Queerbeauftragter der Bundesregierung

Sven Lehmann: „Der Aktionsplan ‚Queer leben!' muss verstetigt werden!“

20. Feb. 2025 Interview: Christoph R. Alms
Bild: Nils Leon Brauer
Sven Lehmann ist der erste Queerbeauftragte der Bundesregierung

Sven Lehmann ist 45 Jahre alt, derzeit Mitglied im Deutschen Bundestag und der erste Queerbeauftragte der Bundesregierung. Aber wie schätzt er selbst die Queerpolitik der vergangenen Jahre ein, in denen seine Partei Bündnis90/Die Grünen als Teil der Ampelkoalition der Regierung angehörte? Und welche queerpolitischen Ziele verfolgt er im Bundestagswahlkampf 2025?

Insbesondere für seinen unermüdlichen Einsatz für das Selbstbestimmungsgesetz hat sich Sven Lehmann einen Namen gemacht. Sein Engagement für die queeren Communitys geht weit über die Grenzen seines Wahlkreises in Köln und Nordrhein-Westfalen hinaus. SIEGESSÄULE-Autor Christoph R. Alms hat ihn interviewt

Du bist seit Januar 2022 der erste Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, der sogenannten Queerbeauftragte. Braucht es dieses Amt auch in einer künftigen Regierung? Erstmalig gibt es mit diesem Amt eine direkte Ansprechperson in der Bundesregierung und jemanden, der bei allen relevanten Gesetzen, aber auch vielen kleineren Vorhaben, die Perspektive der Community stark macht. Dieses Amt ersatzlos wieder abzuschaffen wäre eine Kampfansage an die LGBTIQ*-Community. Deutschland ist in meiner Amtszeit im Regenbogen-Ranking von ILGA Europe erstmals in die Top 10 in Europa bei der rechtlichen Gleichstellung von LGBTIQ* aufgestiegen. Die nächste Bundesregierung muss unbedingt an diese Fortschritte anknüpfen und dafür treten ich und wir Grüne auch wieder an.

Mit dem Aktionsplan „Queer leben!” hast du einen Beteiligungsprozess mit den queeren Communitys und weiteren Akteur*innen angestoßen, auch ein Maßnahmenkatalog konnte erarbeitet und präsentiert werden. Welche Erfolge findest du besonders erwähnenswert? Erstmals in der Geschichte hat sich eine Bundesregierung mit dem Aktionsplan „Queer leben“ aktiv an die Seite von LGBTIQ* gestellt. Vor kurzem hat die Bundesregierung einen Bericht zum Umsetzungsstand des Aktionsplans „Queer leben“ vorgelegt. Daraus geht hervor, dass knapp zwei Jahre nach Verabschiedung 83 der 134 Maßnahmen bereits umgesetzt wurden oder sich in Umsetzung befinden. Das ist eine erfreuliche Zwischenbilanz, die zeigt, dass wir in der Arbeit gegen Diskriminierung und Queerfeindlichkeit große Fortschritte erreicht haben. Parallel zum Beginn der Umsetzung hat auch der Beteiligungsprozess mit der Community begonnen, den ich als Queerbeauftragter koordinieren durfte. 78 Verbände und Initiativen haben in 14 Arbeitsgruppen intensiv zusammen mit Vertreter*innen der Ministerien und der Bundesländer an der Ausgestaltung der Maßnahmen des Aktionsplans gearbeitet. So einen intensiven Beteiligungsprozess für die Community hat es bisher noch nicht gegeben. Es ist unheimlich wichtig, dass die neue Bundesregierung diese Arbeit der Zivilgesellschaft in allen queerpolitischen Prozessen und Maßnahmen berücksichtigt.

„Es ist unheimlich wichtig, dass die neue Bundesregierung diese Arbeit der Zivilgesellschaft in allen queerpolitischen Prozessen und Maßnahmen berücksichtigt.“

Denn eins ist klar: Bei allen politischen Fortschritten bleiben LGBTIQ* eine verwundbare gesellschaftliche Gruppe. Das zeigt auch die diesjährige CSD-Saison, bei der im Vorfeld einiger CSDs rechtsextreme Gruppen gegen diese friedlichen Demonstrationen der Vielfalt mobilisierten und massiver Polizeischutz benötigt wurde, um für die Sicherheit der Demonstrierenden zu sorgen. Der Verfassungsschutz beobachtet, dass Rechtsextreme und religiös-fundamentalistische Kräfte immer offener und aggressiver gegen LGBTIQ* vorgehen. Täglich werden in Deutschland sechs queerfeindliche Angriffe erfasst, die Dunkelziffer ist bedeutend höher. Daher begrüße ich es auch sehr, dass der Bericht festhält, dass in zwei Jahren erneut berichtet werden soll und damit Transparenz über queerpolitische Vorhaben auf Bundesebene geschaffen wird. Der Aktionsplan muss unbedingt verstetigt werden!

Wie bewertest du die Tatsache, dass es in der Legislaturperiode nicht zu einer Änderung des Grundgesetzes kam, um queere Menschen explizit zu schützen, obwohl es dafür theoretisch eine demokratische Mehrheit gegeben hätte? Queere Menschen sind die letzte von den Nazis verfolgte Gruppe, die noch keinen expliziten Schutzstatus im Grundgesetz hat. In seiner jetzigen Fassung konnte das Grundgesetz auch nach 1945 die strafrechtliche Verfolgung von homo- und bisexuellen Männern durch den grausamen Paragraphen 175 nicht verhindern, oder dass lesbischen Müttern bis in die 1980er ihr Sorgerecht entzogen werden durfte, oder die massiven Menschenrechtsverletzungen an trans* und inter* Personen.

„Wir brauchen den expliziten Schutz in Artikel 3 des Grundgesetzes, auch um Errungenschaften wie die gleichgeschlechtliche Ehe abzusichern.“

Das zeigt: Wir brauchen den expliziten Schutz in Artikel 3 des Grundgesetzes, auch um Errungenschaften wie die gleichgeschlechtliche Ehe abzusichern. Die Hürden für eine Änderung des Grundgesetzes sind jedoch hoch, weil es eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat braucht und folglich auch die Unterstützung der Union. Selbstverständlich werde ich mich auch weiterhin mit aller Kraft für den ausdrücklichen Schutz in der Verfassung einsetzen.

Besonders enttäuscht scheint die Community auch durch die weiterhin bestehende Diskriminierung von Regenbogenfamilien zu sein, insbesondere hinsichtlich der rechtlichen Benachteiligung durch das Abstammungsrecht. Wie lautet deine Einschätzung zu diesem Themenfeld? Ich teile diese Enttäuschung und bin sehr sauer, dass Regenbogenfamilien weiterhin durch das Abstammungsrecht ignoriert werden. Wir waren da auf einem guten Weg, aber dann hat die FDP die Regierung gecrasht und dann fehlte die Zeit. Es gibt einen fertigen Gesetzentwurf, an den die neue Regierung dringend anschließen muss. Denn jeden Tag, an dem das nicht in Kraft ist, haben manche Kinder weniger Rechte als andere, bloß weil sie in Regenbogenfamilien aufwachsen. Das ist untragbar. Auch genau deswegen trete ich wieder an, um Regenbogenfamilien und vor allem ihre Kinder endlich rechtlich gleichzustellen und rechtlich abzusichern.

Du hast im vergangenen Jahr Deinem langjährigen Partner auch offiziell das Ja-Wort gegeben. Was hältst du von politischen Forderungen, die sogenannte „Ehe für alle” für gleichgeschlechtliche Paare wieder abzuschaffen? Erst vor kurzem wurde von Bundestagsabgeordneten der AfD betont, nach der Wahl wieder einen Gesetzentwurf einzubringen, mit dem die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wieder verboten werden soll. Das zeigt einmal mehr, dass man sich von einer Alice Weidel nicht täuschen lassen darf. Man muss sich nur die Reden und Äußerungen ihrer Abgeordneten, die politischen Vorbilder dieser Partei sowie ihre Anträge etwa zur Abschaffung des Aktionsplans „Queer leben“ oder des Selbstbestimmungsgesetzes anschauen, um zu erkennen, dass die AfD uns wieder entrechten möchte. Die AfD ist eine große Gefahr für unsere Freiheit. Ich habe im letzten Jahr meinen Mann geheiratet und wie tausende von anderen gleichgeschlechtlichen Paaren möchte ich nicht wieder entrechtet werden. Und ich möchte wie viele Millionen Menschen in Deutschland, dass auch in Zukunft alle Menschen den Menschen heiraten dürfen, den sie lieben – egal welches Geschlecht dieser Mensch hat.

Wie ordnest du Forderungen ein, das Selbstbestimmungsgesetz wieder abzuschaffen? Seitdem ich Politik mache, war mein persönlich härtester Kampf die Ersetzung des unwürdigen Transsexuellengesetzes durch das Selbstbestimmungsgesetz. Es gab sehr viele transfeindliche Angriffe, unglaublich viele Fake News. Ich bin froh, dass Regierung und Bundestag Wort gehalten haben. Seit dem 1. November 2024 können trans* Menschen ihren korrekten Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu erhalten – ohne psychiatrische Gutachten, ärztliche Atteste und langwierige Gerichtsverfahren. Das war immer eine zentrale Forderung aus der Community und das haben wir jetzt endlich – nach 40 Jahren demütigendem Transsexuellengesetz – endlich umgesetzt. Wir haben eine hohe Zahl von Anmeldungen bei den Standesämtern, weil viele gewartet haben, bis das Gesetz in Kraft tritt. Ich bekomme jeden Tag wirklich sehr ergreifende Nachrichten von trans* Menschen, die sagen, dass sie sich zum ersten Mal wirklich als gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft fühlen.

„Mein Eindruck ist, dass diese sehr beunruhigende und gefährliche Mobilisierung gegen trans* Menschen, die wir ja in vielen Ländern sehen, als Teil eines Kulturkampfes geführt wird, um auch von sozialer Ungerechtigkeit und der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich abzulenken.“

Trans* Menschen haben Jahrzehnte auf dieses Gesetz gewartet. Dass auch die Union das wieder abschaffen will, zeigt, dass der Kampf um Anerkennung und Akzeptanz von trans* Menschen nicht zu Ende ist. Im Gegenteil. Mein Eindruck ist, dass diese sehr beunruhigende und gefährliche Mobilisierung gegen trans* Menschen, die wir ja in vielen Ländern sehen, als Teil eines Kulturkampfes geführt wird, um auch von sozialer Ungerechtigkeit und der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich abzulenken.

Kurz und knapp nachgefragt… Regenbogenfahnen an Regierungsgebäuden wie dem BMFSFJ, ja oder nein? Ja, definitiv.

Geschlechtergerechte Sprache mit Gendersternchen * , ja oder nein? Ja, so bevorzuge ich persönlich es.

Eher eine vegane Currywurst mit Olaf Scholz oder einen Döner mit Alice Weidel? Keine Frage. Bei Döner mit Frau Weidel würde mir übel – und zwar nicht wegen des Döners.

Ein Küchentischgespräch mit Robert Habeck oder ein Politik-Talk mit Friedrich Merz? Wie wäre ein Küchentischgespräch mit Friedrich Merz zum besseren Diskriminierungsschutz im Grundgesetz?

Lieber ein kühles Bier mit Markus Söder in den bayrischen Alpen oder einen (alkoholfreien) Cocktail mit Heidi Reichinnek nach einem CSD? Also Kölsch hatte ich schon mit Heidi Reichinnek, nach dem Kölner CSD. Gerne wieder.

„Es gibt politische Kräfte, die gegen LGBTIQ* und unsere Erfolge mobilisieren. Es geht ihnen um eine autoritäre Gesellschaftsordnung und darum, uns wieder unsichtbar machen.“

Last but not least: Wie lautet dein Wunsch an die (queeren) Wähler*innen? Wir dürfen uns nichts vormachen: Es gibt politische Kräfte, die gegen LGBTIQ* und unsere Erfolge mobilisieren. Es geht ihnen um eine autoritäre Gesellschaftsordnung und darum, uns wieder unsichtbar machen. Das dürfen wir nicht zulassen! Lasst uns so wählen, dass Menschen angstfrei unterschiedlich sein können – und dabei gleich an Rechten und Würde. Auf uns Grüne ist dabei Verlass.

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