Spendenrekord für ukrainische LGBTIQ*
Kurz nach Beginn der russischen Invasion am 24. Februar schlossen sich in Deutschland zahlreiche Organisationen zum Bündnis „Queere Nothilfe Ukraine“ zusammen, um LGBTIQ*s aus und in der Ukraine zu unterstützen. Zwei Monate nach seiner Gründung hat die Queere Nothilfe Ukraine bereits über 500.000 Euro an Spenden erhalten.
Nach Aussage des Bündnis sei dies der bisher größte Betrag, der je bei einer LGBTIQ*-spezifischen Spendenaktion in Deutschland in einem vergleichbaren Zeitraum erreicht wurde. SIEGESSÄULE sprach mit Conrad Breyer von Munich Kyiv Queer und Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe, die Teil des Netzwerks sind, u. a. über die Fragen, welche Hilfe konkret geleistet wird und vor welchen Herausforderungen sie stehen
Wann ist bei wem der Gedanke entstanden: Wir müssen gemeinsam etwas unternehmen und ein Bündnis schmieden?
Conrad Breyer: Es gab diesen ersten Schock – da wollten alle sofort etwas tun und helfen, auch um sich nicht ohnmächtig zu fühlen. Ich glaube, die Idee zum Zusammenschluss hatten dann Sören Landmann vom Aktionsbündnis gegen Homophobie und Konstantin Sherstyuk von WostoQ-Regenbogen. Schon am 24. Februar gab es abends ein Meeting, dann sind nach und nach immer mehr Kräfte dazugekommen, sodass wir inzwischen ein sehr großes Bündnis aus verschiedenen LGBTIQ*- und Menschenrechtsorganisationen sind.
Wieso haben das Zusammenkommen und der Aufbau eurer Strukturen derart zügig geklappt?
Holger Wicht: Das hat vermutlich damit zu tun, dass wir durch den Krieg alle gleichzeitig mit den sehr speziellen Fragen und Notlagen der Gruppen, aus denen wir kommen und für die wir arbeiten, konfrontiert waren. Dass zum Beispiel Deutsche Aids-Hilfe, Berliner Aids-Hilfe und Schwulenberatung schnell gemerkt haben: Jetzt kommen auch viele Menschen mit HIV zu uns, die gut versorgt werden müssen – denn in der Ukraine gibt es relativ viele davon. Und so haben auch andere Organisationen sofort auf die spezielle Notsituation queerer Menschen aus der Ukraine reagiert und beschlossen: Da müssen wir als Community tätig werden. Weil diese Community auch sonst sehr gut vernetzt ist, konnten wir recht schnell handeln.
„Es ist eine schöne Erfahrung, zu sehen, dass in einem Moment der Not auch Eitelkeiten und Abgrenzungen zurückgestellt werden. Alle ziehen mit viel Kraft und gutem Willen an einem Strang."
Es gibt inzwischen über 50 Bündnispartner*innen. Wie organisiert ihr euch?
HW: Wenn etwas neu beginnt, ist es am Anfang ja immer ein bisschen chaotisch, und das darf es auch sein. Mittlerweile haben wir aber im Bündnis klare Kommunikationsstrukturen und verschiedene AGs, die sich mit unterschiedlichen Themen beschäftigen – etwa Hilfslieferungen, Finanzen und Recht – und die gucken: Was wird in diesem Bereich wo gebraucht? Die AGs arbeiten relativ autonom und einmal pro Woche gibt es ein großes Meeting mit ihren Vertreter*innen.
CB: Das Entscheidende ist, dass hier lauter Expert*innen zusammensitzen. So haben zum Beispiel die Aids-Hilfen viel Know-how zum Thema Gesundheit. Andere wie der LSVD kennen sich mit politischen und rechtlichen Fragen aus. Und dann gibt es Organisationen wie Munich Kyiv Queer, die schon lange mit LGBTIQ*-Aktivist*innen in der Ukraine zusammenarbeiten. Im großen Gefüge ergänzen sich dann alle.
HW: Im Bündnis arbeiten sehr verschiedene queere Menschen und Organisationen zusammen. Es ist eine schöne Erfahrung, zu sehen, dass in einem Moment der Not auch Eitelkeiten und Abgrenzungen – falls es sie denn gibt – zurückgestellt werden. Alle ziehen mit viel Kraft und gutem Willen an einem Strang.
CB: Damit sind jetzt nicht nur unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Gender-Identitäten gemeint, sondern auch verschiedene politische Haltungen: von sehr links über mehr bürgerlich orientiert bis vielleicht konservativ.
Was für Hilfe leistet das Bündnis konkret?
CB: Zum einen helfen wir denjenigen, die schon hierhergeflüchtet sind. Manche Organisationen im Bündnis vermitteln sichere Privatunterkünfte für queere Menschen, zum Beispiel wir in München und Quarteera in Berlin. Aber es geht auch besonders um die Zusammenarbeit mit den LGBTIQ*-Organisationen in der Ukraine. Gerade unsere trans Aktivist*innen sind da sehr engagiert. Sie sagen uns, was sie brauchen. Manchmal sind es Sachgüter, meist ist es Geld. Und dann unterstützen wir entweder einzelne Aktivist*innen der queeren Community vor Ort, die jetzt kein Einkommen mehr haben, ausgebombt sind oder Geld für den Fluchtweg brauchen. Oder das gespendete Geld hilft Organisationen, Shelter aufzubauen, Schutzräume, in denen sich Menschen auf der Flucht kurz erholen, sich bei Angriffen schützen oder generell dort verstecken können. Da geht es natürlich nicht nur um die Versorgung mit Essen, Medikamenten und Unterkunft, sondern auch um psychologische Betreuung. Denn die Leute sind oft verzweifelt. Und es gibt den Transfer von Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Medikamenten an die Grenzen der Ukraine.
HW: Es konnten schon Hormonpräparate für trans* Personen und andere Medikamente in die ukrainischen Notunterkünfte geschickt werden. Auch bei denjenigen, die hierhergeflüchtet sind, ist es oft wichtig, sie mit Medikamenten zu versorgen und sie schnell in gute medizinische Behandlung zu bringen, zum Beispiel wenn sie HIV-positiv sind.
„Wir brauchen einfach sehr viel Geld. Und die Spendenbereitschaft lässt deutlich nach. Wir müssen unbedingt mehr Mittel haben, um die Leute zu unterstützen."
Was sind im Augenblick die größten Herausforderungen an Queere Nothilfe Ukraine?
HW: Es ist so wahnsinnig viel zu tun. Wir alle versuchen zu schauen: Was ist gerade am wichtigsten? Zum Beispiel Informationsangebote für ukrainische Queers zu schaffen, um sie hier in die richtigen Strukturen vermitteln zu können. Dolmetscher*innendienste zur Verfügung zu stellen, für den Gang zum Amt oder zum Arzt. Das Bündnis setzt sich auch dafür ein, dass queere Menschen in Großstädten mit guter Infrastruktur wie Berlin unterkommen und nicht an Orte geschickt werden, wo es keine angemessene Versorgung und Community gibt. Diese Menschen brauchen einen starken Rückhalt – auch mit Blick auf Homo- und Transfeindlichkeit.
CB: Was neben diesem ganzen Betreuungsbedarf wichtig bleibt: Wir brauchen einfach sehr viel Geld. Und die Spendenbereitschaft lässt deutlich nach. Wir müssen unbedingt mehr Mittel haben, um die Leute zu unterstützen.
HW: Wir werden einen langen Atem brauchen, weil die Menschen vor Problemen stehen, die sich nicht mit einer Aktion lösen lassen – als Bündnis und auch als Community.
Ihr bekommt durch eure Arbeit viele Einzelschicksale mit. Wie ist es auf persönlicher Ebene, damit umzugehen?
CB: Sehr schwierig. Natürlich erlebt man oft hautnah, wie die Hilfe ankommt. Die Menschen sind dann dankbar oder weinen. Aber ich bekomme auch Hilfsanfragen von verzweifelten Menschen – schwule Männer, trans Personen –, die ein „M“ im Pass haben und deshalb nicht aus dem Land fliehen können. Dann können wir zwar Geld schicken oder über die Shelter Unterschlupf anbieten. Und wir versuchen auch, juristisch an einer Möglichkeit zu arbeiten, diese Personen außer Landes zu bringen. Das muss aber alles legal sein. Das alles nimmt mich immer sehr mit.
Was gab es vor dem Krieg an queerer Community in der Ukraine?
CB: Seit 1991 ist Homosexualität dort kein Straftatbestand mehr, damals formierte sich eine erste LGBTIQ*-Bewegung. Durch den Beginn der Prides 2012 hat sich dann eine recht differenzierte Community entwickelt, mit einem knappen Dutzend an Organisationen, die unterschiedliche Felder bedienen. Die wurden natürlich nie staatlich gefördert. Und auch sonst ist die Ukraine noch kein queeres Paradies. Aber die vielen Prides haben die gesellschaftliche Akzeptanz von Queers vorangebracht. Irgendwann haben auch die Medien angefangen, neutral zu berichten. Das war in den letzten Jahren eigentlich eine Erfolgsgeschichte.
„Für unser Bündnis hoffe ich, dass es uns gelingt, den konstruktiven Spirit zu halten."
Was wünscht ihr euch für die Zukunft dieses Projekts?
HW: Für unser Bündnis hoffe ich sehr darauf, dass es uns gelingt, den konstruktiven Spirit zu halten und gemeinsam weiter eine Form der Zusammenarbeit zu entwickeln, die lange trägt. Natürlich hoffe ich vor allem, dass der Krieg bald vorbei ist. Dass es nicht zu weiteren Konflikten zwischen Menschen aus Russland und anderen Ländern kommt, auch hier in Deutschland nicht. Es sind ja zum Glück auch viele Russ*innen im Bündnis mit dabei. Und ich hoffe sehr, dass sich fortsetzt, was sich in Berlin gerade abzeichnet: dass die Politik Sensibilität für die Bedürfnisse queerer Menschen und anderer besonders vulnerabler Gruppen mitbringt und sich offen für unsere Anregungen zeigt.
CB: Ich schließe mich an. Die Ukraine war für die deutsche Community bisher immer ein Nischenthema. Jetzt haben wir mit diesem Bündnis so ein gutes Potenzial. Das zu nutzen, um Menschen- und LGBTIQ*-Rechte in der Ukraine auch in Zukunft, nach Ende des Krieges, zu unterstützen, da vielleicht auch beim Wiederaufbau und bei zivilgesellschaftlichen Aktivitäten zu helfen, das wäre mein Traum.
Grußwort und Danksagung von Serhey aus Kyjiw
Grußwort und Danksagung von Marta aus der ukranischen Stadt Bila Zerkwa, Region Kyjiw
Spendenkonto und Infos zum Bündnis Queere Nothilfe Ukraine
Queere Nothilfe Ukraine
Infos unter: queere-nothilfe-ukraine.de
Spende unter Angabe des Verwendungszwecks „Queere Nothilfe Ukraine“ an:
Aktionsbündnis gegen Homophobie e. V.
Sparkasse Trier
IBAN: DE55 5855 0130 0001 0103 21
BIC: TRISDE55XXX
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#Queere Nothilfe Ukraine