Streit um Selbstbestimmungsrecht
Im Innenausschuss gab es heute eine Anhörung zur Forderung nach einem selbstbestimmten Geschlechtseintrag. Sechs Sachverständige wurden von Bundestagsabgeordneten zum Thema befragt.
Bündnis 90/ Die Grüne und FDP hatten entsprechende Gesetzesentwürfe eingebracht, mit denen nicht-binäre, inter* oder trans* Personen - allein auf Grundlage der Selbstauskunft - ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag durch einen einfachen Verwaltungsakt ändern lassen können. Laut dem derzeit noch geltenden und von vielen als diskriminierend empfundenen „Transsexuellengesetz“ sind dafür zwei kosten- und zeitintensive Gutachten von Expert*innen erforderlich.
Darüber hinaus stand noch ein Antrag der Linken zur Diskussion, in dem die Entschädigung von trans* Personen gefordert wird. Noch bis 2011 mussten sich diese nach dem „Transsexuellengesetz“ zwangssterilisieren lassen, um ihren Personenstand zu ändern.
Im Mittelpunkt der Debatte standen sowohl die positiven emanzipatorischen Folgen eines Selbstbestimmungsgesetzes für trans*, inter* und nicht binäre Personen, als auch die von konservativer Seite immer wieder geäußerte Forderung, an einer Begutachtungspflicht festzuhalten.
Immerhin vier der sechs gehörten Expert*innen begrüßten ein Selbstbestimmungsrecht. Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* betonte, dass Deutschland hier in der Entwicklung deutlich hinterherhinke. In verschiedenen europäischen Ländern wie beispielsweise Malta, Dänemark, Irland, Portugal, Luxemburg, Norwegen oder Belgien seien entsprechende Gesetze bereits in Kraft.
Die Befürchtung, solche Gesetze führten dazu, dass Personen dann ständig neu über ihren Geschlechtseintrag entscheiden und damit „Missbrauch treiben“ würden, sei falsch. Das zeigten die in diesen Ländern gemachten Erfahrungen deutlich. So komme eine mehrmalige Änderung laut Hümpfner nur in einem Prozent der Fälle vor. Ein Generalverdacht, so Hümpfner, „der allen trans* Personen unterstellt, sie würden sich durch die Änderung Vorteile bei Frauen-Quoten oder im Sport erschleichen, geht nicht nur an der Realität vorbei. Trans* Personen und im besonderen Maße trans* Frauen erfahren weiterhin deutliche Benachteiligungen in allen Gesellschaftsbereichen, sodass die Änderung des Geschlechtseintrags und ein damit verbundenes Outing nicht zu einem Vorteil, sondern in vielen Fällen zu Gewalt, Benachteiligung und Diskriminierung führt.“
„Selbstüberheblichkeit der Medizin“
Auch die Juristin Prof. Dr. Anna Katharina Mangold betonte, dass es bei der Geschlechtsidentität auf das subjektive Empfinden der Person ankomme. Eine medizinische Klassifikation sei demgegenüber nachrangig. Sie sprach in diesem Zusammenhang von einer „Selbstüberheblichkeit der Medizin“, da diese der Fehleinschätzung unterliege, hier ein besonderes Mitspracherecht zu haben.
Damit adressierte sie auch den von der CDU geladenen Dr. med. Alexander Korte von der Münchner Universitätsklinik. Denn dieser vertrat die Auffassung, dass eine Selbstdefinition nicht ausreiche. Der umstrittene Kinderarzt hatte in den Medien bereits mehrfach davor gewarnt, dass sich „immer mehr Mädchen für eine Transition entscheiden“ würden. Hinter dieser Entscheidung stehe aus Kortes Sicht meist aber keine trans* Identität, sondern Verunsicherungen und die Angst vor körperlichen Veränderungen in der Pubertät.
Kritik an Altersgrenze und Entschädigungsleistungen
Deswegen kritisierte Korte insbesondere die Altersgrenze von 14 Jahren, ab der nach beiden Gesetzesentwürfen Personen über ihren Geschlechtseintrag selbstbestimmt verfügen können. Es stelle sich die Frage, ob Jugendliche in diesem Alter bereits in der Lage seien, die Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können. Auch müsse die Hürde für körperliche Veränderungen hoch genug sein. Auf Nachfrage von Dr. Karl-Heinz Brunner von der SPD, ab welchem Zeitpunkt ein Mensch denn fähig sei, seine geschlechtliche Identität zu erkennen, antwortete Korte etwas ausweichend, diese ließe sich nur an der individuellen Entwicklung und nicht am Alter festmachen. Um das „objektiv beurteilen“ zu können, brauche es laut Korte Fachpersonal.
Laut seiner schriftlichen Stellungnahme lehnt Korte auch Entschädigungsleistungen für zwangssterilisierte Personen ab: „Denn die betroffenen Personen haben sich ja aufgrund ihres subjektiven Zugehörigkeitsempfindens und des von ihnen verspürten, meist mit massivem Leidensdruck einhergehenden Umwandlungsbegehrens ganz bewusst selbst und unter Inkaufnahme der Fortpflanzungsunfähigkeit für eine geschlechtsangleichende Operation entschieden.“
Peinlicher Auftritt von Beatrix von Storch
Besonders unangenehm fiel erwartungsgemäß Beatrix von Storch von der AfD auf, die das Thema ins Lächerliche zu ziehen versuchte. Sie nutzte ihre Nachfragen, um in „J. K. Rowling“-Manier vor Männern zu warnen, die sich als Frauen ausgeben würden, um andere Frauen zu belästigen, und sie sprach despektierlich von Jugendlichen, die sich „verwandeln“ würden.
Was die Gegner*innen eines Selbstbestimmungsrechtes wirklich antreibt, brachte die Sachverständige Prof. Dr. Ulrike Lembke von der Berliner Humboldt-Universität auf den Punkt. Es sei entlarvend, dass immer dann von einem angeblichen Missbrauch eines Gesetzes gesprochen werde, wenn Menschen, denen jahrelang ihre Rechte vorenthalten wurden, diese plötzlich einfordern. Dies sei vor allem Ausdruck einer fehlenden Solidarität mit Minderheiten und von der Angst, eigene Privilegien aufzugeben.
Die im Juni zum ersten Mal im Bundestag diskutierten Gesetzentwürfe gehen jetzt in die zweite Lesung. Die Koalitionsparteien hatten im Mai 2019 einen Entwurf für eine Reform des Transsexuellengesetzes vorgestellt. Dieser wurde allerdings von trans* und inter* Verbänden als völlig unzureichend abgelehnt und letztlich nicht umgesetzt.
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