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Allgemeinen und u. a. die Leben von LGBTIQ* im Besonderen. Ähnlich verhält es sich mit anderen rechtsextremen, faschistoiden, demokratiefeindlichen Kräften, die auch in Sachsen verbreitet sind. Wir sollten daher islamistisch motivierte LGBTIQ*-Feindlichkeit offen ansprechen können, dürfen dabei aber nicht selbst in Vorurteile und Verallgemeinerungen verfallen. Denn vergessen wir nicht, dass auch in Sachsen viele queere Geflüchtete beispielsweise aus muslimisch geprägten Ländern Zuflucht suchen. Rassismus oder Islamfeindlichkeit stellen keine geeigneten Mittel im Kampf gegen LGBTIQ*-Feindlichkeit dar.
Inwieweit gab es in eurer Wahrnehmung auch rechtspopulistische Stimmen in Sachsen, die versucht haben, die Tat zu instrumentalisieren? Diese Instrumentalisierung gab es natürlich. Für rechtsextreme und vielfaltsfeindliche Gruppen und Parteien sind solche Gewaltverbrechen immer willkommene Anlässe, um queere Menschen gegen Geflüchtete und Menschen muslimischen Glaubens auszuspielen. Dieses perfide Spiel wird sehr verlässlich von der AfD gespielt. Genau dem dürfen wir als Communities nicht auf den Leim gehen! Das Thema Islamismus darf im Zuge des Prozessbeginns zur tödlichen Messerattacke in Dresden nicht erneut als Frage der Migrations- und Asylpolitik behandelt werden, als ein Problem, das sich vermeintlich durch noch restriktivere Asylgesetze oder vermehrte Abschiebungen lösen lasse. Religiöser Fanatismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit werden nicht erst durch Geflüchtete nach Sachsen „importiert“. Beide Phänomene sind globale, deutsche und sächsische Probleme, die konsequent durch Bildung, Inklusion und Prävention fokussiert und gelöst werden müssen.
„Polizei und Staatsanwaltschaft müssen Hasskriminalität und LGBTIQ*-Feindlichkeit (er)kennen und richtig einordnen können“
Momentan wird in Medien viel über so genannte Identitätspolitik diskutiert. Der Mainstream scheint genervt von den angeblich „überzogenen Forderungen“ von Minderheiten. So sagte etwa der SPD-Politiker Wolfgang Thierse im ZEIT-Magazin, er sei „mittlerweile zum Symbol geworden für viele normale Menschen“. Damit grenzte Thierse Minderheiten gegen „normale Menschen“ ab. Für seine Aussagen bekam er auch Beifall von der AfD. Seht ihr eine gesamtgesellschaftliche Tendenz, Diskriminierung und Gewalt gegen Minderheiten herunterzuspielen, bzw. deren Anliegen auf mehr Schutz nicht ernst genug zu nehmen? Wenn ein wie auch immer zu definierender Mainstream die berechtigten Forderungen von LGBTIQ* nach Schutz von Leib und Leben als „überzogen“ einstuft, dann wäre es höchste Zeit, wenn ein solcher „Mainstream“ den Standpunkt mal reflektiert. Im Übrigen ist es vollkommen irrelevant, was eine AfD dazu zu sagen hat. Ebenso wie alle anderen rechtsextremen und vielfaltsfeindlichen Gruppierungen hat diese Partei nichts für eine vielfältige, solidarische und demokratische Gesellschaft beizutragen. Wir sprechen hier schließlich vom Grundversprechen unserer demokratischen Gesellschaft nach Gleichwertigkeit unserer Leben, nach gleichen Rechten und gleichberechtigter Teilhabe. Vielfalt ist real, get over it. Gleichzeitig ist jedoch eine wachsende Polarisierung unserer Gesellschaft nicht von der Hand zu weisen. Diskurse werden mehr und mehr unversöhnlich und teils auch gewalttätiger geführt. In diesem Zusammenhang beobachten wir auch, dass Nützlichkeits- und Sündenbockdebatten bezogen auf Minderheiten verstärkt von Rechts geführt werden, um die gesellschaftliche Spaltung bewusst voranzutreiben.
Wie können LGBTI*, die von Gewalt betroffen sind, am besten unterstützt werden? Umfassende Bildungs- und Präventionsprogramme sowie eine vertrauensvolle Basis zwischen Polizei, Justiz und Communities sind der Schlüssel. Die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden müssen überall für die Lebenssituationen von LGBTIQ* geschult und ausgebildet werden. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen Hasskriminalität und LGBTIQ*-Feindlichkeit (er)kennen und richtig einordnen können. Betroffene müssen sich sicher sein können, dass sie ernst genommen werden, wenn sie eine Anzeige machen. Opferberatungen und Opferschutz müssen ebenso umfassend für LGBTIQ*-Lebenslagen geschult werden. Außerdem müssen diejenigen Projekte und Vereine, die Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit sowie Demokratieförderung leisten, viel stärker als bisher gefördert und finanziell abgesichert werden, um Hass und Vorurteilen den Nährboden zu entziehen.
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