Starke Stimme für asexuelle Sichtbarkeit: Yasmin Benoit im Interview
Yasmin Benoit ist Model und eine der bekanntesten Aktivist*innen der asexuellen Community. Für die Doku „Noch Lust auf Lust?“ kam die Britin nach Berlin. Im Film geht sie vor allem auf die Diskriminierung von Asexualität im Gesundheitswesen ein. Wir sprachen mit ihr über den Filmdreh, ihren Einsatz gegen Vorurteile und ihre Herausforderungen als Schwarze asexuelle Frau
Yasmin, du hast den Internationalen Tag der Asexualität am 6. April mitbegründet. Du hast in Großbritannien auch eine Kampagne für asexuelle Rechte gestartet. Richtige Pionierarbeit! Wie hat das alles angefangen? Ich bin als Model viel auf Instagram unterwegs und na ja, der Online-Algorithmus weiß, dass ich asexuell bin. Deshalb wurde mir viel Content zu Asexualität angezeigt. Und ich war davon nicht wirklich beeindruckt. Es waren die gleichen Themen wie in meinen Teenager-Jahren. Die Diskussion über Asexualität hat sich in den letzten Jahren überhaupt nicht weiterentwickelt. Es geht nur um Definitionen, Labels, sehr oberflächlich und auch weiß-dominiert. Ich habe immer gedacht: Wäre es nicht toll, wenn es eine Schwarze asexuelle Repräsentation gäbe, sozusagen an der Spitze der Community? Ich habe darauf gewartet, dass es jemand anderes tut, aber niemand kam. (lacht) Also dachte ich, okay, ich habe schon eine kleine Plattform als Model, dann mach ich's einfach selbst!
Da dir der Online-Diskurs zu oberflächlich war – was wolltest verändern? Ich meine, um fair zu sein, es ist nicht nur online, sondern auch in Film, Fernsehen oder Zeitungsartikeln. Wenn Asexualität themarisiert wird, geht es meist darum: Was ist das überhaupt? Stell dir vor, Gespräche über Homosexualität würden noch heute so geführt werden. Deshalb wollte ich das Thema vertiefen: Lasst uns ace-spezifische Probleme betrachten (asexuell wird oft mit „Ace“ abgekürzt, Anm. der Red.), unseren Platz innerhalb der breiteren Queer-Community. Schauen wir uns unseren Zugang zur Gesundheitsversorgung an. Schauen wir uns an, wie Diskriminierung aussieht. Was ist mit dem Bildungssystem? Es gibt so vieles mehr, über das wir reden könnten. Und auch das Whitewashing von Asexualität sollte angegangen werden. Ich glaube, die asexuelle Community hat die gleichen Probleme wie auch andere queere Gruppen – um massenkompatibel zu sein, verlässt man sich darauf, dass weiße Männer die Community repräsentieren.
„Manche Leute glauben mir einfach nicht, weil sie Schwarze Frauen nicht mit Asexualität in Verbindung bringen.“
Du bist gleichzeitig von Queerfeindlichkeit, Misogynie und Rassismus betroffen. Wie hat das deine Erfahrungen als Schwarze asexuelle Frau beeinflusst? Das hatte einen wirklich großen Einfluss. Als ich in Teenager-Jahren zum ersten Mal über Asexualität stolperte, sah ich nur weiße Kids in der Community. Ich hatte nie das Gefühl, dort reinzupassen. Als ich mich öffentlich outete, bekam ich ganz andere Reaktionen als weiße, asexuelle Menschen, die das gleiche sagten. Ich bekam rassistische Bemerkungen, sexuell aggressive Kommentare, Vergewaltigungsdrohungen. Und manche Leute glauben mir einfach nicht, weil ich zu einer sehr hypersexualisierten Bevölkerungsgruppe gehöre und sie Schwarze Frauen nicht mit Asexualität in Verbindung bringen. Und sogar innerhalb der asexuellen Community habe ich Ausgrenzung erfahren. Deshalb war eine der ersten Aktionen, die ich als Ace-Aktivistin gemacht habe, die Sichtbarkeitskampagne „This is what asexual looks like“ zu starten. Einfach, um zu zeigen: Asexualität hat viele Gesichter.
Wie stärkst du darüber hinaus das Bewusstsein für asexuelle Themen in der LGBTIQ*-Szene und Mehrheitsgesellschaft? Es gibt überall auf der Welt asexuelle Menschen, dennoch sind die Diskussionen darum sehr euro- und anglozentrisch. Das will ich ändern – das war meine Motivation, den Internationalen Tag der Asexualität mitzuinitiieren. Bei der Asexual Rights Initiative habe ich mich mit Stonewall UK zusammengetan, einer der größten LGBTQ*-Rechtsorganisationen in Europa. Ich habe sie gefragt: „Hey, ihr sagt, ihr seid eine Organisation für LGBTIQA*-Rechte. Was tut ihr für den Buchstaben A?“ (lacht) Ich habe sie davon überzeugen können, mehr für asexuelle Belange zu tun. Wir haben zusammen einen Forschungsbericht über Diskriminierung veröffentlicht. Den nutze ich für politische Kampagnen, in denen es um rechtliche Anerkennung und Gesetzesänderungen in Großbritannien und Europa geht.
Was hat der Forschungsbericht ergeben? Welche Form der Diskriminierung erfahren asexuelle Personen? Im Vereinigten Königreich war das Verbot der Konversionstherapie ein wichtiger Teil unserer queerpolitischen Agenda. Wenn die Rede von Konversionstherapie ist, dann denken die meisten Menschen an Religion – „pray the gay away“, so etwas in der Art. Im Zusammenhang mit Asexualität geschieht dies jedoch hauptsächlich im Gesundheitswesen. In den medizinischen Handbüchern, die im Vereinigten Königreich, in Europa und in den USA verwendet werden, findet sich die sogenannte Hypoactive sexual desire disorder (deutsch: sexuelle Luststörung), was so viel bedeutet wie: Wenn man nicht genug sexuelles Verlangen verspürt, wird das als eine Störung betrachtet. Wenn man bedenkt, dass Asexualität bedeutet, wenig bis gar keine sexuelle Anziehung zu anderen zu spüren, dann müssten Mediziner*innen ja bei asexuellen Personen davon ausgehen, dass es sich um eine Störung handelt. Ich denke, das betrifft besonders Frauen und andere Menschen mit Vaginas, die von Gynäkolog*innen regelmäßig gefragt werden, ob sie sexuell aktiv sind, verhüten, schwanger werden wollen usw. Im schlimmsten Fall werden Betroffene einer psychosexuellen Therapie unterzogen. Das kann bedeuten, dass sie keinen Zugang zu der Behandlung haben, die sie ursprünglich wollten, Medikamente verabreicht bekommen, die sie nicht brauchen, und davon überzeugt werden sollen, allosexuell zu sein. (Allosexuell: nicht asexuell, Anm. der Red.)
„Asexualität genießt nicht den gleichen Schutz wie andere queere Orientierungen.“
Wie kann es sein, dass so eine Menschenrechtsverletzung durch den Radar fällt? Asexualität genießt nicht den gleichen Schutz wie andere queere Orientierungen. In Gleichstellungsgesetzen wird Asexualität nicht erwähnt und in der Gesundheitsversorgung fehlt oft das Bewusstsein dafür – leider auch in der queeren Community. Immerhin gibt es in den USA einen kleinen Zusatz, der ins medizinische Handbuch aufgenommen wurde und besagt, dass asexuelle Menschen nicht nach dieser Diagnose behandelt werden sollen. Im Vereinigten Königreich und im Rest Europas gibt es das nicht.
Du bist nun auch Teil eines deutschsprachigen Dokumentarfilms. Was hat es damit auf sich? Nun, die Doku heißt „Noch Lust auf Lust? Wie unsere Libido tickt“, es geht um die Veränderungen des sexuellen Verlangens im digitalen Zeitalter. Ich bin sehr froh, dass ich da Asexualität miteinbeziehen konnte, denn das ist bei sexpositiven Themen nicht selbstverständlich. Ich konnte andere Aces in Berlin kennenlernen. Und es hat mir gut gefallen, ein Gespräch zu führen, das ich noch nicht einmal im britischen Fernsehen führen konnte – darüber, wie Asexualität pathologisiert wird. Wir waren für eine Szene bei dem Endokrinologen Alexander Comninos in London und sprachen über die sexuelle Luststörung, darüber, wie die Medikalisierung der asexuellen Community schadet und, dass viele Mediziner*innen nicht ausreichend sensibilisiert sind.
„Es ist irgendwie witzig, aber auch traurig, dass es keinen Unterschied macht, ob ich eine hetero- oder homosexuelle Person frage, was Asexualität ist: Alle sind gleichermaßen verwirrt.“
Was können allosexuelle LGBTIQ* tun, um bessere Allies zu sein? Informiert euch über Asexualität! Es ist irgendwie witzig, aber auch traurig, dass es keinen Unterschied macht, ob ich eine hetero- oder homosexuelle Person frage, was Asexualität ist: Alle sind gleichermaßen verwirrt. Das sollte zumindest in der Queer-Community besser sein. Behaltet außerdem im Hinterkopf: Wenn ein Teil der Community leidet, leiden auch alle anderen. Queerfeindliche Rhetoriken richten sich oberflächlich gegen bestimmte Gruppen, beispielsweise gegen trans* Personen. Doch im Endeffekt betreffen die Attacken alle sexuellen Minderheiten und alle Menschen, die von der heteronomrativen Norm abweichen.
Dokumentarfilm „Noch Lust auf Lust?“
Die Wisssenschaftsdoku „Noch Lust auf Lust? Wie unsere Libido tickt“ von Denise Dismer geht der Frage nach, wie sich das Lustempfinden jüngerer Generationen im digitalen Zeitalter durch Dating-Apps und Social Media verändert. Der Dokumentarfilm untersucht die Rolle von Leistungsdruck und Normativität als Lustkiller und ergründet verschiedene Nuancen von Lust, Erregung, Intimität und sexueller Identität. Neben der asexuellen Aktivistin Yasmin Benoit kommen unter anderem Sexualmediziner*innen und Therapeut*innen, Paare unterschiedlichen Alters, Sexfluencer @fashionsteffen sowie die Betreibenden des Berliner Puppenbordells „Cybrothel“ zu Wort.
„Noch Lust auf Lust? Wie unsere Libido tickt“
Buch und Regie: Denise Dismer,
SpiegelTV-Produktion für ZDF und 3sat,
Deutschland 2024
Seit dem 9. Januar 2025 in der 3sat-Mediathek verfügbar
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